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Wallander ist wieder voll dabei Verfasst am : 18.11.2009 00:17

Wallander erwachte mit brutalen Kopfschmerzen. Er lag in seinem eigenen Erbrochenen. Es war fünf vor zwölf und am Abend würde er das alles entscheidende Spiel haben. Aus Angst hiervor hatte sich Wallander gestern Abend mit Alkohol zugeschüttet. Diese Scheiß Spielsucht hatte ihn wieder in den Fängen.

Es begann alles bei der Feier nach der Mitgliederversammlung. Dort hatte er einen Elite-Pokerer kennen gelernt. Gemeinsam sprachen sie bis zum Morgengrauen über ihre Spielerkarrieren. Und Wallanders Karriere war lang. Schon früh fing er an zu spielen: Pokern, Einarmiger Bandit, Roulette, Sportwetten. Alles schaffte er mit wechselndem Erfolg. Zeitweise war er hoch verschuldet. Es muss kurz nach dem Freitod seiner Frau gewesen sein, als er binnen kürzester Zeit die Lebensversicherung verspielt hatte. Unter dem Motto Das hole ich wieder alles rein verschuldete sich Wallander damals. Er schickte seine Kinder zum Betteln auf die Straße, damit sie überhaupt noch etwas zu essen hatten. Irgendwann entschied er sich, wieder hauptsächlich arbeiten zu gehen und nicht mehr aufs Spielen zu setzen. Der Absprung gelang ihm.

Doch sein Gesprächspartner holte ihn wieder zurück. Er sollte in einer Gruppe einsteigen, die regelmäßig um Geld spielt. Er zögerte kurz, sah dann aber die Chance, noch mehr als schon jetzt auf dicke Hose machen zu können. "Ich bin dabei", sagte Wallander damals.

An diesen Satz erinnerte er sich trotz seiner brutalen Kopfschmerzen. Und immer noch hatte er den bitter-sauren Geruch des Erbrochenem in seiner Nase. Er hob seinen Kopf kurz hoch und er blinzelte etwas. Es war verdammt hell. Chantals Sohn stand vor ihm und machte mit seiner Handy-Kamera Aufnahmen. Wallander wollte etwas sagen, doch aus seinem Mund kam nur ein weiterer Schwall Kotze, der direkt auf den weißen Chucks von Alfons sein Ziel fand, die Wallander ihm letzte Woche noch gekauft hatte. Alfons quittierte dies mit einem Tritt in Wallanders Magengrube. Wallander stöhnte auf.

"Ich gehe jetzt zum Training. Und wenn ich wieder zurück bin, will ich Dich hier nicht mehr sehen. Und Du wirst niemals wieder meine Mutter vögeln. Wenn Dich doch noch mal hier sehe und Du noch mal auf meiner Mutter liegst, trete ich Dich zu Brei", sagte Alfons mit einer sonoren Stimme, ging zur Tür, zog sich seine Chucks aus und warf sie in die Lache des Erbrochenen. Wallanders Kopf sackte ebenfalls wieder dorthin zurück.

Er musste wieder daran denken, wie es war, als er wieder das erste Mal seit damals in einem Hinterzimmer pokerte. Es war ein kleines Zimmer mit einem runden Tisch, der von acht Stühlen flankiert wurde. Über dem Tisch hing eine Lampe, die ein mattes Licht von sich gab, welches durch den Zigarrenqualm noch matter wurde. Die Wände waren karg, teilweise hing die Tapete in Fetzen von der Wand. Neben der Eingangstür hing ein Poster des Hibernian FC. Wallander blieb an zwei Einschusslöchern in der Wand hängen. "Wir haben hier auch mal Russisch Roulette gespielt", sagte sein Gesprächspartner von der Mitgliederversammlung, der auch Kopf der Gruppe war, "jedoch war die Wirtin damit nicht einverstanden. Ich verstehe sie auch: der ganze Dreck und die Scherereien mit der Polizei." Auf einem kleinen Beistelltischchen neben der Tür stand ein Gerät zum Zählen von Banknoten.

