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Scouting-Reise mit Ann-Britt. Verfasst am : 13.10.2009 02:14

Wallander fiel erschöpft auf seine Ledercouch im Büro. Er war alleine, denn Ann-Britt hatte sich krank gemeldet. Er war aber nicht nur alleine, sondern er fühlte sich auch so. Die Arbeit blieb liegen. Dabei sollte sie doch herausfaxen, dass Wallander eine Praktikantin suche. Nun blieb das an ihm selbst hängen.
Doch jetzt muss er sich erstmal entspannen. Die Reise saß ihm noch in den Knochen. Dabei wollte er gar nicht wegfahren, aber sein perfektionistischer Cheftrainer Lucien Favre hatte ihn dazu gezwungen. Er würde sich dafür dereinst rächen.
Es begann alles am Nachmittag des 30. September: Wallander fläzte sich auf seiner Couch und rauchte eine Zigarre, Ann-Britt robbte über den Boden und wischte den Kaffeefleck weg, der entstanden war, weil Wallander versehentlich die Kaffeetasse aus der Hand gefallen war. Er sah Ann-Britt dabei zu. Mit einem Mal flog die Tür auf und gegen den Kopf von Ann-Britt. Sie hatte eine Platzwunde an der Stirn. "Err Wallander, isch abe einen ervorragenden Tipp bekommen. Ein Spieler aus Autriche. Leider abe isch keine DVDs, um ihn anzuse-en. Fahren sie bitte dort-in und filmen sie ihn. Ier aben sie die Adresse", erklärte Lucien Favre sein stürmisches Auftreten. "Äh, ja. Ich überlege es mir", antwortete Wallander, der Favre dafür hasste, dass er ihn um den Anblick von Ann-Britts Hintern gebracht hatte. Wallander entschied sich, auf Reise zu gehen. "Ann-Britt, richten sie ihr ramponiertes Gesicht und bestellen sie mir einen standesgemäßen Mietwagen für zwei Wochen. Ich mache Urlaub", sagte er mit bestimmendem Tonfall seiner Sekretärin, die sich mit dem Putzlappen das Blut aus dem Gesicht wusch. "Navi ist übrigens Standard", fügte Wallander hinzu. Ann-Britt nickte konsterniert und ging.
Am Morgen des 1. Oktober holte Wallander den Wagen ab. Er staunte nicht schlecht. Ann-Britt hatte ihm einen Top-Wagen bestellt: einen VW Phaeton. Gut gelaunt startete er in Richtung Alpen. Die neunstündige Fahrt verging wie im Flug. Es war ein kleines verschlafenes Nest in einem Tiroler Alpental.
Erschrocken stellte Wallander fest, dass Ann-Britt ihm gar kein Hotel bestellt hatte. Diese dumme Schlampe, wofür bezahle ich die eigentlich? dachte er sich. Entnervt suchte sich Wallander eine Ferienwohnung, direkt am Berghang gelegen. Vom Haus aus hatte man einen wunderbaren Ausblick auf das Tal und über den See. Die Sonne war untergegangen und langsam verschwand auch das letzte Licht der Abenddämmerung.
