4.528x gelesen 4x abonniert Ausgabe 27/24 02.07.2024 Wallanders Depesche Jetzt registrieren

Wallander ist wieder voll dabei

Wallander erwachte mit brutalen Kopfschmerzen. Er lag in seinem eigenen Erbrochenen. Es war fünf vor zwölf und am Abend würde er das alles entscheidende Spiel haben. Aus Angst hiervor hatte sich Wallander gestern Abend mit Alkohol zugeschüttet. Diese Scheiß Spielsucht hatte ihn wieder in den Fängen.

Es begann alles bei der Feier nach der Mitgliederversammlung. Dort hatte er einen Elite-Pokerer kennen gelernt. Gemeinsam sprachen sie bis zum Morgengrauen über ihre Spielerkarrieren. Und Wallanders Karriere war lang. Schon früh fing er an zu spielen: Pokern, Einarmiger Bandit, Roulette, Sportwetten. Alles schaffte er mit wechselndem Erfolg. Zeitweise war er hoch verschuldet. Es muss kurz nach dem Freitod seiner Frau gewesen sein, als er binnen kürzester Zeit die Lebensversicherung verspielt hatte. Unter dem Motto Das hole ich wieder alles rein verschuldete sich Wallander damals. Er schickte seine Kinder zum Betteln auf die Straße, damit sie überhaupt noch etwas zu essen hatten. Irgendwann entschied er sich, wieder hauptsächlich arbeiten zu gehen und nicht mehr aufs Spielen zu setzen. Der Absprung gelang ihm.

Doch sein Gesprächspartner holte ihn wieder zurück. Er sollte in einer Gruppe einsteigen, die regelmäßig um Geld spielt. Er zögerte kurz, sah dann aber die Chance, noch mehr als schon jetzt auf dicke Hose machen zu können. "Ich bin dabei", sagte Wallander damals.

An diesen Satz erinnerte er sich trotz seiner brutalen Kopfschmerzen. Und immer noch hatte er den bitter-sauren Geruch des Erbrochenem in seiner Nase. Er hob seinen Kopf kurz hoch und er blinzelte etwas. Es war verdammt hell. Chantals Sohn stand vor ihm und machte mit seiner Handy-Kamera Aufnahmen. Wallander wollte etwas sagen, doch aus seinem Mund kam nur ein weiterer Schwall Kotze, der direkt auf den weißen Chucks von Alfons sein Ziel fand, die Wallander ihm letzte Woche noch gekauft hatte. Alfons quittierte dies mit einem Tritt in Wallanders Magengrube. Wallander stöhnte auf.

"Ich gehe jetzt zum Training. Und wenn ich wieder zurück bin, will ich Dich hier nicht mehr sehen. Und Du wirst niemals wieder meine Mutter vögeln. Wenn Dich doch noch mal hier sehe und Du noch mal auf meiner Mutter liegst, trete ich Dich zu Brei", sagte Alfons mit einer sonoren Stimme, ging zur Tür, zog sich seine Chucks aus und warf sie in die Lache des Erbrochenen. Wallanders Kopf sackte ebenfalls wieder dorthin zurück.

Er musste wieder daran denken, wie es war, als er wieder das erste Mal seit damals in einem Hinterzimmer pokerte. Es war ein kleines Zimmer mit einem runden Tisch, der von acht Stühlen flankiert wurde. Über dem Tisch hing eine Lampe, die ein mattes Licht von sich gab, welches durch den Zigarrenqualm noch matter wurde. Die Wände waren karg, teilweise hing die Tapete in Fetzen von der Wand. Neben der Eingangstür hing ein Poster des Hibernian FC. Wallander blieb an zwei Einschusslöchern in der Wand hängen. "Wir haben hier auch mal Russisch Roulette gespielt", sagte sein Gesprächspartner von der Mitgliederversammlung, der auch Kopf der Gruppe war, "jedoch war die Wirtin damit nicht einverstanden. Ich verstehe sie auch: der ganze Dreck und die Scherereien mit der Polizei." Auf einem kleinen Beistelltischchen neben der Tür stand ein Gerät zum Zählen von Banknoten.

Hier lernte Wallander auch den Mann kennen, mit dem er morgen um alles spielen würde. Ein hagerer Mann mit einem Junkie-Gesicht ging auf ihn zu, reichte ihm eine dünne Hand und sagte: "Freut mich Sie kennen zu lernen. Mein Name ist Mark Renton. Aber wir duzen uns hier sowieso. Nenn' mich einfach Rents. Das hier ist Sick Boy." Er zeigte dabei auf einen blondierten Typen mit einem arroganten Gesicht. "Hey Miss Moneypenny", sagte der blondierte Typ zu Wallander zur Begrüßung. Rents fuhr mit seiner Vorstellungsrunde fort, indem er auf einen etwas debil dreinblickenden Typen schaute und sagte: "Das ist Spud." Der debile Typ schaute noch debiler und grinste Wallander nur an. "Das hier ist Frank Begbie", sagte Rents, als er auf Wallanders Gesprächspartner zeigte. Den letzten Mann stellte Rents als Johnny Swan vor. "White Swan sorgt hier für unser leibliches Wohl", erklärte Rents und zeigte grinsend auf Einstichlöcher an seinem Arm. Rents setzte von neuem an: "Ich erkläre Dir jetzt ein paar Regeln. Regel Nr. 1: Hier ist Euro-freie Zone. Wir kommen von der Insel und in diesem Raum wird nur mit Pfund gespielt. Natürlich kannst Du Dir Pfund kaufen, aber wir haben unseren speziellen Wechselkurs. Regel Nr. 2: Spielschulden sind Ehrenschulden. Wenn Du etwas setzt und verlierst, gehört es uns. Gibst Du es uns nicht, nehmen wir es uns. Regel Nr. 3: Es wird nicht rumlamentiert, wenn Dir etwas nicht passt. Regel Nr. 4: Jetzt wird erstmal gekokst." Für Johnny Swan war dies wie ein Signal, denn er begann Lines für alle vorzubereiten.
Wallander fühlte sich geil und aufgeputscht. Anfangs verlor und gewann er nur Kleckerbeträge. Doch plötzlich gewann er einen Riesenpot. Glücksgefühle breiteten sich über seinen ganzen Körper aus. Er war wieder dabei. Ein Junkie muss vorher auch unangenehmes und nerviges über sich ergehen lassen, bevor der Schuss kommt. Er muss den Arm abbinden, dann den Stoff erhitzen, die Spritze aufziehen. Dann muss er eine Ader finden. Und das alles zitternd. Dann durchdringt die Nadel die Haut, danach die Wand des Blutgefässes. Er zieht etwas Blut ein und dann drückt er ab und die Achterbahnfahrt der Gefühle geht los. Wie ein Film läuft es vor ihm ab.
Wie bei einem Junkie hat auch Wallander wieder dieses geile Gefühl. Er dachte an seinen Vorsatz, dass er nie wieder spielen würde. Irgendwann musste es vorbei sein. Lieber würde er sterben, als dass er jetzt wieder aufhört.
Am Ende des Abends hatte Wallander £ 2,300 verloren. Aber das würde er alles wieder reinbekommen. "Wann treffen wir uns wieder", fragte er Rents, als sie sich bei Morgengrauen trennten. "Du willst die Revanche, schlag einen Tag vor", sagte Rents als Antwort. Wallander überlegte kurz. Es war der Morgen des 5. Novembers und er fröstelte. Es war zwar noch dunkel, aber Wallander sah die nassen Blätter auf der Straße, die vom Licht der Laternen glänzten. Es war eisige Stille. "Ich schlage den 8. November vor", sagte Wallander und durchschnitt damit die Ruhe. "Gut. Dann sehen wir uns am 8. November hier", sagte Rents.