Hier lernte Wallander auch den Mann kennen, mit dem er morgen um alles spielen würde. Ein hagerer Mann mit einem Junkie-Gesicht ging auf ihn zu, reichte ihm eine dünne Hand und sagte: "Freut mich Sie kennen zu lernen. Mein Name ist Mark Renton. Aber wir duzen uns hier sowieso. Nenn' mich einfach Rents. Das hier ist Sick Boy." Er zeigte dabei auf einen blondierten Typen mit einem arroganten Gesicht. "Hey Miss Moneypenny", sagte der blondierte Typ zu Wallander zur Begrüßung. Rents fuhr mit seiner Vorstellungsrunde fort, indem er auf einen etwas debil dreinblickenden Typen schaute und sagte: "Das ist Spud." Der debile Typ schaute noch debiler und grinste Wallander nur an. "Das hier ist Frank Begbie", sagte Rents, als er auf Wallanders Gesprächspartner zeigte. Den letzten Mann stellte Rents als Johnny Swan vor. "White Swan sorgt hier für unser leibliches Wohl", erklärte Rents und zeigte grinsend auf Einstichlöcher an seinem Arm. Rents setzte von neuem an: "Ich erkläre Dir jetzt ein paar Regeln. Regel Nr. 1: Hier ist Euro-freie Zone. Wir kommen von der Insel und in diesem Raum wird nur mit Pfund gespielt. Natürlich kannst Du Dir Pfund kaufen, aber wir haben unseren speziellen Wechselkurs. Regel Nr. 2: Spielschulden sind Ehrenschulden. Wenn Du etwas setzt und verlierst, gehört es uns. Gibst Du es uns nicht, nehmen wir es uns. Regel Nr. 3: Es wird nicht rumlamentiert, wenn Dir etwas nicht passt. Regel Nr. 4: Jetzt wird erstmal gekokst." Für Johnny Swan war dies wie ein Signal, denn er begann Lines für alle vorzubereiten.
Wallander fühlte sich geil und aufgeputscht. Anfangs verlor und gewann er nur Kleckerbeträge. Doch plötzlich gewann er einen Riesenpot. Glücksgefühle breiteten sich über seinen ganzen Körper aus. Er war wieder dabei. Ein Junkie muss vorher auch unangenehmes und nerviges über sich ergehen lassen, bevor der Schuss kommt. Er muss den Arm abbinden, dann den Stoff erhitzen, die Spritze aufziehen. Dann muss er eine Ader finden. Und das alles zitternd. Dann durchdringt die Nadel die Haut, danach die Wand des Blutgefässes. Er zieht etwas Blut ein und dann drückt er ab und die Achterbahnfahrt der Gefühle geht los. Wie ein Film läuft es vor ihm ab.
Wie bei einem Junkie hat auch Wallander wieder dieses geile Gefühl. Er dachte an seinen Vorsatz, dass er nie wieder spielen würde. Irgendwann musste es vorbei sein. Lieber würde er sterben, als dass er jetzt wieder aufhört.
Am Ende des Abends hatte Wallander £ 2,300 verloren. Aber das würde er alles wieder reinbekommen. "Wann treffen wir uns wieder", fragte er Rents, als sie sich bei Morgengrauen trennten. "Du willst die Revanche, schlag einen Tag vor", sagte Rents als Antwort. Wallander überlegte kurz. Es war der Morgen des 5. Novembers und er fröstelte. Es war zwar noch dunkel, aber Wallander sah die nassen Blätter auf der Straße, die vom Licht der Laternen glänzten. Es war eisige Stille. "Ich schlage den 8. November vor", sagte Wallander und durchschnitt damit die Ruhe. "Gut. Dann sehen wir uns am 8. November hier", sagte Rents.

Wallander setzte immer mehr, sogar auf Pump. Die Schuldenspirale drehte sich immer mehr. Er gab immer irgendwelche Sicherheiten, die er nicht besaß: das Haus, in dem er wohnte, seine geleasten Autos. Als sie sich am 16. November getroffen hatten und Wallander wieder auf Pump mitgespielt hatte, belief sich sein Schuldenstand bei den anderen, den sich Wallander erspielt, erkokst und sogar mittlerweile erfixt hat, auf £ 537,000.
"Ich schlage Dir einen Deal vor, Kurt", begann Rents. "Morgen Abend werde ich gegen Dich spielen. Jeder von uns startet mit 20.000 Pfund in Chips. Gewinnst Du, erlassen wir Dir Deine Schulden. Gewinnen wir, bekommen wir Deinen Verein."
Es war für Wallander wie ein Schlag, aber ein sehr dumpfer Schlag. Er spürte nichts mehr. Hatte er sich tatsächlich so weit ins Abseits manövriert? Würde er jetzt alles verlieren, was er hier hatte? Selbst Chantal wollte ihn rauswerfen, weil er ihren Schmuck geklaut und verspielt hatte. Er konnte das zwar mit einem Fick wieder in Ordnung bringen, aber auf Dauer würde das nicht gut gehen. Dass er mittlerweile ein Junkie geworden war, hatte eher ihren Sohn gestört, der beim Frühstück die Einstichlöcher in Wallanders Armbeugen sah.
Wallander ging zu einer Tankstelle, um sich Schnaps zu kaufen. Als er feststellte, dass er hierfür kein Geld hatte, ging er in die Geschäftsstelle. Melancholisch stieg er die Stufen des Treppenhauses hoch. Er wusste schon, dass er dieses Reich verlieren würde. Hier fand er noch etwas Schnaps. Er brach die Kaffeekasse auf, nahm das Geld und kaufte sich nun an der Tankstelle Schnaps. Nun ging er zu Chantal in die Wohnung, legte sich auf das Sofa und öffnete die erste Flasche. Innerhalb von nur zwei Stunden manövrierte er sich ins Nirvana.

