4.529x gelesen 4x abonniert Ausgabe 27/24 04.07.2024 Wallanders Depesche Jetzt registrieren

Wallander 2.0 Verfasst am : 04.11.2009 01:26

Am Mittag des 1. November wachte Wallander auf. Chantal lag neben ihm, aber er fühlte sich schlecht. Man sollte eigentlich keine Beziehungen zu seinen Mitarbeitern haben. Und dann noch die Sekretärin. Mehr Klischee als das geht ja kaum. Vorsichtig weckte Wallander Chantal.
Nachdem sich beide frisch gemacht und gefrühstückt hatten, fuhren sie zuerst zu Chantal, damit sie sich etwas anderes anziehen konnte. Wallander war nun das erste Mal im Norden Neuköllns. So etwas hatte er noch nie gesehen. Hier wirkte nicht nur der Himmel grau, sondern auch die Menschen und das gesamte Umfeld. Vielen sah man Verzweiflung und Wut an. Hier wohnte also Chantal. Wallander fand keinen Parkplatz und parkte deshalb in zweiter Reihe. Eigentlich wollte er im Auto warten, jedoch sagte Chantal fordernd zu ihm: "Kommen Sie doch mit in meine Wohnung." Wallander stellte das Warnblinklicht an, verschloss den Wagen. Chantal öffnete die Haustür. Aber Wallander stellte fest, dass es nur der Zugang zum Innenhof war. Ihm kam ein Schwall Uringeruchs entgegen, was ihn sehr schockierte. Die Wände waren beschmiert. Sie passierten den Innenhof, um ein weiteres Haus zu durchschreiten. Erneut kamen sie in einen Innenhof. "Hier im rechten Seitenflügel habe ich eine Wohnung", sagte Chantal beim Aufschließen der Tür zum Treppenhaus. Im Hof lagen kaputte Möbel und Müllsäcke. Sie gingen drei Treppen hoch. Wenn hier mal saniert würde, wäre das sicherlich echt schön hier, dachte sich Wallander.
Chantal schloss die Wohnungstür auf. Sie gingen hinein. Wallander bekam ein Glas Wasser. "Etwas anderes habe ich leider nicht vorrätig", entschuldigte sie sich. Im Flur ging eine Tür auf. "Ey Mum, hast Du wieder einen neuen Stecher nach Hause gebracht", sagte eine Stimme. Wallander identifizierte die Stimme als die seines Jugendspielers Alfons, der dann auch in die Küche trat. Alfons' Gesichtszüge entglitten und er wusste zuerst gar nicht, was er sagen sollte. "Äh, Entschuldigung. Das meinte ich nicht so", stammelte er.
"Kein Problem. So ganz falsch liegst Du ja nicht", sagte Wallander grinsend und fuhr fort, " allerdings müssen wir uns beeilen. Die Mitgliederversammlung beginnt nach dem Heimspiel und wir müssen da noch einiges vorbereiten."
Chantal verschwand im Schlafzimmer. Zwischen Wallander und Chantals Sohn herrschte eisige Stille. "Soll ich Dich auch gleich mitnehmen zum Platz", fragte Wallander. Alfons zögerte kurz, aber antwortete dann: "Ja, warten Sie, ich pack meine Sachen zusammen." "Ich warte sowieso auf Deine Mutter", sagte Wallander mit einem Zwinkern.

Wallander fuhr mit beiden zum Platz. Die Zeit bis zum Spiel verging rasch. Die Zuschauer sahen einen ungefährdeten 4:0-Sieg. Wallander hielt das für ein gutes Omen für die Mitgliederversammlung.