Wallander setzte immer mehr, sogar auf Pump. Die Schuldenspirale drehte sich immer mehr. Er gab immer irgendwelche Sicherheiten, die er nicht besaß: das Haus, in dem er wohnte, seine geleasten Autos. Als sie sich am 16. November getroffen hatten und Wallander wieder auf Pump mitgespielt hatte, belief sich sein Schuldenstand bei den anderen, den sich Wallander erspielt, erkokst und sogar mittlerweile erfixt hat, auf £ 537,000.
"Ich schlage Dir einen Deal vor, Kurt", begann Rents. "Morgen Abend werde ich gegen Dich spielen. Jeder von uns startet mit 20.000 Pfund in Chips. Gewinnst Du, erlassen wir Dir Deine Schulden. Gewinnen wir, bekommen wir Deinen Verein."
Es war für Wallander wie ein Schlag, aber ein sehr dumpfer Schlag. Er spürte nichts mehr. Hatte er sich tatsächlich so weit ins Abseits manövriert? Würde er jetzt alles verlieren, was er hier hatte? Selbst Chantal wollte ihn rauswerfen, weil er ihren Schmuck geklaut und verspielt hatte. Er konnte das zwar mit einem Fick wieder in Ordnung bringen, aber auf Dauer würde das nicht gut gehen. Dass er mittlerweile ein Junkie geworden war, hatte eher ihren Sohn gestört, der beim Frühstück die Einstichlöcher in Wallanders Armbeugen sah.
Wallander ging zu einer Tankstelle, um sich Schnaps zu kaufen. Als er feststellte, dass er hierfür kein Geld hatte, ging er in die Geschäftsstelle. Melancholisch stieg er die Stufen des Treppenhauses hoch. Er wusste schon, dass er dieses Reich verlieren würde. Hier fand er noch etwas Schnaps. Er brach die Kaffeekasse auf, nahm das Geld und kaufte sich nun an der Tankstelle Schnaps. Nun ging er zu Chantal in die Wohnung, legte sich auf das Sofa und öffnete die erste Flasche. Innerhalb von nur zwei Stunden manövrierte er sich ins Nirvana.

Er spürte einen stechenden Schmerz auf seiner Hand. Der Schmerz nahm zu und er musste sich schon wieder übergeben. Es war Chantal, die mit ihren Pumps auf seiner linken Hand stand. "Du erbärmliches Stück Scheiße. Du dreckiger Spieler und dreckiger Junkie, verpiss Dich aus meiner Wohnung", schrie sie. Sie drehte sich um, öffnete die Tür, ging hinaus und schlug sie zu.

Nun stand Wallander wieder ohne Matratze da. Die Zeit bis zum Abend verging rasend schnell. Wallander hatte sich mit Tabletten und Wasser wieder halbwegs fit gemacht. Gegen 20 Uhr machte er sich auf den Weg. Wallander musste laufen, denn er besaß derzeit weder Auto noch Führerschein. Es war gar nicht mal so kalt, sondern für einen 17. November sogar ziemlich mild. Auf dem Weg zur Kneipe traf er Spieler seiner Mannschaft, die sich über ihn lustig machten. Alfons hatte also die Handyvideos rumgezeigt. Dieser gottverdammte Hurensohn, dachte sich Wallander und stellte dann fest, dass er ja absolut richtig lag.

Im Hinterzimmer setzte er sich auf seinen Platz. Rents saß schon am Tisch, die anderen waren etwas Abseits. "20.000 Pfund in Chips. Es wird gespielt, bis einer keine Chips mehr hat. Der ist dann der Verlierer. Für Dich Kurt würde das bedeuten, dass wir ab sofort Deinen Verein besitzen. Für Dich Rents würde das bedeuten, dass wir Dir kräftig den Arsch aufreißen, weil Du unsere Kohle verspielt hast", erklärte Begbie die Regeln und deutete mit seinem Bierglas bedrohlich schwungvoll eine Wurfbewegung an. Das Glas rutschte ihm aus der Hand, Rents jedoch konnte ausweichen. Das Bierglas zersprang an der Wand. "Du bist doch irre", schrie Rents. Wallander freute sich über den Zoff. Doch bald ging es los. Runde um Runde wechselten kleine Beträge den Besitzer. Doch dann zogen bald die Blinds an. Um 22:34 Uhr ging Wallander All-In. Und um 22:41 Uhr hatte er keine Chips mehr, denn die Runde ging verloren.

Gemeinsam fuhren sie zur Geschäftsstelle des Vereins. Wallander übertrug Rents und Begbie alle seine Amtsvollmachten. Er selbst trat als Manager zurück. Damit war die Ära Wallander endgültig vorbei. Freundlich baten sie ihn aus der Geschäftsstelle, nachdem er seine Schlüssel abgegeben hatte. Sick Boy rief ihm noch hinterher: "Du hast nur noch die Lizenz zu sterben, Miss Moneypenny." Sie lachten. Sie lachten ihn aus. Wallander war am Ende. Er wollte dereinst den Lauf der Sonne beeinflussen. Das hätte er auch geschafft, wenn er nicht mit den Drogen und der Spielsucht angefangen hätte. Er war ja schon fast stark genug, um die Sonne festzuhalten. Er setzte sich in der Buschkrugallee auf den Bordstein und dachte über das nach, was er erlebt hatte.