Am 2. Oktober erwachte Wallander früh. Er genoss spazierend den Sonnenaufgang. Es würde ein warmer Tag werden, spürte Wallander. Er beschloss, seinen Weg zum Sportplatz zu machen. Dort angekommen suchte er nach den Trainingszeiten und Spielterminen der A-Jugend. In dieser Mannschaft sollte laut Favre der zu beobachtende Spieler spielen. In Wallander kam wieder der Hass gegen den Trainer auf, der ihn um den Anblick Ann-Britts gebracht hat. Jetzt wird hat sie diese hässliche Wunde in der Visage. Das schöne Gesicht. Wallander dachte sehnsüchtig an Teile von Ann-Britts Körper, die Favre nicht versaut hatte. Nun ging er zum Supermarkt und kaufte einige Sachen ein. Zum Sportplatz muss er sowieso erst am Samstag Nachmittag zurückkehren. Nach dem Einkauf machte er sich etwas zu essen. Vollgefressen legte er sich für eine Stunde hin. Wieder aufgewacht war er hochgradig unzufrieden. Er brauchte ein paar Sekunden, bis ihm klar war, was passiert war. Er lag auf dem Boden. Mutmaßlich ist er wohl im Schlaf von der Couch gefallen. Dabei hatte er die bräunlich bestickte Tischdecke vom Zimmertisch gezogen und dadurch die auf dem Tisch befindliche violette Vase zerbrochen. In der Vase waren hässliche, künstliche Blumen. Wenn er es richtig sah, war der Plastik-Enzian verstaubt. Das würde er am Ende des Urlaubs monieren, um Rabatt zu bekommen. Enzian war aber das richtige Stichwort. Er stand auf, ging in die Küche und nahm sich die Flasche, die er mittags gekauft hatte. Er goss sich ein Stamperl - wie der gemeine Österreicher Schnapsgläser nennt - ein. Dann beschloss er noch etwas zu wandern. Es war ja gerade erst drei Uhr und die Sonne schien. Gegen sechs Uhr erreichte er eine Berghütte und trank dort noch ein paar Bier und ein paar selbstgebrannte Obstler. Er musste an die Pressekonferenz des letzten Atzencups denken. Er wusste nicht so ganz, warum. Die Sonne schickte sich an unterzugehen und er konnte es nicht verhindern. Dies zwang ihn dazu auf der Hütte zu schlafen. Es war enttäuschend für ihn, festzustellen, dass er nicht fähig war, den Lauf der Sonne zu bremsen. Er der große Kurt Wallander, der sonst alles im Griff hat und dem sonst alles gehorcht, hatte keine Kraft. Daran würde er arbeiten müssen. Nach seiner Rückkehr würde er sich in einem Fitnessstudio anmelden. Und nach ein paar Wochen würde er ein krasser Ochse sein und die Sonne bezwingen. Sie würde vor ihm Respekt haben. Er merkte, dass er betrunken war und schlief ein.
Wallander weckte die gerade aufgehende Sonne, die das kärgliche Bauernzimmer beleuchtete. Das helle Licht brannte in seinem Auge. Die Einrichtung war sehr bescheiden. Fließend Wasser gab es nicht, sondern es stand eine Kanne mit frischem Wasser auf einer Kommode. Er hoffte zumindest, dass das Wasser frisch war. Er wünschte sich, dass er weiterschlafen könnte, doch dies funktionierte nicht. Die Kopfschmerzen hielten ihn davon ab. Außerdem fiel ihm auf, dass der 3. Oktober angebrochen war. Er muss fit sein. Das Mannschaftstraining der A-Jugend steht an. Wallander kämpfte sich zur Kommode, wusch sich zog sich Hose und Pullover an und ging. Dem Hüttenwirt gab er einen kleinen Obolus für die Logis. Für den Abstieg brauchte er deutlich länger als hinauf. Immer wieder musste er Rast machen und seinen Alkoholbrand mit dem Wasser eines kleinen Quellbachs, der am Weg entlang floss befrieden. Gegen elf Uhr Vormittag kam er an der Ferienwohnung an. Er legte sich noch etwas hin. Kurz vor drei wachte Wallander wieder auf. Dieses Mal war er auf dem Sofa geblieben und nicht runtergefallen. Wallander war zufrieden. Die Kopfschmerzen waren auch weg. Er ging zum Sportplatz und musterte die Spieler. Seine Kamera ließ er noch in der Tasche, denn er wollte nicht als schwuler Spanner gelten. Denn das war er nicht. Naja, ein