4.529x gelesen 4x abonniert Ausgabe 27/24 04.07.2024 Wallanders Depesche Jetzt registrieren

Ein großartiger Tag für Die schwarze Faust Verfasst am : 22.09.2009 23:57

Wallander parkte vor dem Bürokomplex in Berlin-Dahlem, in dem er die Verhandlungen mit einem Darlehensgeber führen wollte. Er stieg aus und lief die Postzuliefergasse entlang, wie in der E-Mail, die Ann-Gritt ihm ausgedruckt hatte, beschrieben war. Es war ein schönes Gebäude mit bronzefarbener Fassade, welche die schon herbstlich tief stehende Sonne reflektierte. Die Innenhöfe waren ideenreich mit Sträuchern und anderen Pflanzen begrünt. Mitarbeiter genossen ihre Raucherpause in den in Sonnenlicht getauchten Innenhöfen. Sie grüßten freundlich. Er beobachtete das Farbenspiel aus Bronzeblech, Rasengrün und Himmelblau. Wallander dachte darüber nach, hier auch einmal ein Büro zu eröffnen. Den dritten Eingang wählte er und kam in einen kalten Flur. Er hatte das Gefühl in einem Versorgungstrakt zu sein. Vielleicht lag er auch nicht so falsch, denn Putzkräfte, die in unserer modernen Sprache heute Raumpfleger heißen, kamen ihm entgegen und grüßten freundlich. Er kam dann aber in ein Büro, welches bis unter die Decke mit Büchern gefüllt war. In einer Sitzecke empfing ihn sein Verhandlungspartner. Wallander sah ihn misstrauisch an. Zu arrogant war der Blick des potentiellen Geldgebers, der tief versunken in seinem Sessel saß und Wallander einen Platz anbot. Hier musste er jetzt durch, der Verein braucht das Geld. Gerne hätte er diesem Lackaffen einen Sessel ins Gesicht geschleudert, aber er musste sich beherrschen: "Ich freue mich, sie kennen zu lernen. Ich bin froh, dass ich ihr Büro gefunden habe, es liegt wirklich wunderschön." Wallander überkam ein Schauer bei so viel Schleim, so kannte er sich gar nicht, aber das Projekt lag ihm am Herzen. Es folgten zähe Verhandlungen, die immer wieder durch andere Personen gestört wurden. Am Ende stand das Darlehen. Erfreut verließ Wallander das Büro. Endlich raus, dachte er sich.
Er fuhr über die Berliner Stadtautobahn wieder nach Neukölln. Und hier soll er länger arbeiten? In einer Stadt, in der man nicht mal flüssig über die Autobahn kommt. Er hatte kein Verständnis für die Verkehrsprobleme der Berliner. Wenn er den Verein gerettet hat, würde er bestimmt Politiker werden und sich für den vier- oder fünfspurigen Ausbau der Stadtautobahn und die Freigabe bis Tempo 130 einsetzen. Ganz bestimmt. Aber vielleicht würde er auch wieder die Stadt verlassen.
In der Geschäftsstelle angekommen, begutachtete er sein Türschild. "Kurt Wallander" stand in der ersten Zeile, in der zweiten "Kommissarischer Geschäftsführer" folgte darunter. Beides in schwarzen Lettern auf goldenem Grund. Etwas störte ihn daran. War es die Abwertung seiner Position durch die zweite Schildzeile? War es der lange Titel, der auf seinem Schild stand? Er wusste es nicht, aber er würde darüber nachdenken. Eines störte ihn in jedem Fall: er hat Ann-Britt noch nicht herumbekommen. Aber das würde er schon noch schaffen. Er öffnete die Bürotür und ging zum Schreibtisch. Dort unterzeichnete er die ersten Anweisungen mit dem neuen Geld. Die Hypotheken zahlte er mit einem Schlag ab, die Pressestelle sollte in den nächsten Tagen viel Aktion machen und die Lager von Gastronomie und Fan-Shop füllte er wieder auf. Erst jetzt merkte er, wie anstrengend und komplex die Arbeit als Manager eines Fußballvereins ist. Einen Espresso brauche ich unbedingt, dachte er sich. Er rief Ann-Britt zu sich und gab ihr eine wichtige Aufgabe: "Besorgen sie eine Kaffeemaschine. Aber nicht so ein billiges Ding. Ich brauche etwas für Espresso und Latte macchiato. Also so richtig mit Milchaufschäumer und so. Schaffen sie das?" Mit einem Nicken notierte Ann-Britt sich das in ihren Notizblock und verschwand. Wallander stand auf und ging zur Tür. Er begutachtete erneut sein Türschild, aber er merkte nicht, was ihn störte. Frustriert legte er sich hin und nahm die Tageszeitung zur Hand. Im Lesen nickte er ein und träumte.
Er stand in seinem Büro und bediente den Milchaufschäumer an seinem neuen Kaffeevollautomaten. Doch das Gerät hörte nicht auf, die Milch sahnig zu schäumen. Überall spritzte der Milchschaum. Viel bekam auch Ann-Britt ab, es lief er am Mund herunter über ihren leicht gebräunten Körper. Auch an die Wände spritzte es und an die Tür. Er sah Ann-Britt, wie sie den Schaum von der Tür entfernte und sein Namensschild blank putzte.
Wallander erwachte schweißgebadet und mit Herzrasen. Er sprang auf und riß dabei das kleine Beistelltischchen um, von dem er immer noch nicht wusste, ob es wirklich aus Kirschholz war oder er sich nur darin täuschte. Er rannte zur Tür, zog sie auf, so dass ein Beobachter hätte fürchten müssen, er reiße sie aus den Angeln. Er sah auf das Schild und jetzt war ihm klar, was ihn störte. "Ann-Britt", brüllte er aus Leibeskräften durch die geräumige Geschäftsstelle, "kommen sie sofort her." Schnell kam Ann-Britt zu ihm. Ehe sie fragen konnte, weswegen er so aufgebracht sei, begann er: "Wie lange arbeiten sie schon bei mir?" - "Vier Monate." - "Sie kennen mich also vier Monate und bestellen mir ein mattes Türschildchen? Finden sie nicht auch, dass ein glänzendes viel besser zu mir passt?" Ann-Britt schwieg. Würde sie ehrlich antworten, wäre sie wohl gefeuert. Als Wallander wieder an Fassung gewonnen hatte, sagte er: "Besorgen sie ein glänzendes Schild. Und jetzt an die Arbeit." Er ging ins Büro zurück und warf vor ihrer Nase die Tür ebenso heftig zu, wie er sie geöffnet hatte. Ihre Nase blutete. Ann-Britt ging in ihr Büro und telefonierte mit dem Verkäufer der Türschildchen.
Wallander hob vorsichtig das Tischchen hoch und fand seinen Zettel von gestern wieder. Er entschied sich nun Feierabend zu machen. Nach dem Tageseinkauf fuhr er in sein neues Domizil, das er von einem Freund vorübergehend bekommen hatte. Es lag in Rudow, kurz vor dem Stadtrand. Er sah sich den großen Garten beeindruckt an: gepflegter Rasen, ordentlich beschnittene Sträucher, kultivierte Obstbäume, eine Teichanlage mit Wasserfall. Dies wollte er nun von der Veranda aus genießen. Mit einem Glas Rotwein und einem kleinen Imbiss setzte er sich raus. Wolken zogen auf, es blieb aber trocken. Der 22. September endete nicht so schön, wie er begonnen hatte.

geschrieben von KSD

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