Darüber würde er ein Buch schreiben und er würde es Wallanders Faust nennen, dachte er sich. Doch jetzt würde er sich erstmal ordentlich betrinken. Am 17. November endete die Amtszeit von Kurt Wallander.
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Wallander 2.0

Am Mittag des 1. November wachte Wallander auf. Chantal lag neben ihm, aber er fühlte sich schlecht. Man sollte eigentlich keine Beziehungen zu seinen Mitarbeitern haben. Und dann noch die Sekretärin. Mehr Klischee als das geht ja kaum. Vorsichtig weckte Wallander Chantal.
Nachdem sich beide frisch gemacht und gefrühstückt hatten, fuhren sie zuerst zu Chantal, damit sie sich etwas anderes anziehen konnte. Wallander war nun das erste Mal im Norden Neuköllns. So etwas hatte er noch nie gesehen. Hier wirkte nicht nur der Himmel grau, sondern auch die Menschen und das gesamte Umfeld. Vielen sah man Verzweiflung und Wut an. Hier wohnte also Chantal. Wallander fand keinen Parkplatz und parkte deshalb in zweiter Reihe. Eigentlich wollte er im Auto warten, jedoch sagte Chantal fordernd zu ihm: "Kommen Sie doch mit in meine Wohnung." Wallander stellte das Warnblinklicht an, verschloss den Wagen. Chantal öffnete die Haustür. Aber Wallander stellte fest, dass es nur der Zugang zum Innenhof war. Ihm kam ein Schwall Uringeruchs entgegen, was ihn sehr schockierte. Die Wände waren beschmiert. Sie passierten den Innenhof, um ein weiteres Haus zu durchschreiten. Erneut kamen sie in einen Innenhof. "Hier im rechten Seitenflügel habe ich eine Wohnung", sagte Chantal beim Aufschließen der Tür zum Treppenhaus. Im Hof lagen kaputte Möbel und Müllsäcke. Sie gingen drei Treppen hoch. Wenn hier mal saniert würde, wäre das sicherlich echt schön hier, dachte sich Wallander.
Chantal schloss die Wohnungstür auf. Sie gingen hinein. Wallander bekam ein Glas Wasser. "Etwas anderes habe ich leider nicht vorrätig", entschuldigte sie sich. Im Flur ging eine Tür auf. "Ey Mum, hast Du wieder einen neuen Stecher nach Hause gebracht", sagte eine Stimme. Wallander identifizierte die Stimme als die seines Jugendspielers Alfons, der dann auch in die Küche trat. Alfons' Gesichtszüge entglitten und er wusste zuerst gar nicht, was er sagen sollte. "Äh, Entschuldigung. Das meinte ich nicht so", stammelte er.
"Kein Problem. So ganz falsch liegst Du ja nicht", sagte Wallander grinsend und fuhr fort, " allerdings müssen wir uns beeilen. Die Mitgliederversammlung beginnt nach dem Heimspiel und wir müssen da noch einiges vorbereiten."
Chantal verschwand im Schlafzimmer. Zwischen Wallander und Chantals Sohn herrschte eisige Stille. "Soll ich Dich auch gleich mitnehmen zum Platz", fragte Wallander. Alfons zögerte kurz, aber antwortete dann: "Ja, warten Sie, ich pack meine Sachen zusammen." "Ich warte sowieso auf Deine Mutter", sagte Wallander mit einem Zwinkern.

Wallander fuhr mit beiden zum Platz. Die Zeit bis zum Spiel verging rasch. Die Zuschauer sahen einen ungefährdeten 4:0-Sieg. Wallander hielt das für ein gutes Omen für die Mitgliederversammlung.

Im Vereinsheim begann dann die Mitgliederversammlung. Wallander fiel wieder ein, warum er sich zeitlebens für etwas Besseres gehalten hat, als er in die Gesichter der Mitglieder sah. Aber Respekt überkam ihn. Einige von ihnen werden sicherlich ihre Stütze für den Verein aufwenden. Der Versammlungsaal, man nutzte hierfür das große Treppenhaus des Vereinszentrums, stank, denn Lüftungen gab es nicht. Wallander wusste nicht, ob es am Gestank oder an seiner Aufregung lag: ihm war übel. Einen Kurzen brauchte er, damit die Übelkeit verschwand. Er hatte seinen Rechtsanwalt beauftragt, die Versammlung zu eröffnen, damit er nicht selbst etwas bei den ganzen Formalien falsch macht. Wallander langweilte sich. Seine Rede war er schon mehrfach in Gedanken durchgegangen. Er nickte leicht weg, ohne wirklich zu schlafen. Erst als der Anwalt sagte: "Deshalb bitte ich jetzt unseren Insolvenzverwalter und kommissarischen Geschäftsführer über seine Tätigkeiten zu berichten. Herr Wallander, Sie haben das Wort. Und bedenken Sie, dass einstige Gläubiger auch hier sitzen", war Wallander wieder voll da. Er erhob sich und ging ans Rednerpult:

"Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Mitglieder, sehr geehrte Pressevertreter,
ich wurde von den Gläubigern des Vereins als Insolvenzverwalter eingesetzt und sollte die Konkursmasse abwickeln.
Mit dieser Aufgabe bekam ich die Akte auf den Tisch. Doch je mehr ich mich mit diesem Verein beschäftigt und mich in die Geschichte des Vereins eingelesen habe, desto stärker wurde der Drang in mir, diesen Verein selbst zu leiten. Ich musste viel Überzeugungsarbeit bei den Gläubigern leisten, um Zahlungsaufschub zu erwirken. Sie lenkten ein und ich konnte beginnen, den Verein mit der Hilfe eines zinslosen Darlehens wieder fit zu machen. Das Darlehen ist zeitlich unbegrenzt und wir werden es zurückzahlen, wenn wir uns dazu stark genug betrachten. Mittlerweile gibt es keine Gläubiger mehr. Der Verein ist saniert.
Ein zweiter Abstieg in Folge konnte abgewendet werden. Hierfür musste ich einige Entscheidungen treffen, die wehgetan haben. Nach nur sechs Spielen habe ich den Chef-Trainer des Vereins, Stu Dettmero, vor die Tür gesetzt. Ich weiß, dass er dem Verein fest verwachsen war, aber es ging nicht anders. Bei einer Bilanz von einem Sieg und sechs Niederlagen konnte es kein Weiterso mehr geben. Stu Dettmero war für die Schwarze Faust das, was Jürgen Klopp für den FSV Mainz 05 war. Zuerst Spieler, dann Trainer und Manager. Trotzdem musste er gehen.
Den Neuanfang wollte ich mit dem Stürmer Lucky Strike versuchen. Dies hat jedoch auch nicht geklappt. Er hat die Doppelbelastung nicht ertragen. Mit einem Sieg und zwei Unentschieden hat er aber die Trendwende eingeleitet. Ihm musste ich aber auch noch die Blamagen im Atzencup ankreiden. Seine Amtszeit war bereits nach drei Liga-Spielen beendet.
Und dann kam unser Chef-Trainer, der den Erfolg nach Britz zurück gebracht hat: Lucien Favre. Mit zwölf Siegen, sieben Unentschieden und nur sechs Niederlagen brachten wir mit ihm eine Trendwende in Gang, die dann in einem Tabellenplatz 8 und insgesamt 51 Punkten mündete. Wir hatten wieder Selbstvertrauen. In der nun noch neuen Saison haben wir bisher zwei Spiele gewonnen und ich bin gespannt, wie es weitergeht.
Ich habe sogar mittlerweile so viel an Geld erwirtschaftet, dass wir die Weiterentwicklung des Stadions forcieren können. Dies erhöht langfristig die Einnahmen des Vereins.
Offiziell ist es deshalb jetzt an der Zeit festzustellen, dass meine Aufgabe und damit auch meine Amtszeit beendet ist. Ich lege mein Amt als Insolvenzverwalter nieder, weil der komplette Konkurs abgewendet werden konnte. Aber ich möchte eine kleine Episode erzählen: als ich ein kleiner Junge war, ging ich immer zu den Spielen von Malmö FF. Und ich wollte immer Fußballer werden. Dann später, als es für eine Fußballerkarriere zu spät war, wollte ich Trainer werden. Als ich merkte, dass ich dazu auch nicht fähig bin, wollte ich zumindest Manager von Malmö werden. Das hat nicht geklappt. Aber die Vorsehung hat mich hierher geführt. Vielleicht ziehen Sie ja entsprechende Schlüsse. Danke."

