4.522x gelesen 4x abonniert Ausgabe 27/24 02.07.2024 Wallanders Depesche Jetzt registrieren

Rückkehr nach Ystad Verfasst am : 29.07.2010 01:10

Am 23. Juli schlief Wallander aus. Als er um halb zehn aufwachte, wusste er, dass es seine letzte Nacht in seiner alten Wohnung in der Karl-Marx-Straße war. Uschi Kruppke hatte ihm eine Wohnung in Wilmersdorf besorgt. Er konnte sie sofort beziehen und hat von den Jungs des Teams die Möbel von IKEA aufbauen lassen. Seine Möbel aus dieser Dreckswohnung wollte er nicht mitnehmen. Nur den Fernseher, seine Klamotten und die Pornosammlung mussten mit. Aber jetzt genoss er erstmal den Morgen. Er kochte sich einen Tee und frühstückte. Plötzlich klingelte das Telefon. Scheiße, kann man nicht mal in aller Ruhe frühstücken, fluchte Wallander innerlich. Er ging an den Apparat. Es war Uschi Kruppke: "Juten Tach, Chef. Hier hat so eene Hanna Soderblom anjerufen. die meente, dat se Se mal schleunichst zurückrufen solln." Wallander antwortete: "Naja, ich werde erstmal noch frühstücken und dann in die Geschäftsstelle fahren. Ich bin in einer Stunde da, Ricken soll mir bis dahin die Übersicht über Schwächen und Stärken des Kaders auf den Tisch legen. Schicken so außerdem ein paar Jungs, die ein paar Kartons aus meiner alten Wohnung in die neue bringen. Bis gleich." Er legte auf. Als er einen Löffel der Corn Flakes nahm, merkte er, dass die Milch schlecht war. Wallander ekelte sich vor verdorbener Milch. Er erbrach sich. Wallander ekelte sich vor Erbrochenem. Er erbrach sich erneut. Er kürzte das Frühstück ab und duschte. Er zog sich an und stieg in seinen Mietwagen.
"Guten Tag, Frau Kruppke. Rufen Sie bitte Frau Soderblom an und stellen Sie dann durch", befahl Wallander, als er in der Geschäftsstelle ankam. Er setzte sich in seinen IKEA-Chefsessel und das Telefon klingelte. "Ick hab die Soderblom am Apperat", sagte Uschi Kruppke und legte auf.
"Guten Tag, Frau Soderblom. Meine Name ist Kurt Wallander, sie wollten mich dringend sprechen", begann Wallander das Gespräch, während er mit Schrecken das Dossier über die Spieler durchsah. Es lag eine Menge Arbeit vor ihm und seinem Trainer.
"Hallo Kurt, ich bin es, Hanna, erinnerst Du Dich nicht", fragte die ziemlich alt klingende Frauenstimme am Telefon.
"Nein, ich erinnere mich nicht. Wenn Sie Ratespiele veranstalten wollen, dann versuchen Sie es bei jemand anderes. Ich habe viel zu arbeiten", grantelte Wallander in das Telefon.
"Wir haben vor 30 Jahren in Malmö miteinander geschlafen. Du hast mir damals ewige Liebe und Treue versprochen. Erinnerst Du Dich jetzt", setzte sie nach.
"Naja, das habe ich vielen Frauen nach einer geilen Nacht versprochen. Das klingt aber sehr wahr. Das war damals meine Masche. Ich bin von Ort zu Ort gezogen, habe die Frauen gevögelt, während meine Alte zu Hause die Kinder aufgezogen hat. Was rufst Du mich aber nach so langer Zeit an, hast Du wieder Bock", antwortete Wallander belustigt.
"Nein, Du Arschloch. Wir haben einen gemeinsamen Sohn. Patrik Soderblom", antwortete sie. Jetzt kam Wallander der Name bekannt vor. Er hatte ihn in den Unterlagen gesehen. Es war ein Vorschlag von Ricken für die Verstärkung in der Innenverteidigung. Ricken hat sich echt gut entwickelt in der Zeit, er hat zehn ausführlich vorbereitete Transfervorschläge für jede offene Stelle im Team erstellt.
"Spielt Dein Sohn Fußball", fragte Wallander.
"Ja, unser Sohn ist Fußballer. Deshalb rufe ich an. Hier in Ystad hat sich herumgesprochen, dass Du ein erfolgreicher Manager eines Fußballvereins geworden bist. Patrik sucht einen neuen Verein. Er sitzt nur auf der Bank. Er ist depressiv", sagte Hanna Soderblom mit wimmernder Stimme.
"Gut, ich werde sehen, was ich machen kann. Richte Dich darauf ein, dass ich heute oder morgen nach Ystad komme", sagte Wallander bestimmt und legte auf. Er blätterte in den Unterlagen und fand den Bogen von Patrik Soderblom. Der Junge war 29 Jahre und ein starker Innenverteidiger. Wallander entschied, dass in der Innenverteidigung der erste Neuzugang kommen würde. Er wählte aus den zehn Vorschlägen Rickens sechs Kandidaten aus, für die er Ablösevorschläge unterbreiten würde. Soderblom war darunter. Er griff zum Telefon und klingelte im Vorzimmer durch: "Frau Kruppke, kommen Sie bitte in mein Büro."
Uschi Kruppke kam mit einem Notizblock in der Hand. Wallander fiel auf, dass diese alte Frau immer mehr aus sich machte. Sie war immer frisch frisiert und hatte sich auch ein anständiges Parfum zugelegt. Bei seiner ersten Begegnung meinte er noch 4711 Köllnisch Wasser gerochen zu haben. "Wat kann ick für sie machen", fragte sie. "Diese sechs Transferangebote faxen Sie bitte an die Vereine. Versuchen Sie mir einen Flug nach Malmö zu besorgen, möglichst schnell. Wenn es geht noch heute Abend. Ich muss unbedingt nach Schweden, um meinen unehelichen Sohn kennen zu lernen", antwortete Wallander. "Is dit der Sohn von der Soderblom", fragte Kruppke. Wallander antwortete: "Ja, es geht Sie zwar nichts an, aber mit Frau Soderblom hatte ich eine Affäre. Sie möchte nun ihren Sohn hier bei uns unterbringen. Wie es der Zufall so wollte, hat Herr Ricken auch Material über Herrn Soderblom zusammengestellt. Wir bieten auch für ihn." "Jut, dann kümmere ich mir mal um den Flug", antwortete Uschi Kruppke, deren Neugier sichtlich gestillt war. Sie stand auf und verließ das Büro.
Plötzlich stand Wallander auf und ging ihr hinterher. "Haben wir hier einen Atlas", fragte er. "Ja, hier ist eener", sagte Uschi Kruppke und gab ihn Wallander. Mit dem Atlas setzte er sich auf seine Ledercouch. Er schlug die Seite mit der Karte Skandinaviens auf. Dann legte er ein Blatt Papier dazu und schrieb auf, wen er besuchen wollte: In Ystad: Hanna und Patrik Soderblom; die Polizei. In Malmö: meine Tochter Linda. In Karlskrona: meine beste Fickfreundin Kristina Ström. In Lund: Britta. Er dachte an Britta. Ihren Nachnamen kannte er nicht. Er wusste nur, dass sie die beste Nutte von ganz Schonen war. Er schrieb weiter: In Trelleborg: Lena Nyström. Kurt Wallander dachte an Lena. Sie war die letzte Frau, mit der er geschlafen hatte, bevor er Schonen verlassen hat. Er legte den Atlas beiseite. Das Telefon klingelte. Wallander stand auf, ging zum Schreibtisch. Nachdem er abgenommen hatte, dröhnte ihm die Stimme von Uschi Kruppke ins Ohr: "Ick hab nen Flug für se bekommen. Heute Abend, jejen 20 Uhr, jeht der Flieger nach Malmö. Rückflug jeht aber nur Sonntag Mittach oda erst nächste Woche." Wallander dachte kurz nach: "Ich brauche mehr Zeit. Schauen Sie mal, ob ich Montag oder Dienstag von Stockholm oder Kopenhagen nach Berlin komme. Ansonsten schauen Sie mal nach einer Fähre von Trelleborg aus." Er legte auf. Dann wählte er doch noch mal die Durchwahl ins Vorzimmer: "Machen Sie mir bitte einen Tee und organisieren Sie einen Mietwagen, der mir in Malmö zur Verfügung steht."

