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Gedanken zu Gott, Goethe und Geld Verfasst am : 12.07.2015 16:27


Aus den Schriften des S.K.


Alle sind eifrig mit dem beschäftigt, was die Zeit fordert, keiner scheint sich darum zu kümmern, was der Einzelne braucht.

Aber das Unselige unsrer Zeit ist unter anderm, daß es bald eine Unmöglichkeit wird, einen Menschen zu finden, der Zeit und Geduld und Ernst und Leidenschaft des Denkens hat,...

(das Buch Adler)


Unsere Art zu richten und zu strafen erscheint mir immer kindlicher. Ein wirklicher Mensch würde das alles über den Haufen werfen. Wieviel ließe sich da individualisieren!

Man könnte Kulturperioden von ungeheurer Größe träumen: Aber, so wie die Masse der Menschen bewillt und begabt ist, wird sie zur Weisheit wohl erst durch Müdigkeit kommen, erst dann, wenn es sich der Weisheit nicht mehr verlohnt.

>Geist< ist heute Marktware, wer redet noch davon? Ein wirklicher eigener Gedanke aber ist immer noch so selten, wie ein Goldstück im Rinnsstein.

Alles öffentliche Leben ist wenig mehr als ein Schauspiel, das der Geist von vorgestern gibt, mit dem Anspruch, der Geist von heute zu sein.

Für mich begehre ich nicht viel, wenn ich aber Talente sehe, die ein großes Volk in seiner Unwissenheit, Gleichgültigkeit und Kleinlichkeit verkümmern läßt, dann steigt in mir der Zorn auf.

Manche Leute müssen über ihre Dummheit durchaus öffentlich quittieren.

Die Zärtlichkeit, womit sich der moderne Mensch behandelt ist, erstaunlich. Was alles ist nicht >für sein Innenleben wichtig<! Man liegt heute auf Knien vor diesem seinem >Innenleben<. Aber es ist nur eine andre Art von Mops oder Affenpintscher, wofür nun die ganze Welt als Kißchen und Zuckerchen gerade gut genug ist.

Oh, wenn erst die Leidenschaft für den Planeten als solchen uns ergriffen haben wird, der große amor nostro, dann wird es auch keine Kriege mehr geben, dann werden ungleich gewaltigere Unternehmungen diese armseligen Kraftproben einer noch dunklen Periode überflüssig machen! Denn freilich: das bittere Zuchtmittel des Krieges durch philanthropische Mahnungen nur einfach abschaffen zu wollen, geht nicht an. Zuerst muß der Geist der Völker den neuen Aufgaben, den neuen, höheren Ambitionen gewachsen sein, zuerst muß ihn der Furor jener neuen Anstrengungen, Wagnisse und Opfer anfallen, ehe er den alten furor bellicus entlassen darf, ehe er von sich sagen darf: ich habe den Krieg wahrhaft - überwunden.

Optik! Optik! Wenn ihr euren ganzen >heutigen< Geist nur einmal von oben sehn könntet. Eure Wissenschaft, eure Kunst, euer tägliches Leben! Nicht um dies alles gering schätzen, o nein, nichts weniger als gering, sondern um es richtig schätzen zu lernen. Eine Menschheit, die zu sich selbst und ihrem Treiben noch keine wirkliche Distanz gewonnen hat, ist unreif, so erwachsen sie sich sonst gebärden mag.

In und trotz aller Geschäftigkeit - wieviel Verschlafenheit, wieviel Verträumtheit! Das wacht oft ein ganzes Leben nicht auf. Rüttelst du aber zu unsanft, so magst du leicht einen Stoß vor die Brust bekommen, wie von einem Schlaftrunkenen, den man vorzeitig stört. Tröste dich mit diesem >vorzeitig<. Und wer nicht aufstehen will, kann es wohl noch nicht, muß wohl noch - schlafen.

Für jeden Menschen, sagt Goethe, kommt der Zeitpunkt, von dem an er wieder >ruiniert< werden muß. So auch: für jede Kulturperiode. Die unsrige hat diesen Zeitpunkt bereits überschritten. Sie kann trotz allem, was dagegen einzuwenden ist, in einem gewissen sehr hohen Sinne nicht mehr ausschließliches Interesse beanspruchen. Das Hauptaugenmerk richtet sich über ihren mehr oder minder glänzenden Abklang hinweg auf den folgenden Abschnitt, dessen Aufbau, dessen Aufgaben. Ihr bleibt noch vieles zu tun, freilich, aber auch dies: sich möglichst unmißverständlich und allseitig ad absurdum zu führen.