Wallander stand auf dem Podium, die Menge im Auditorium. Es gab standing ovations, wie es sie bei Mitgliederversammlungen von Die schwarze Faust selten gab. Der Anwalt leitete dann den Wahlgang des Managers ein. Er bat um Bewerbungen oder Vorschlägen aus der Menge, da noch keine Bewerbungen vorlägen. Eine ältere Dame stand auf. Sie hatte Tränen in den Augen. Mit zitternder Stimme sagte sie: "Ich schlage Kurt Wallander vor." Weitere Vorschläge gab es nicht mehr. Wallander wurde mit 576 von 576 abgegebenen Stimmen zum neuen Manager gewählt.
Nach der Wahl setzte er erneut zu einer Rede an:
"Liebe Freunde,
mit großer Freude habe ich den Vorschlag zur Kenntnis genommen und mit ebenso großer Freude nehme ich die Wahl zum Manager an. Damit habe ich ja schon gerechnet und vorgesorgt. Ich konnte in einigen Telefonaten eine Koryphäe des internationalen Fußballs für ein Engagement gewinnen. Er ist auch heute zu Gast und wird gleich in den Saal kommen."
Während Wallander dies sagte, gingen in dem bisher tristen Saal die Lichter aus und farbige Lichter an. Ein Spotlight beleuchtete Wallander, ein anderer eine geschlossene Tür.
"Begrüßt mit mir den Mann, der 1990 Weltmeister geworden ist: Lothar Matthäus."
Es gab Buhrufe und Pfiffe aus dem Publikum.
"War doch nur ein Spaß", beschwichtigte Wallander lachend und fuhr fort, "ich habe aber ein anderes Personalangebot. Ich will, dass dieser Verein einen authentischen Präsidenten bekommt. Dafür schlage ich Stu Dettmero vor, den ich ja leider feuern musste." Ebenfalls mit 576 von 576 Stimmen wurde dieser Antrag angenommen. Danach wurde das Budget für die aktuelle Spielzeit vorgestellt und die Veranstaltung geschlossen.

Danach führte Wallander auserlesene Gäste in den Lounge-Bereich des Vereinszentrums. Er hatte den Raum eigens einrichten lassen. Er war dunkel gehalten. Schwarze Ledersofas flankierten den Raum auf beiden Seiten. Gegenüber vom Eingang war eine Bar. Es roch alles frisch. Aber schon bald wich dieser Geruch Zigarrenqualm. Auf einer Leinwand wurden die schönsten Szenen der vergangenen Saison gezeigt, es lief seichte Chillout-Musik. Selbst der nervige Trainer war dabei. Er analysierte jedoch die gezeigten Spielszenen und verärgerte einige Gäste dadurch, dass er zu oft darum bat, dass eine Szene nochmals gezeigt würde. Bald wurde er hinausgebeten. In der Soccer-Lounge wurde noch bis zum nächsten Morgen getrunken. Gegen sechs Uhr am 2. November holten einige Taxis betrunkene Gäste ab. Wallander bestellte ein Taxi für sich und Chantal. Sie fuhren zu Chantal und legten sich erstmal ins Bett. Als Wallander am 2. November abends aufwachte, hatte er einen regenreichen Tag, aber auch den dritten Saisonsieg des Vereins verschlafen.
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Italienischer Abend nach bayrischem Liga-Auftakt.