Einige Minuten später brachte Uschi ihm einen Tee. Er dachte an Schonen und freute sich schon. Über diese Gedanken nickte er ein. Als er aufwachte, war der Tee kalt. Er sprang auf und bestellte sich ein Taxi nach Schönefeld. Er ging ins Vorzimmer. "Frau Kruppke, ich nehme doch den Flug am Sonntag aus Malmö. Die Zeit muss reichen", wies Wallander sie an. Uschi Kruppke nickte und sagte: "Chef, sie sehen echt süß, wenn se schlafen." Wallander wurde schlecht, sein Magen zog sich zusammen und er presste ein: "Aha, Danke", heraus.

Als die Maschine auf dem Flughafen von Malmö aufsetzte wurde Wallander wach. Er hatte einen grässlichen Alptraum gehabt und Uschi Kruppke darin eine Rolle gespielt. Beim Mietwagenverleih gab man ihm die Schlüssel zu einem Wagen. Er entschied, dass es die Bewährungsprobe für Uschi Kruppke sein sollte. Anhand des Wagens würde er entscheiden, ob er sie weiterbeschäftigte oder nicht. Es war ein Phaeton. Wieder hatte er keinen Grund, sie zu feuern. Mit dem Wagen fuhr er nach Ystad. Wie lange war er schon diesen Weg nicht gefahren. Es war kurz nach Mitternacht, als er in die Stadt einfuhr. Er überlegte, wo er schlafen sollte. Es bleibt wohl nur die Rückbank im Wagen, dachte sich Wallander. Er parkte seinen Wagen in der Nähe seiner alten Wohnung in der Mariagata und legte sich auf die Rückbank. Am nächsten Morgen wurde er wach und erschrak: Ein ziemlich missratenes Kind schaute ins Auto und zog Grimassen. Wallander rotzte gegen die Scheibe. Das Kind verschwand angewidert. Er selbst fuhr nun weiter zur Polizeidienststelle. Die alte Empfangsdame von früher gab es nicht mehr. Jetzt saß dort eine eingebildete Ziege, höchstens 25 Jahre alt. "Guten Tag, mein Name ist Kurt Wallander, ich habe hier gearbeitet. Ich würde gerne zur Mordkommission, um ein paar alte Kollegen zu treffen", sagte er. Sie blickte ihn an. Mit Erschrecken stellte er fest, dass sie ihm sehr ähnlich sah. War sie etwa auch ein uneheliches Kind. "Dann gehen Sie halt einfach nach oben", antwortete sie. "Danke", sagte Wallander und ging nach oben. Er traf einige alte Kollegen. Sie gaben ihm die Adresse der Soderbloms. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr los. Er auf die Begegnung mit seinem Sohn gespannt.

geschrieben von KSD

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