Jede Zeit schweigt zunächst das Größte tot, das in ihrem Schoße ruht; geht dies nicht länger an, so verleumdet sie es, verzerrt es und versucht es auf alle Weise zu vernichten.

Es ist unbeschreiblich, auf was alles die Menschen nicht kommen. In den gewöhnlichsten Verhältnissen.

Wir lieben nur die Bilder von allem, als etwas in uns selbst, nie das andere selbst.

Wer tief ist, muß sich schämen, sich so zu zeigen.

Wer die Grausamkeit der Natur und der Menschen einmal erkannt hat, der bemüht sich, selbst in kleinen Dingen, wie dem Niedertreten des Grases, schonungsvoll zu sein.

Alles Festlegen verarmt.

Meine Liebe sind allein die großen Unbedingten, die Glück oder Tod bringen, die sich vor allem bringen mit ihrem Geschmack, ihrer Wertsetzung und ihrem ethischen Pathos, die den unbeirrbaren Sinn für Größe besitzen, eine tiefe unauslöschliche Liebe zu dem, für welches sie geboren sind. Und mein Haß: Die Geschmackler, die Renaissanceler, >die Töpfegucker jeder Stimmung< - die qualligen Ästheten, die stupenden Magister... all dieses unproduktive und anmaßende Volk, das die Mode von heute ist, wo unser innerstes Leben nach Stil dürstet, nach Kultur, nach Ernst, nach Kraft, nach Männern, nach Willen und noch einmal nach dem ethischen Pathos eines Nietzsche, eines Dostojewski, eines Lagarde, eines Tolstoi.

Niemand ist zu gut für diese Welt. Menschen, von denen dies gesagt wird, sind vielmehr in irgendeinem Betrachte nicht gut genug.

Wahrheit ist eine Sache des Temperaments, darum kann man Wahrheit nicht lehren, nur zeugen.

Ich meine, es müßte einmal ein sehr großer Schmerz über die Menschen kommen, wenn sie erkennen, daß sie sich nicht geliebt haben, wie sie sich hätten lieben können.

Wer sich die Unsumme von Geduld vergegenwärtigt, mit der die Masse der Menschen ihr tägliches Arbeitslos trägt, der wird sie namenlos achten müssen, diese >Menge<, trotz alledem und alledem. Und wenn wir Geistigen uns nur zu oft über sie erheben: sie kann doch nie brüderlich genug geliebt werden. Und jedenfalls soll sie beständig in unseren Gedanken wohnen, auch in deren, die ihr etwa zürnen.

Dieses Verwerfen in Bausch und Bogen, dessen wir uns oft schuldig machen, ist schrecklich. So wenn einer von Rousseau´s Bekenntnissen sagt: das verlogene Zeug. Ja ja, verlogen vielleicht hier und dort und am dritten Ort - aber auch am vierten und fünften? - Und wir selbst, die wir so sprechen, sind es also an keinem? Nirgends verlogen, nirgends angreifbar, nirgends verwerflich?

Es können nur einigermaßen gleiche Naturen in ihrem ganzen Umfang einander erklären und abschätzen. Heut aber will jedermann interpretieren, wenn er nur schreiben gelernt hat.

Glaube mir, es gibt nichts Großes ohne Einfalt. Der Mensch, das Individuum ist Gottes Einfalt, ist einfältig gewordene Gottheit. In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.

Mut, Mut, das fehlt dem sogenannten denkenden Wesen, dem Menschen - als denkendes Wesen - am meisten. Und an Phantasie. (Aber was wäre Phantasie ohne Mut?) Vielleicht ist Mangel an beiden eine der grundlegenden Lebensbedingungen, vielleicht kann der Mensch nur mit einem gewissen Quantum von Feigheit und Trägheit - existieren.

Das von selbst Verständliche wird gemeinhin am gründlichsten vergessen und am seltensten getan.


(Chr. Morgenstern - Stufen)

geschrieben von marcellous

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