Spanner war er schon, zumindest wenn Ann-Britt in der Nähe war. Aber dazu stand er und darauf war er stolz. Ein Spieler holte Wallander wieder aus seinen Gedanken, denn er lief mit leicht behindertem Gang und strengem Seitenscheitel über das Spielfeld. Der passt zum Namen, dachte sich Wallander und blickte auf den zerknitterten Zettel, den Favre ihm zugesteckt hatte. Adolf las Wallander. "Hey, sie da. Wer sind sie? I kenn sie net", rief ein stark untersetzter Mann Wallander zu. Es ist vermutlich der Trainer der Mannschaft. "Mein Name ist Kurt Wallander. Ich bin kommissarischer Geschäftsführer von Die schwarze Faust 07. Das ist ein Berliner Fußballverein. Wir waren sogar mal in der zweiten Bundesliga. Mein Cheftrainer lässt immer wieder neue Spieler scouten. Leider können wir uns keine professionellen Scouts leisten, weshalb ich hierher gefahren bin, um von einem Spieler eine DVD zu machen. Der Trainer will ihn analysieren und dann vielleicht verpflichten", erklärte Wallander. Der untersetzte Mann antwortete grobschlächtig: "I bin der Hacker-Schorsch. I heiß so, weil die Buben sich immer zerhoackert fühlen, wenn i mit denen nach dem Training durch bin. Um welchen Spieler geht’s denn?" Schorsch hatte recht. Blickte er auf die Spieler, sah er eine Meute ängstlicher Jugendlicher, die das harte Training fürchteten. "Es soll um einen gewissen Adolf Raschpichler gehen", meinte Wallander, nachdem er die Schrift Favres gelesen hatte. Favre schreibt wirklich so, wie er spricht. "Ah, der Adolf. Der ist gerade in Jugendhaft, nachdem er sich geprügelt hatte", antwortete Schorsch, schlug Wallander auf die Schulter und fuhr fort, "kommst halt am Dienstag wieder, da ist er wieder beim Training. Der Junge hatte eine schwere Jugend. Der heißt Raschpichler und hat den Namen von seinen Eltern. Und die machen dem Namen alle Ehre. Mutter und Vater." Wallander bedankte sich höflich und ging. Er dachte darüber nach, ob man wirklich einen brutalen Kriminellen zur schwarzen Faust holen sollte. Zum Vereinsnamen würde der Typ zweifelsohne passen. Vielleicht auch zum Image des Bezirks. Er würde sich zumindest den Spieler ansehen bzw. ihn filmen. Von Fußball hatte er selbst ja gar keine Ahnung. In Gedanken kam er wieder in seiner Bleibe an. Mittlerweile hatte er Hunger, denn gegessen hatte er noch nichts. Er machte sich frisch und ging wieder los. Nachdem er sich den Magen vollgeschlagen hatte, kehrte er wieder heim. Noch ein Absacker aus der Enzianflasche und das Bett rief.
Am 4. Oktober fesselte Wallander ein Durchfall an die Kloschüssel. Dabei sollte ihn eigentlich Ann-Britt ans Bett fesseln, aber sie war ja weit weg. Er musste etwas falsches gegessen haben. Dieser schreckliche Tag verging nicht schnell, denn es lief nur Müll im TV.
Der 5. Oktober begann wieder mit festem Stuhl. Wallander entschied, Ann-Britt unter einem Vorwand nach Tirol zu locken. Er musste diese Romanze endlich zu Ende bringen. Er rief in Berlin an: "Ann-Britt, setzen sie einen Vorvertrag auf und reisen mir nach. Seien sie am 7. Oktober hier. So gegen morgen. Nehmen sie am besten einen Nachtzug." Ann-Britt schrieb fleißig den Auftrag ihres Chefs mit, denn Wallander hörte das Kratzen des Bleistifts auf dem Papier. Sie gelobte zu kommen. Nachdem er aufgelegt hatte, rief Wallander: "Das ist ein Bingo", um sich schon nach einigen Sekunden zu besinnen und laut auszurufen: "Bingo." Wallander beschloss am Abend einen draufzumachen. Tagsüber wollte er noch etwas wandern. Er kam in ein entlegenes Bergdorf, das nur aus wenigen Häusern bestand. Die Häuser sahen sich alle sehr ähnlich, denn sie waren alle armselig. Einige Kinder kamen von der Schule. Sie sehen sich alle sehr ähnlich. Wallander musste immer wieder daran denken, was mit den Menschen passieren würde, wenn man den Inzest über viele Generationen treiben würde. Wieder in der Ferienwohnung zurück, duschte er. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr in die Landeshauptstadt Innsbruck. Verärgert dachte er darüber nach, dass er Ann-Britt nach einem Strip-Lokal und einem Puff hätte fragen sollen. Sie hätte das recherchieren können. Dafür würde sich doch bezahlt. Aber jetzt war es zu spät. Er wurde jedoch schnell fündig. Wallander traf in der Nähe der Altstadt auf ein Striplokal, parkte seinen Wagen und ging hinein. Er schaute sich um und sah in den Gesichtern der anderen Kunden deren halbes Leben. Ärzte, Richter, Anwälte. Er konnte sich richtig vorstellen, mit welchen Ausreden sich die feinen Herren beiden Frauen herausgeredet hatten. Schatz, ich bin heute bei dem Benefizessen. Du solltest aber nicht mitkommen, denn in dein Kleid passt du nicht mehr hinein oder Schatz, ich muss noch ein paar Akte durchnehmen äh Akten wälzen oder Ich geh mal kurz Kippen kaufen. Alles verlogene und bigotte Arschlöcher. Jeder hatte Angst entdeckt zu werden. Erpressung, Bloßstellung, Vernichtung des gesamten bürgerlichen Lebens drohte. Wallander hingegen saß ganz gechillt da. Seine Frau war in Malmö, sechs Fuß unter der Erde. Und er fühlte sich richtig gut: Anzug am Körper, Whiskey-Glas in der rechten, Zigarre in der linken Hand, Chantal auf, Latte in der Hose. Bald lernte er noch Doreen und Natascha kennen. Irgendwann konnte er nicht mehr. Er stand auf und ging zum Türsteher. "Kannst du mir nen Puff empfehlen", fragte Wallander. Der Schrank, der neben der Tür stand, blickte voller Verachtung auf Wallander herab, schnaubte und sagte: "Ja. Zwei Blocks weiter. Mein Bruder arbeitet da." Wallander schaute angeekelt drein. "Als Türsteher", schob der Schrank hinterher. Wallander war erleichtert. "Wie heißt der Laden", fragte Wallander. "Café Aphrodite", bekam er als Antwort. Na hoffentlich hat der Puff auch ne Braune, wenn er sich schon Café nennt, dachte sich Wallander. Er stieg in seinen Wagen, machte die Fenster runter. Der Bass hämmert in der Häuserschlucht. Zwei Minuten später war er am Café Aphrodite. Er ging hinein und bestellte einen Latte mal kaun. Es verging viel Zeit und ließ ziemlich viel Geld in der Aphrodite, bevor er wieder hinauskam. Er war gut angetrunken, aber zufrieden. Euphorisiert fuhr er zurück. Auf dem Weg in sein Alpental drohte er die Kontrolle über den VW Phaeton zu verlieren, aber er kriegte das noch hin.
Der Vormittag des 6. Oktober verging rasch. Am Nachmittag ging Wallander zum Sportplatz und machte Aufnahmen vom Raschpichler-Adolf. Der passt genau ins Image vom Verein. Jung und brutal. Auf dem Platz senst er alles um. Deshalb will der Favre ihn auch haben: alle haben vor ihm Respekt, egal wo er spielt. Das macht ihn polyvalent. Und auf polyvalente Typen stand Favre. Wallander ging früh ins Bett.
Am Morgen des 7. Oktober klingelte um 5 Uhr der Wecker. Wallander stand auf und duschte sich. Nach einem kurzen Frühstück setzte er sich in seinen Wagen und fuhr nach Innsbruck. Am Bahnhof traf er Ann-Britt. Sie sah schön aus, eben wie immer. Sie beschlossen, erstmal ein ausgiebiges Frühstück einzunehmen und dann einen Stadtspaziergang zu machen. Diesmal bestellte Wallander einen Latte Macchiato. Im Kreuzgang der Hofkirche setzten sie sich zwischen die Sträucher auf eine Bank und sahen den Vögeln zu. Wallander dachte sich: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Er kam Ann-Britt näher. Sie tat dasselbe und schlussendlich küssten sie sich. Wallander triumphierte innerliche. Jetzt war es für ihn nur noch ein Arbeitssieg, sie auch ins Bett zu bekommen. Sie genossen aber erstmal noch die Stadt. Gegen Abend stiegen sie in seinen Wagen und fuhren zurück zur Ferienwohnung. Dort kamen sie die ganze Nacht nicht zur Ruhe.