Im Vereinsheim begann dann die Mitgliederversammlung. Wallander fiel wieder ein, warum er sich zeitlebens für etwas Besseres gehalten hat, als er in die Gesichter der Mitglieder sah. Aber Respekt überkam ihn. Einige von ihnen werden sicherlich ihre Stütze für den Verein aufwenden. Der Versammlungsaal, man nutzte hierfür das große Treppenhaus des Vereinszentrums, stank, denn Lüftungen gab es nicht. Wallander wusste nicht, ob es am Gestank oder an seiner Aufregung lag: ihm war übel. Einen Kurzen brauchte er, damit die Übelkeit verschwand. Er hatte seinen Rechtsanwalt beauftragt, die Versammlung zu eröffnen, damit er nicht selbst etwas bei den ganzen Formalien falsch macht. Wallander langweilte sich. Seine Rede war er schon mehrfach in Gedanken durchgegangen. Er nickte leicht weg, ohne wirklich zu schlafen. Erst als der Anwalt sagte: "Deshalb bitte ich jetzt unseren Insolvenzverwalter und kommissarischen Geschäftsführer über seine Tätigkeiten zu berichten. Herr Wallander, Sie haben das Wort. Und bedenken Sie, dass einstige Gläubiger auch hier sitzen", war Wallander wieder voll da. Er erhob sich und ging ans Rednerpult:

"Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Mitglieder, sehr geehrte Pressevertreter,
ich wurde von den Gläubigern des Vereins als Insolvenzverwalter eingesetzt und sollte die Konkursmasse abwickeln.
Mit dieser Aufgabe bekam ich die Akte auf den Tisch. Doch je mehr ich mich mit diesem Verein beschäftigt und mich in die Geschichte des Vereins eingelesen habe, desto stärker wurde der Drang in mir, diesen Verein selbst zu leiten. Ich musste viel Überzeugungsarbeit bei den Gläubigern leisten, um Zahlungsaufschub zu erwirken. Sie lenkten ein und ich konnte beginnen, den Verein mit der Hilfe eines zinslosen Darlehens wieder fit zu machen. Das Darlehen ist zeitlich unbegrenzt und wir werden es zurückzahlen, wenn wir uns dazu stark genug betrachten. Mittlerweile gibt es keine Gläubiger mehr. Der Verein ist saniert.
Ein zweiter Abstieg in Folge konnte abgewendet werden. Hierfür musste ich einige Entscheidungen treffen, die wehgetan haben. Nach nur sechs Spielen habe ich den Chef-Trainer des Vereins, Stu Dettmero, vor die Tür gesetzt. Ich weiß, dass er dem Verein fest verwachsen war, aber es ging nicht anders. Bei einer Bilanz von einem Sieg und sechs Niederlagen konnte es kein Weiterso mehr geben. Stu Dettmero war für die Schwarze Faust das, was Jürgen Klopp für den FSV Mainz 05 war. Zuerst Spieler, dann Trainer und Manager. Trotzdem musste er gehen.
Den Neuanfang wollte ich mit dem Stürmer Lucky Strike versuchen. Dies hat jedoch auch nicht geklappt. Er hat die Doppelbelastung nicht ertragen. Mit einem Sieg und zwei Unentschieden hat er aber die Trendwende eingeleitet. Ihm musste ich aber auch noch die Blamagen im Atzencup ankreiden. Seine Amtszeit war bereits nach drei Liga-Spielen beendet.
Und dann kam unser Chef-Trainer, der den Erfolg nach Britz zurück gebracht hat: Lucien Favre. Mit zwölf Siegen, sieben Unentschieden und nur sechs Niederlagen brachten wir mit ihm eine Trendwende in Gang, die dann in einem Tabellenplatz 8 und insgesamt 51 Punkten mündete. Wir hatten wieder Selbstvertrauen. In der nun noch neuen Saison haben wir bisher zwei Spiele gewonnen und ich bin gespannt, wie es weitergeht.
Ich habe sogar mittlerweile so viel an Geld erwirtschaftet, dass wir die Weiterentwicklung des Stadions forcieren können. Dies erhöht langfristig die Einnahmen des Vereins.
Offiziell ist es deshalb jetzt an der Zeit festzustellen, dass meine Aufgabe und damit auch meine Amtszeit beendet ist. Ich lege mein Amt als Insolvenzverwalter nieder, weil der komplette Konkurs abgewendet werden konnte. Aber ich möchte eine kleine Episode erzählen: als ich ein kleiner Junge war, ging ich immer zu den Spielen von Malmö FF. Und ich wollte immer Fußballer werden. Dann später, als es für eine Fußballerkarriere zu spät war, wollte ich Trainer werden. Als ich merkte, dass ich dazu auch nicht fähig bin, wollte ich zumindest Manager von Malmö werden. Das hat nicht geklappt. Aber die Vorsehung hat mich hierher geführt. Vielleicht ziehen Sie ja entsprechende Schlüsse. Danke."