Wallander jubelte beim Schlusspfiff. Einen 0:8-Auswärtssieg gegen den SC Türkiyemspor Bad Saulgau aus dem Raum München hatte er nicht erwartet. Erfreut trat er die Heimreise nach Berlin an. Er wusste, dass er nicht viel Zeit hatte. Der 31. Oktober war ein schöner Herbsttag. Doch der 1. November würde kommen. Es würde der Tag der Mitgliederversammlung sein, nach der er nicht mehr nur der Insolvenzverwalter sein würde, sondern ordentlich gewählter Manager des Vereins.
Doch er hatte noch etwas vor sich: ein Bewerbungsgespräch von Chantal Ricken, Mutter seines 19-jährigen Jugendstars. Ihr erstes inoffizielles Bewerbungsgespräch hatte sie eigentlich schon. Damals kam sie in Wallanders Büro, sie hatte die Tür aufgeworfen. Sie kam unangemeldet, naja, bei wem hätte sie sich auch anmelden sollen. Ann-Britt Höglund war nicht mehr zur Arbeit erschienen. Zuerst hatte sie sich noch krank schreiben lassen. Doch dann kamen nicht mal mehr die Atteste. Irgendwann stellte er die Entlassung aus. Jedoch wurde der per Einschreiben verschickte Brief nicht angenommen. Wallander war darüber sehr traurig, da er den Brief sogar parfümiert hat. Er hat das Parfum genommen, das er auch in der Nacht getragen hatte, in der sie miteinander Sex hatten. Vermutlich hat sie einen anderen, diese Schlampe, dachte er sich. Scheiß drauf, Junge, es gibt so viele Frauen, hatte sein Vater ihm gesagt, als Wallander von seiner ersten Freundin verlassen worden war, und daran musste er denken, als die Entlassung zurück kam. Einige Tage später klingelte es in der Geschäftsstelle. Wallander ging die Treppen der Geschäftsstelle herunter. Er war sehr einsam. Eigentlich sollte er Leute einstellen, damit es voller würde. Aber dem Verein fehlte das Geld. An der Tür angekommen, öffnete er diese. Sie klemmte etwas. Er würde einen Handwerker bestellen. Vor ihm stand eine Polizistin, sie war hübsch, schätzungsweise Mitte 30. Ihre Uniform betonte ihre Taille. Wallander war spitz. Dann sah er schräg hinter ihr einen Polizisten, der ungefähr 20 Jahre älter als die Polizistin und dazu noch ungepflegt war. Dieser Anblick half Wallander die Fassung wiederzugewinnen. Die Polizistin fragte: "Sind Sie Kurt Wallander?" "Ja, das bin ich. Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen", antwortete Wallander. Die Polzistin hob an und sagte: "Ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihre Sekretärin Ann-Britt Höglund Selbstmord begangen hat. Wir haben einen Abschiedsbrief gefunden, der an Sie gerichtet war. Das Tragische ist, dass Frau Höglund vergessen hatte, den Brief einzuwerfen, bevor sie den tödlichen Tabletten-Cocktail genommen hat. Sie hat angefangen zu stinken und wir haben ihre Wohnung aufbrechen müssen. Sie waren der Grund für den Selbstmord. Sie meinte, Sie hätten sie sitzen gelassen. Hier eine Kopie des Briefes. Das Original bleibt bei den Unterlagen." Sie machte ein vorwurfsvolles Gesicht. Wallander fühlte sich kurz etwas schlecht. Doch dann rechtfertigte er sich: "Frau Kommissarin. Sie war etwas enttäuscht, dass wir zwar was miteinander hatten, ich aber keine Beziehung mit ihr wollte. Ann-Britt ist total abgedreht. Sie war ja schon kurz vor der Hochzeit. Sie wissen ja, wie Frauen sind: einmal gevögelt und schon wird man sie nicht mehr los." Damn dachte sich Wallander, als er den Satz zu Ende gebracht hatte. Der fette, ungepflegte Polizist lachte. Die Kommissarin war verärgert, händigte ihm die Kopie aus, drehte sich um und ging. Im Gehen rief sie: "Einen schönen Tag noch." Wallander drehte sich auch um, ging hinein und knallte die Tür zu. Jetzt muss ich die Sekretärinnenstelle ausschreiben, dachte sich Wallander. Er war sauer, dass er durch Ann-Britts Tod diese Mehrbelastung hatte. Sie hätte das doch noch machen können. Ein Selbstmord kann doch nicht aus heiterem Himmel kommen. Einmal ins Büro kommen, mit ihm zusammen das Fax fertig machen und an die Arbeitsagentur faxen. Dann hätte sie nach Hause gehen und seinetwegen auch mit dem Fön baden können. Jetzt ließ sie ihn so sitzen. Aber das spielte an jenem Tag, an dem Chantal Ricken zu ihm kam, keine Rolle mehr. Er erinnerte sich genau daran. Sie war eine schöne Frau: groß, blond, schlank. Wallander sabberte innerlich, als sie sich damals vor ihm aufbaute. "Mein Sohn hat mir erzählt, dass er nicht in der Startelf ist. Darüber wollte ich mit Ihnen reden", sprach die schöne Frau. Sie stand vor seinem Schreibtisch und wippte bedrohlich mit ihrem Oberkörper. Wer hat sie nur reingelassen, vermutlich war es die 20-jährige Putzpraktikantin, sinnierte Wallander und versuchte mit seinen Augen ihre wippende Brust festzuhalten. Doch die Brust hielt seinen Blick fest. Bald fand Wallander die richtigen Worte. Als es ihm auch gelang, wieder zu Atem zu kommen, meinte er: "Tut mir leid, ähm, ich, ähm. Also Ihr Sohn kann doch höchstens in der D-Jugend spielen. Darauf ähm… äh habe ich keinen Einfluss." Sie lachte und Wallander glaubte, dass der ganze Raum von ihrem Lachen bebte. Dann sagte sie: "Mein Sohn ist Alfons Ricken. 19 Jahre alt und er ist zwar Jugendspieler, aber auch schon in der Mannschaft. Und wir wollen Tacheles reden. Ich bin ein böses Mädchen. Ich war mit 13 schwanger, kurz nach meinem 14. Geburtstag kam Alfons auf die Welt. Ich weiß nicht, wer der Vater ist. Ich bin zwar rund 19 Jahre älter, aber immer noch genauso böse und versaut wie damals. Ich habe gute Argumente, dass mein Sohn bald öfter spielt und irgendwann in die 1. Mannschaft kommt." Während sie dies sagte, glitt sie regelrecht zur Tür und schloss zu.