Am 8. Oktober schliefen sie gegen Morgen ein. Gegen Mittag wachten sie auf. Wallander machte ein üppiges Frühstück. Sie köpften eine Flasche Prosecco. Als sie fertig waren, stieß Ann-Britt das Tablett auf den Boden. Gläser und Teller zerplatzen scheppernd. Butter, Kaffee und Aufschnitt verteilten sich auf dem Boden. Doch die beiden registrierten das nicht. Am frühen Abend duschte Wallander. Er nahm den Vorvertrag und ging zum Raschpichler, der ohne zu lesen unterschrieb. Wallander sah sich den Sportplatz an. Es war kalt geworden und regnete. Er schaute an den Flutlichtmasten hinauf und wie zur Bestätigung dessen, was er mittlerweile auf der Haut fühlte, sah er das Wasser wie dicke Wollfäden von den Flutlichtern hinabfließen. Auch die nächste Nacht war für Wallander und Ann-Britt unruhig.
Am Morgen des 9. Oktober entschied sich Wallander zur Abreise. Es war neblig, die Wälder des Berges konnte man teilweise gar nicht mehr richtig sehen. Er bezahlte die Bleibe und stellte die Taschen ins Auto. Sie fuhren los. Man kam gut voran. Erst bei München bekam man noch etwas vom Berufsverkehr mit. Auch hier war es neblig. An der Autobahn sah er das Schild "Allianz Arena". Doch er sah sich um. Dort wo die Arroganz-Arena eigentlich stehen sollte, sah er eine Nebelwand. Er dachte an "Nebel" von Stephen King und hoffte beinahe, dass es Realität würde. Wallander drückte auf die Tube, als er der Verkehr wieder flüssiger wurde. Er wollte vor dem Nachmittagsberufsverkehr in den Neuen Ländern sein, denn dort gibt es keinen Berufsverkehr. Dort arbeitet doch eh kaum noch einer. Am frühen Abend kamen sie in Berlin an. Wallander und Ann-Britt gingen in die Geschäftsstelle. Er war genervt. Ann-Britt begann von Beziehung und Liebe zu reden, das ging schon die letzten zwei Stunden so. Er wollte allein sein. Wallander schloss sich in seinem Büro ein, nachdem er Ann-Britt angewiesen hatte, noch etwas Bürokram zu erledigen. Er legte sich auf seine Ledercouch und betrachtete das Beistelltischchen. Er musste nachdenken. Doch warum tat er das nicht? Bald bekam er einen klaren Kopf. Er nahm das Telefon und klingelte den Apparat von Ann-Britt an. Säuselnd meldete sie sich: "Ja, Schatz." Wallander lief es kalt den Rücken runter. "Kommen sie in mein Büro", erklärte er bestimmend. Er schloss ihr auf. "Soll ich wieder für dich den Boden putzen", fragte sie kichernd. "Ann-Britt, um ihren Job steht es nicht gut. Ich musste zwei Abmahnungen aussprechen. Die erste, weil sie ihre Aufgaben nicht ordentlich erledigt haben. Sie hätten mir alles recherchieren und buchen müssen, was ich für eine Reise brauche: Hotel, Stripperinnen, Nutten. Das haben sie nicht getan. Die zweite, weil sie mich permanent duzen. Das ist respektlos. Wenn sie gehen, wird das ein ganz mieses Zeugnis", sagte er kalt. Sie brach in Tränen aus und schrie: "Ich hasse dich." "Wir können das ändern. Sie unterschreiben die Vertragsauflösung und ich vernichte die beiden Abmahnungen und es gibt ein 1a-Zeugnis", sagte Wallander und ergänzte, "das ist doch ein Deal, oder?" "Das werde ich nicht tun", schrie sie. "Ich werde schon einen guten Grund für eine dritte Abmahnung damit die Entlassung finden. Verlassen sie jetzt mein Büro", sagte Wallander. Er schlief auf der Ledercouch ein.