Er spürte einen stechenden Schmerz auf seiner Hand. Der Schmerz nahm zu und er musste sich schon wieder übergeben. Es war Chantal, die mit ihren Pumps auf seiner linken Hand stand. "Du erbärmliches Stück Scheiße. Du dreckiger Spieler und dreckiger Junkie, verpiss Dich aus meiner Wohnung", schrie sie. Sie drehte sich um, öffnete die Tür, ging hinaus und schlug sie zu.

Nun stand Wallander wieder ohne Matratze da. Die Zeit bis zum Abend verging rasend schnell. Wallander hatte sich mit Tabletten und Wasser wieder halbwegs fit gemacht. Gegen 20 Uhr machte er sich auf den Weg. Wallander musste laufen, denn er besaß derzeit weder Auto noch Führerschein. Es war gar nicht mal so kalt, sondern für einen 17. November sogar ziemlich mild. Auf dem Weg zur Kneipe traf er Spieler seiner Mannschaft, die sich über ihn lustig machten. Alfons hatte also die Handyvideos rumgezeigt. Dieser gottverdammte Hurensohn, dachte sich Wallander und stellte dann fest, dass er ja absolut richtig lag.

Im Hinterzimmer setzte er sich auf seinen Platz. Rents saß schon am Tisch, die anderen waren etwas Abseits. "20.000 Pfund in Chips. Es wird gespielt, bis einer keine Chips mehr hat. Der ist dann der Verlierer. Für Dich Kurt würde das bedeuten, dass wir ab sofort Deinen Verein besitzen. Für Dich Rents würde das bedeuten, dass wir Dir kräftig den Arsch aufreißen, weil Du unsere Kohle verspielt hast", erklärte Begbie die Regeln und deutete mit seinem Bierglas bedrohlich schwungvoll eine Wurfbewegung an. Das Glas rutschte ihm aus der Hand, Rents jedoch konnte ausweichen. Das Bierglas zersprang an der Wand. "Du bist doch irre", schrie Rents. Wallander freute sich über den Zoff. Doch bald ging es los. Runde um Runde wechselten kleine Beträge den Besitzer. Doch dann zogen bald die Blinds an. Um 22:34 Uhr ging Wallander All-In. Und um 22:41 Uhr hatte er keine Chips mehr, denn die Runde ging verloren.

Gemeinsam fuhren sie zur Geschäftsstelle des Vereins. Wallander übertrug Rents und Begbie alle seine Amtsvollmachten. Er selbst trat als Manager zurück. Damit war die Ära Wallander endgültig vorbei. Freundlich baten sie ihn aus der Geschäftsstelle, nachdem er seine Schlüssel abgegeben hatte. Sick Boy rief ihm noch hinterher: "Du hast nur noch die Lizenz zu sterben, Miss Moneypenny." Sie lachten. Sie lachten ihn aus. Wallander war am Ende. Er wollte dereinst den Lauf der Sonne beeinflussen. Das hätte er auch geschafft, wenn er nicht mit den Drogen und der Spielsucht angefangen hätte. Er war ja schon fast stark genug, um die Sonne festzuhalten. Er setzte sich in der Buschkrugallee auf den Bordstein und dachte über das nach, was er erlebt hatte.

Darüber würde er ein Buch schreiben und er würde es Wallanders Faust nennen, dachte er sich. Doch jetzt würde er sich erstmal ordentlich betrinken. Am 17. November endete die Amtszeit von Kurt Wallander.

geschrieben von KSD

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