Plötzlich hielt der Zug am Hauptbahnhof. Wallander war verärgert, da er gerade damit begann, den gemeinsamen Abend mit Chantal erneut zu durchlaufen. Er stieg aus und fuhr nach Britz. Dort holte er schnell die Einstellungsunterlagen aus dem Büro. Zu Hause angekommen zauberte er ein italienisches Abendessen. Bald klingelte es und Chantal stand vor der Tür. Sie trug ein enges Top und einen extrem kurzen Mini-Rock. Dazu hatte sie kniehohe Stiefel an. Wallander stammelte einige Begrüßungsworte. Sie setzten sich und aßen erstmal. Nach dem Essen begannen sie das Einstellungsgespräch.
"Frau Ricken, Sie haben mich bei unserem ersten Zusammentreffen schwer beeindruckt," begann Wallander, wobei Chantal lächelte. "Deshalb habe ich mich entschieden, Sie als Sekretärin bei mir einzustellen, da ich erfahren habe, dass Sie privat nicht gut situiert sind. Ich will Ihnen helfen. Das Procedere ist etwas ungewöhnlich. Ich habe die Stelle nie ausgeschrieben, da ich so viel um die Ohren habe, dass das immer untergegangen ist. Sie haben daher keine Unterlagen eingereicht. Ich bitte Sie, einfach etwas über sich zu erzählen. Wo sind Sie geboren? Was für eine Schulbildung haben Sie? Welche Berufe hatten Sie bisher? Erzählen Sie einfach", forderte Wallander sie mit einer übertriebenen Gestik sie zu einem mündlichen Lebenslauf auf.
Chantal lächelte. Sie begann etwas aufgeregt: "Also mein Name ist Chantal Ricken. Geboren wurde ich in Gelsenkirchen. Dort –"
"Entschuldigung, ich komme nicht aus Deutschland. Wo liegt Gelsenkirchen", unterbrach er sie.
"Gelsenkirchen liegt im Ruhrpott", erklärte sie.
"Fahren Sie fort", sagte Wallander, während er sein Gesicht verzog. Ruhrpott, darüber hatte er nichts Gutes gehört.
"Dort besuchte ich zuerst die Grund-, dann die Hauptschule. Mit 14 wurde ich Mutter. Später brach ich die Schule ohne Abschluss ab. Ich machte mich selbstständig, denn ich wollte meinem Alfons ja etwas bieten", erzählte sie über ihre Schullaufbahn und schob dabei mir der rechten Hand ihren Mini-Rock immer etwas höher.
"Was haben Sie beruflich gemacht?", fragte Wallander.
Chantal grinste: "Ich habe meine größte Leidenschaft, die ich schon früh entdeckt hatte, zum Beruf gemacht."
"Und die Leidenschaft wäre dann welche?", fragte Wallander.
"Sex", lautet ihre klare Antwort.
Das hätte ich erwarten können. Gelsenkirchen, keinen Schulabschluss. Die einzige Rettung vor der Sozialhilfe war da natürlich Prostitution. Wallanders Gedanken kreisten um seine eigene Blauäugigkeit.
"Und wie kamen Sie nach Berlin?", fragte Wallander.
"Ein Zuhälter hatte mich bedroht, ich sollte für ihn arbeiten. Doch ich bestand auf meine Selbstständigkeit. Ich bin wichtig für Deutschland. Ich gehöre zum Mittelstand. Das wollte ich erhalten. Außerdem fürchtete ich um die Sicherheit von Alfons. Deshalb ging ich nach Dortmund. Der Typ war mir aber auf den Fersen. Deshalb habe ich einen Schlussstrich gezogen und bin nach Berlin gegangen. Ich habe gehört, dass hier bessere Arbeitsbedingungen herrschen sollen. Und das wurde nicht enttäuscht", führte sie aus.
"Als Sekretärin haben Sie aber keine Erfahrung", fragte Wallander.
"Nein, aber ich bin flexibel", antwortete sie etwas verlegen.
"Davon bin ich überzeugt", sagte Wallander und sah sie an. Er wollte ihr in die Augen sehen. Doch er fand die Augen nicht, denn er blieb immer auf halber Strecke liegen. "Ich nehme Sie ähm… also ich stelle Sie ein. Sie finden sich bestimmt gut ein", sagte Wallander. Chantal freute sich. "Aber eines müssen Sie mir versprechen", sagte er drohend.
"Was denn?", fragte Chantal verunsichert.
"Ich habe gehört, dass Sie schon mit einigen Vätern von Jugendspielern geschlafen haben. Ich habe auch gehört, dass Ihr Sohn die Treffen organisiert und terminiert. Das muss aufhören. Zwei Ehen sind schon auseinander gegangen. Und ich bekomme ja auch nicht alles mit. Vielleicht sind es mittlerweile schon drei oder vier. Das ist hier ein Fußballverein und kein Bordell", meinte Wallander bestimmend, wobei er sich sorgte, dass er sie damit zu sehr verschrecken könnte.
Chantal kicherte wie ein kleines Kind und sagte dann: "Versprochen. Wenn ich ein geregeltes Einkommen habe, dann brauche ich das ja auch nicht mehr."
Wallander und Chantal besiegelten dann noch in der ihnen eignen Art die Einstellung. Als sie morgens gemeinsam einschliefen, war bereits der 1. November angebrochen.
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Scouting-Reise mit Ann-Britt.

