4.530x gelesen 4x abonniert Ausgabe 27/24 04.07.2024 Wallanders Depesche Jetzt registrieren

Erster Heimsieg der Ära Wallander. Verfasst am : 24.09.2009 00:02

Wallander erwachte früh, um festzustellen, dass er zu früh aufgewacht war. Dies zeigte zumindest der Blick auf den Wecker. Der Verein kann warten, dachte er sich und drehte sich nochmal herum. Aber einschlafen konnte er nicht mehr. Zu wichtig waren die Dinge, über die er nachdenken musste. Er hatte sich in eine Sackgasse manövriert: ohne Ahnung von Fußball hat er einen Verein übernommen. Für ihn war der Verein das, was für einige bornierte Deutsche ihre Gartenzwergsammlung ist: ein Gegenstand, den man ab und an mal saubermacht und anderen präsentiert. Wie sollte er sich bei Rückschlägen verhalten? Soll er den Trainer entlassen? Das wäre die richtige Reaktion. Er nahm sich vor Stu Dettmero im Falle einer erneuten Niederlage zu entlassen. Dettmero war für ihn sowieso nur ein Speichellecker seines Vorgängers. Vertrauen hat er in ihn nicht. Zufrieden nickte er nochmal ein.
Es war neun Uhr, als er dann endgültig aufstand. Es war der Tag seines ersten Heimspiels.

Am Abend ging er ins Stadion. Für Ann-Britt hat er auch eine Karte besorgt. Als er im Stadioninneren angekommen war, traute er seinen Augen kaum. Nur 21.635 Zuschauer waren da, obwohl es über 44.000 Plätze gibt. Er würde weiter an der Öffentlichkeitsarbeit arbeiten müssen. Ann-Britt war aufgeregt, denn es war auch ihr erstes Fußballspiel überhaupt. Links neben Wallander stand ein übel riechender alter Mann. Wallander machte sich Gedanken, ob Ann-Britt glauben könnte, er selbst würde so stinken. Das war für ihn ein ernsthaftes Risiko. Seine Mission sollte auf keinen Fall an einem solchen Missverständnis scheitern. Er entschied sich zu handeln. In seinem Portemonnaie wühlte Wallander nach einem 10 €-Schein. Leider fand er keinen kleinen Schein. Nur 100 €-Scheine. Verärgert nahm er einen Schein heraus. Er sah sich zu dem Mann um. Der Anblick bestätigte die schlimmen Vorahnungen, die Wallander aufgrund des Geruchs hatte. Ungewaschenes, fettiges Haar, schiefe und dreckige Zähne, ein verdreckter Mantel, eine zerrissene Jeanshose, bis in die Poren beschmutzte Hände. Wallander ekelte sich. Sollte dieser Mann nun wirklich einen 100 €-Schein entweihen? Scheine, die solche Leute normaler Weise niemals sehen, geschweige denn anfassen würden? "Können sie bitte woanders hingehen? Sie stören mich. Nehmen sie einfach diesen Schein", sagte Wallander flüsternd. Der Penner nahm ihm den Schein aus der Hand. Bei der Berührung der Hände durchfuhr Wallander vollkommener Ekel. Ein Brechreiz stellte sich ein. Der Penner ging.

Das Spiel war erfolgreich. Die schwarze Faust 07 siegt mit einem 3:0 über die Hertha aus Zehlendorf. Zufriedenheit stellte sich bei Wallander ein. Ann-Britt hatte er im Gewühl in der Halbzeitpause schon verloren. Jetzt sollte er zur Pressekonferenz. Dort erklärte er, dass man dem Trainer total vertrauen würde und dass das Spiel das Vertrauen gerechtfertigt habe. Niemand hätte jemals die Absicht gehabt, den Trainer zu feuern. Er selbst sowieso nicht. Zufrieden über sein Verstellungstalent wollte er nach Hause. Doch Auto fahren konnte er nicht mehr. Zu viele Biere hatte er getrunken, als dass er noch ohne Sorge um den Führerschein ein Auto steuern könnte. Er nahm den Bus. Der Zufall sorgte dafür, dass er im Bus seinen Platznachbarn aus dem Stadion wiedertraf. Gemeinsam philosophierten sie noch über das Leben. Wallander gab sich jovial. Er wollte nicht anecken und nicht als etwas besseres wirken, was er ja tatsächlich auch war. Sie kehrten noch in einer Kneipe in Rudow ein. Es war ein nettes Lokal an der Hauptstraße. Weiß gestrichen, direkt an einem Sportplatz. Sie sahen das Ende des Pokalspiels von 1860 München gegen Hertha BSC Berlin. Er war kein Berliner und diese graue Maus des deutschen Fußballs langweilte ihn. Freiwillig würde er niemals ins Olympiastadion gehen. Doch er tat so, als ob er für Hertha wäre. Alles andere wäre ihm wohl auch schlecht bekommen. Irgendwann wurde er müde. Er erklärte dem Penner, von dem er mittlerweile wusste, dass er Harry heißt, was für seinen Geschmack schon zu viel Information war, dass er nach Hause wolle. "Ich lade dich ein, so ein Typ hat mir vorhin 100 € gegeben, damit ich im Stadion den Platz wechsle", sagte der Penner biertrunken. Wallander dachte sich, dass das wohl das Mindeste sei, was der Penner für ihn tun kann. Er bedankte sich und stolperte nach Hause. Müde fiel er am Abend des 23. September ins Bett.

geschrieben von KSD

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