Er erwachte am Morgen des 10. Oktober. Im Traum war ihm eine geniale Idee gezeigt worden. Er würde nach dem aktuellen Turnier bei der schwarzen Faust, das den Titel "Kampf um die Latexfaust" trägt ein Turnier unter seinem Namen ausrichten: den Wallander-Pokal. Neben dem Preisgeld würde der Gewinner ein überlebensgroßes Bild von ihm bekommen. Er rief einen befreundeten Zeichner an, der sofort ins Büro kam. Jener sollte eine Kohlezeichnung Wallanders anfertigen. Er solle Wallander auf den Stufen der Geschäftsstelle posierend zeichnen, wie er die Sonne über seinem Kopf in den Händen hält. Wallander achtete auf eine möglichst martialische Darstellung. Er der Kämpfer und Herrscher. Das gefiel ihm. Wallander fuhr zufrieden heim. Dem Künstler reichte ein Foto Wallanders um das Werk zu schaffen. Wallander trank noch etwas Enzian-Schnaps, den er nach Berlin mitgebracht hatte. Zufrieden schlief Wallander ein.
Sein Handy klingelte. Es war der 11. Oktober. Wallander drückte weg. Es war zu viel Enzian gestern Abend. Das Handy klingelte erneut und erneut erzeugte Wallander im Ohr des Anrufers ein Besetztzeichen. Beim dritten Anruf ging er ran: "Wallander. Wer stört denn so früh?" "Wie wer stört so früh? Favre ier. Isch schaue schon seit drei Stunden Spieler-DVDs. Isch brauche jetzt die von Raschpichler", säuselte der Schweizer. "Dann hol sie dir ab, du Hund", fluchte Wallander. Nichtmal 20 Minuten später klingelte es Sturm. Wallander öffnete die Tür. Es war der Schweizer. Wallander gab ihm die DVD und warf den Trainer sehr rüde von seinem Grundstück. Wallander genoss den Tag: er schaute Pornos, trank Bier und brachte so den Tag rum. Am frühen Abend klingelte das Telefon: "Err Wallander, wir brauchen diesen Spieler nischt. Die Reise war umsonst. Er ist in der Balleroberung nicht stark genug. Außerdem mag isch ihn einfach nicht." "Das ist mir auch vollkommen egal, dann kommt er eben nicht", sagte Wallander und legte auf. Er wollte nun noch ins Büro, um den Vorvertrag zu vernichten und Raschpichler zu informieren. Die Eltern von dem waren bestimmt auch Geschwister beschwichtigte Wallander sein Gewissen. Er unterzeichnete die Ausschreibung für den Wallander-Pokal, faxte die Einladung raus und hoffte auf Resonanz. 1.000.000 € Preisgelder und die Zeichnung des großen Wallander wurden ausgespielt.
Am 12. Oktober administrierte Wallander ein paar Dinge. Gegen Mittag hatte er seinen Totpunkt erreicht. Wallander fiel erschöpft auf seine Ledercouch im Büro. Er war alleine, denn Ann-Britt hatte sich krank gemeldet. Er war aber nicht nur alleine, sondern er fühlte sich auch so. Die Arbeit blieb liegen. Dabei sollte sie doch herausfaxen, dass Wallander eine Praktikantin suche. Nun blieb das an ihm selbst hängen.
Doch jetzt muss er sich erstmal entspannen. Die Reise saß ihm noch in den Knochen. Dabei wollte er gar nicht wegfahren, aber sein perfektionistischer Cheftrainer Lucien Favre hatte ihn dazu gezwungen. Er würde sich dafür dereinst rächen. Aber eigentlich sollte er dem arroganten Schweizer dankbar sein: ohne die erzwungene Reise hätte er Ann-Britt noch nicht geknackt. Falls er mal auf die Idee kommen sollte, Favre zu feuern, würde er ein Spiel länger mit der Entlassung warten. Aus Dankbarkeit.

geschrieben von KSD

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