Wallander fiel erschöpft auf seine Ledercouch im Büro. Er war alleine, denn Ann-Britt hatte sich krank gemeldet. Er war aber nicht nur alleine, sondern er fühlte sich auch so. Die Arbeit blieb liegen. Dabei sollte sie doch herausfaxen, dass Wallander eine Praktikantin suche. Nun blieb das an ihm selbst hängen.
Doch jetzt muss er sich erstmal entspannen. Die Reise saß ihm noch in den Knochen. Dabei wollte er gar nicht wegfahren, aber sein perfektionistischer Cheftrainer Lucien Favre hatte ihn dazu gezwungen. Er würde sich dafür dereinst rächen.
Es begann alles am Nachmittag des 30. September: Wallander fläzte sich auf seiner Couch und rauchte eine Zigarre, Ann-Britt robbte über den Boden und wischte den Kaffeefleck weg, der entstanden war, weil Wallander versehentlich die Kaffeetasse aus der Hand gefallen war. Er sah Ann-Britt dabei zu. Mit einem Mal flog die Tür auf und gegen den Kopf von Ann-Britt. Sie hatte eine Platzwunde an der Stirn. "Err Wallander, isch abe einen ervorragenden Tipp bekommen. Ein Spieler aus Autriche. Leider abe isch keine DVDs, um ihn anzuse-en. Fahren sie bitte dort-in und filmen sie ihn. Ier aben sie die Adresse", erklärte Lucien Favre sein stürmisches Auftreten. "Äh, ja. Ich überlege es mir", antwortete Wallander, der Favre dafür hasste, dass er ihn um den Anblick von Ann-Britts Hintern gebracht hatte. Wallander entschied sich, auf Reise zu gehen. "Ann-Britt, richten sie ihr ramponiertes Gesicht und bestellen sie mir einen standesgemäßen Mietwagen für zwei Wochen. Ich mache Urlaub", sagte er mit bestimmendem Tonfall seiner Sekretärin, die sich mit dem Putzlappen das Blut aus dem Gesicht wusch. "Navi ist übrigens Standard", fügte Wallander hinzu. Ann-Britt nickte konsterniert und ging.
Am Morgen des 1. Oktober holte Wallander den Wagen ab. Er staunte nicht schlecht. Ann-Britt hatte ihm einen Top-Wagen bestellt: einen VW Phaeton. Gut gelaunt startete er in Richtung Alpen. Die neunstündige Fahrt verging wie im Flug. Es war ein kleines verschlafenes Nest in einem Tiroler Alpental.
Erschrocken stellte Wallander fest, dass Ann-Britt ihm gar kein Hotel bestellt hatte. Diese dumme Schlampe, wofür bezahle ich die eigentlich? dachte er sich. Entnervt suchte sich Wallander eine Ferienwohnung, direkt am Berghang gelegen. Vom Haus aus hatte man einen wunderbaren Ausblick auf das Tal und über den See. Die Sonne war untergegangen und langsam verschwand auch das letzte Licht der Abenddämmerung.
Am 2. Oktober erwachte Wallander früh. Er genoss spazierend den Sonnenaufgang. Es würde ein warmer Tag werden, spürte Wallander. Er beschloss, seinen Weg zum Sportplatz zu machen. Dort angekommen suchte er nach den Trainingszeiten und Spielterminen der A-Jugend. In dieser Mannschaft sollte laut Favre der zu beobachtende Spieler spielen. In Wallander kam wieder der Hass gegen den Trainer auf, der ihn um den Anblick Ann-Britts gebracht hat. Jetzt wird hat sie diese hässliche Wunde in der Visage. Das schöne Gesicht. Wallander dachte sehnsüchtig an Teile von Ann-Britts Körper, die Favre nicht versaut hatte. Nun ging er zum Supermarkt und kaufte einige Sachen ein. Zum Sportplatz muss er sowieso erst am Samstag Nachmittag zurückkehren. Nach dem Einkauf machte er sich etwas zu essen. Vollgefressen legte er sich für eine Stunde hin. Wieder aufgewacht war er hochgradig unzufrieden. Er brauchte ein paar Sekunden, bis ihm klar war, was passiert war. Er lag auf dem Boden. Mutmaßlich ist er wohl im Schlaf von der Couch gefallen. Dabei hatte er die bräunlich bestickte Tischdecke vom Zimmertisch gezogen und dadurch die auf dem Tisch befindliche violette Vase zerbrochen. In der Vase waren hässliche, künstliche Blumen. Wenn er es richtig sah, war der Plastik-Enzian verstaubt. Das würde er am Ende des Urlaubs monieren, um Rabatt zu bekommen. Enzian war aber das richtige Stichwort. Er stand auf, ging in die Küche und nahm sich die Flasche, die er mittags gekauft hatte. Er goss sich ein Stamperl - wie der gemeine Österreicher Schnapsgläser nennt - ein. Dann beschloss er noch etwas zu wandern. Es war ja gerade erst drei Uhr und die Sonne schien. Gegen sechs Uhr erreichte er eine Berghütte und trank dort noch ein paar Bier und ein paar selbstgebrannte Obstler. Er musste an die Pressekonferenz des letzten Atzencups denken. Er wusste nicht so ganz, warum. Die Sonne schickte sich an unterzugehen und er konnte es nicht verhindern. Dies zwang ihn dazu auf der Hütte zu schlafen. Es war enttäuschend für ihn, festzustellen, dass er nicht fähig war, den Lauf der Sonne zu bremsen. Er der große Kurt Wallander, der sonst alles im Griff hat und dem sonst alles gehorcht, hatte keine Kraft. Daran würde er arbeiten müssen. Nach seiner Rückkehr würde er sich in einem Fitnessstudio anmelden. Und nach ein paar Wochen würde er ein krasser Ochse sein und die Sonne bezwingen. Sie würde vor ihm Respekt haben. Er merkte, dass er betrunken war und schlief ein.
Wallander weckte die gerade aufgehende Sonne, die das kärgliche Bauernzimmer beleuchtete. Das helle Licht brannte in seinem Auge. Die Einrichtung war sehr bescheiden. Fließend Wasser gab es nicht, sondern es stand eine Kanne mit frischem Wasser auf einer Kommode. Er hoffte zumindest, dass das Wasser frisch war. Er wünschte sich, dass er weiterschlafen könnte, doch dies funktionierte nicht. Die Kopfschmerzen hielten ihn davon ab. Außerdem fiel ihm auf, dass der 3. Oktober angebrochen war. Er muss fit sein. Das Mannschaftstraining der A-Jugend steht an. Wallander kämpfte sich zur Kommode, wusch sich zog sich Hose und Pullover an und ging. Dem Hüttenwirt gab er einen kleinen Obolus für die Logis. Für den Abstieg brauchte er deutlich länger als hinauf. Immer wieder musste er Rast machen und seinen Alkoholbrand mit dem Wasser eines kleinen Quellbachs, der am Weg entlang floss befrieden. Gegen elf Uhr Vormittag kam er an der Ferienwohnung an. Er legte sich noch etwas hin. Kurz vor drei wachte Wallander wieder auf. Dieses Mal war er auf dem Sofa geblieben und nicht runtergefallen. Wallander war zufrieden. Die Kopfschmerzen waren auch weg. Er ging zum Sportplatz und musterte die Spieler. Seine Kamera ließ er noch in der Tasche, denn er wollte nicht als schwuler Spanner gelten. Denn das war er nicht. Naja, ein Spanner war er schon, zumindest wenn Ann-Britt in der Nähe war. Aber dazu stand er und darauf war er stolz. Ein Spieler holte Wallander wieder aus seinen Gedanken, denn er lief mit leicht behindertem Gang und strengem Seitenscheitel über das Spielfeld. Der passt zum Namen, dachte sich Wallander und blickte auf den zerknitterten Zettel, den Favre ihm zugesteckt hatte. Adolf las Wallander. "Hey, sie da. Wer sind sie? I kenn sie net", rief ein stark untersetzter Mann Wallander zu. Es ist vermutlich der Trainer der Mannschaft. "Mein Name ist Kurt Wallander. Ich bin kommissarischer Geschäftsführer von Die schwarze Faust 07. Das ist ein Berliner Fußballverein. Wir waren sogar mal in der zweiten Bundesliga. Mein Cheftrainer lässt immer wieder neue Spieler scouten. Leider können wir uns keine professionellen Scouts leisten, weshalb ich hierher gefahren bin, um von einem Spieler eine DVD zu machen. Der Trainer will ihn analysieren und dann vielleicht verpflichten", erklärte Wallander. Der untersetzte Mann antwortete grobschlächtig: "I bin der Hacker-Schorsch. I heiß so, weil die Buben sich immer zerhoackert fühlen, wenn i mit denen nach dem Training durch bin. Um welchen Spieler geht’s denn?" Schorsch hatte recht. Blickte er auf die Spieler, sah er eine Meute ängstlicher Jugendlicher, die das harte Training fürchteten. "Es soll um einen gewissen Adolf Raschpichler gehen", meinte Wallander, nachdem er die Schrift Favres gelesen hatte. Favre schreibt wirklich so, wie er spricht. "Ah, der Adolf. Der ist gerade in Jugendhaft, nachdem er sich geprügelt hatte", antwortete Schorsch, schlug Wallander auf die Schulter und fuhr fort, "kommst halt am Dienstag wieder, da ist er wieder beim Training. Der Junge hatte eine schwere Jugend. Der heißt Raschpichler und hat den Namen von seinen Eltern. Und die machen dem Namen alle Ehre. Mutter und Vater." Wallander bedankte sich höflich und ging. Er dachte darüber nach, ob man wirklich einen brutalen Kriminellen zur schwarzen Faust holen sollte. Zum Vereinsnamen würde der Typ zweifelsohne passen. Vielleicht auch zum Image des Bezirks. Er würde sich zumindest den Spieler ansehen bzw. ihn filmen. Von Fußball hatte er selbst ja gar keine Ahnung. In Gedanken kam er wieder in seiner Bleibe an. Mittlerweile hatte er Hunger, denn gegessen hatte er noch nichts. Er machte sich frisch und ging wieder los. Nachdem er sich den Magen vollgeschlagen hatte, kehrte er wieder heim. Noch ein Absacker aus der Enzianflasche und das Bett rief.