Wallander stand auf dem Podium, die Menge im Auditorium. Es gab standing ovations, wie es sie bei Mitgliederversammlungen von Die schwarze Faust selten gab. Der Anwalt leitete dann den Wahlgang des Managers ein. Er bat um Bewerbungen oder Vorschlägen aus der Menge, da noch keine Bewerbungen vorlägen. Eine ältere Dame stand auf. Sie hatte Tränen in den Augen. Mit zitternder Stimme sagte sie: "Ich schlage Kurt Wallander vor." Weitere Vorschläge gab es nicht mehr. Wallander wurde mit 576 von 576 abgegebenen Stimmen zum neuen Manager gewählt.
Nach der Wahl setzte er erneut zu einer Rede an:
"Liebe Freunde,
mit großer Freude habe ich den Vorschlag zur Kenntnis genommen und mit ebenso großer Freude nehme ich die Wahl zum Manager an. Damit habe ich ja schon gerechnet und vorgesorgt. Ich konnte in einigen Telefonaten eine Koryphäe des internationalen Fußballs für ein Engagement gewinnen. Er ist auch heute zu Gast und wird gleich in den Saal kommen."
Während Wallander dies sagte, gingen in dem bisher tristen Saal die Lichter aus und farbige Lichter an. Ein Spotlight beleuchtete Wallander, ein anderer eine geschlossene Tür.
"Begrüßt mit mir den Mann, der 1990 Weltmeister geworden ist: Lothar Matthäus."
Es gab Buhrufe und Pfiffe aus dem Publikum.
"War doch nur ein Spaß", beschwichtigte Wallander lachend und fuhr fort, "ich habe aber ein anderes Personalangebot. Ich will, dass dieser Verein einen authentischen Präsidenten bekommt. Dafür schlage ich Stu Dettmero vor, den ich ja leider feuern musste." Ebenfalls mit 576 von 576 Stimmen wurde dieser Antrag angenommen. Danach wurde das Budget für die aktuelle Spielzeit vorgestellt und die Veranstaltung geschlossen.

Danach führte Wallander auserlesene Gäste in den Lounge-Bereich des Vereinszentrums. Er hatte den Raum eigens einrichten lassen. Er war dunkel gehalten. Schwarze Ledersofas flankierten den Raum auf beiden Seiten. Gegenüber vom Eingang war eine Bar. Es roch alles frisch. Aber schon bald wich dieser Geruch Zigarrenqualm. Auf einer Leinwand wurden die schönsten Szenen der vergangenen Saison gezeigt, es lief seichte Chillout-Musik. Selbst der nervige Trainer war dabei. Er analysierte jedoch die gezeigten Spielszenen und verärgerte einige Gäste dadurch, dass er zu oft darum bat, dass eine Szene nochmals gezeigt würde. Bald wurde er hinausgebeten. In der Soccer-Lounge wurde noch bis zum nächsten Morgen getrunken. Gegen sechs Uhr am 2. November holten einige Taxis betrunkene Gäste ab. Wallander bestellte ein Taxi für sich und Chantal. Sie fuhren zu Chantal und legten sich erstmal ins Bett. Als Wallander am 2. November abends aufwachte, hatte er einen regenreichen Tag, aber auch den dritten Saisonsieg des Vereins verschlafen.

geschrieben von KSD

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4.50/4

Kommentare

onesto schrieb am 04.11.2009 12:11 Uhr

Weiter so. Was ist eigentlich mit der Damenmannschaft?

MichaelZorc schrieb am 04.11.2009 08:03 Uhr

GEIL!!!