Am 4. Oktober fesselte Wallander ein Durchfall an die Kloschüssel. Dabei sollte ihn eigentlich Ann-Britt ans Bett fesseln, aber sie war ja weit weg. Er musste etwas falsches gegessen haben. Dieser schreckliche Tag verging nicht schnell, denn es lief nur Müll im TV.
Der 5. Oktober begann wieder mit festem Stuhl. Wallander entschied, Ann-Britt unter einem Vorwand nach Tirol zu locken. Er musste diese Romanze endlich zu Ende bringen. Er rief in Berlin an: "Ann-Britt, setzen sie einen Vorvertrag auf und reisen mir nach. Seien sie am 7. Oktober hier. So gegen morgen. Nehmen sie am besten einen Nachtzug." Ann-Britt schrieb fleißig den Auftrag ihres Chefs mit, denn Wallander hörte das Kratzen des Bleistifts auf dem Papier. Sie gelobte zu kommen. Nachdem er aufgelegt hatte, rief Wallander: "Das ist ein Bingo", um sich schon nach einigen Sekunden zu besinnen und laut auszurufen: "Bingo." Wallander beschloss am Abend einen draufzumachen. Tagsüber wollte er noch etwas wandern. Er kam in ein entlegenes Bergdorf, das nur aus wenigen Häusern bestand. Die Häuser sahen sich alle sehr ähnlich, denn sie waren alle armselig. Einige Kinder kamen von der Schule. Sie sehen sich alle sehr ähnlich. Wallander musste immer wieder daran denken, was mit den Menschen passieren würde, wenn man den Inzest über viele Generationen treiben würde. Wieder in der Ferienwohnung zurück, duschte er. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr in die Landeshauptstadt Innsbruck. Verärgert dachte er darüber nach, dass er Ann-Britt nach einem Strip-Lokal und einem Puff hätte fragen sollen. Sie hätte das recherchieren können. Dafür würde sich doch bezahlt. Aber jetzt war es zu spät. Er wurde jedoch schnell fündig. Wallander traf in der Nähe der Altstadt auf ein Striplokal, parkte seinen Wagen und ging hinein. Er schaute sich um und sah in den Gesichtern der anderen Kunden deren halbes Leben. Ärzte, Richter, Anwälte. Er konnte sich richtig vorstellen, mit welchen Ausreden sich die feinen Herren beiden Frauen herausgeredet hatten. Schatz, ich bin heute bei dem Benefizessen. Du solltest aber nicht mitkommen, denn in dein Kleid passt du nicht mehr hinein oder Schatz, ich muss noch ein paar Akte durchnehmen äh Akten wälzen oder Ich geh mal kurz Kippen kaufen. Alles verlogene und bigotte Arschlöcher. Jeder hatte Angst entdeckt zu werden. Erpressung, Bloßstellung, Vernichtung des gesamten bürgerlichen Lebens drohte. Wallander hingegen saß ganz gechillt da. Seine Frau war in Malmö, sechs Fuß unter der Erde. Und er fühlte sich richtig gut: Anzug am Körper, Whiskey-Glas in der rechten, Zigarre in der linken Hand, Chantal auf, Latte in der Hose. Bald lernte er noch Doreen und Natascha kennen. Irgendwann konnte er nicht mehr. Er stand auf und ging zum Türsteher. "Kannst du mir nen Puff empfehlen", fragte Wallander. Der Schrank, der neben der Tür stand, blickte voller Verachtung auf Wallander herab, schnaubte und sagte: "Ja. Zwei Blocks weiter. Mein Bruder arbeitet da." Wallander schaute angeekelt drein. "Als Türsteher", schob der Schrank hinterher. Wallander war erleichtert. "Wie heißt der Laden", fragte Wallander. "Café Aphrodite", bekam er als Antwort. Na hoffentlich hat der Puff auch ne Braune, wenn er sich schon Café nennt, dachte sich Wallander. Er stieg in seinen Wagen, machte die Fenster runter. Der Bass hämmert in der Häuserschlucht. Zwei Minuten später war er am Café Aphrodite. Er ging hinein und bestellte einen Latte mal kaun. Es verging viel Zeit und ließ ziemlich viel Geld in der Aphrodite, bevor er wieder hinauskam. Er war gut angetrunken, aber zufrieden. Euphorisiert fuhr er zurück. Auf dem Weg in sein Alpental drohte er die Kontrolle über den VW Phaeton zu verlieren, aber er kriegte das noch hin.
Der Vormittag des 6. Oktober verging rasch. Am Nachmittag ging Wallander zum Sportplatz und machte Aufnahmen vom Raschpichler-Adolf. Der passt genau ins Image vom Verein. Jung und brutal. Auf dem Platz senst er alles um. Deshalb will der Favre ihn auch haben: alle haben vor ihm Respekt, egal wo er spielt. Das macht ihn polyvalent. Und auf polyvalente Typen stand Favre. Wallander ging früh ins Bett.
Am Morgen des 7. Oktober klingelte um 5 Uhr der Wecker. Wallander stand auf und duschte sich. Nach einem kurzen Frühstück setzte er sich in seinen Wagen und fuhr nach Innsbruck. Am Bahnhof traf er Ann-Britt. Sie sah schön aus, eben wie immer. Sie beschlossen, erstmal ein ausgiebiges Frühstück einzunehmen und dann einen Stadtspaziergang zu machen. Diesmal bestellte Wallander einen Latte Macchiato. Im Kreuzgang der Hofkirche setzten sie sich zwischen die Sträucher auf eine Bank und sahen den Vögeln zu. Wallander dachte sich: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Er kam Ann-Britt näher. Sie tat dasselbe und schlussendlich küssten sie sich. Wallander triumphierte innerliche. Jetzt war es für ihn nur noch ein Arbeitssieg, sie auch ins Bett zu bekommen. Sie genossen aber erstmal noch die Stadt. Gegen Abend stiegen sie in seinen Wagen und fuhren zurück zur Ferienwohnung. Dort kamen sie die ganze Nacht nicht zur Ruhe.
Am 8. Oktober schliefen sie gegen Morgen ein. Gegen Mittag wachten sie auf. Wallander machte ein üppiges Frühstück. Sie köpften eine Flasche Prosecco. Als sie fertig waren, stieß Ann-Britt das Tablett auf den Boden. Gläser und Teller zerplatzen scheppernd. Butter, Kaffee und Aufschnitt verteilten sich auf dem Boden. Doch die beiden registrierten das nicht. Am frühen Abend duschte Wallander. Er nahm den Vorvertrag und ging zum Raschpichler, der ohne zu lesen unterschrieb. Wallander sah sich den Sportplatz an. Es war kalt geworden und regnete. Er schaute an den Flutlichtmasten hinauf und wie zur Bestätigung dessen, was er mittlerweile auf der Haut fühlte, sah er das Wasser wie dicke Wollfäden von den Flutlichtern hinabfließen. Auch die nächste Nacht war für Wallander und Ann-Britt unruhig.
Am Morgen des 9. Oktober entschied sich Wallander zur Abreise. Es war neblig, die Wälder des Berges konnte man teilweise gar nicht mehr richtig sehen. Er bezahlte die Bleibe und stellte die Taschen ins Auto. Sie fuhren los. Man kam gut voran. Erst bei München bekam man noch etwas vom Berufsverkehr mit. Auch hier war es neblig. An der Autobahn sah er das Schild "Allianz Arena". Doch er sah sich um. Dort wo die Arroganz-Arena eigentlich stehen sollte, sah er eine Nebelwand. Er dachte an "Nebel" von Stephen King und hoffte beinahe, dass es Realität würde. Wallander drückte auf die Tube, als er der Verkehr wieder flüssiger wurde. Er wollte vor dem Nachmittagsberufsverkehr in den Neuen Ländern sein, denn dort gibt es keinen Berufsverkehr. Dort arbeitet doch eh kaum noch einer. Am frühen Abend kamen sie in Berlin an. Wallander und Ann-Britt gingen in die Geschäftsstelle. Er war genervt. Ann-Britt begann von Beziehung und Liebe zu reden, das ging schon die letzten zwei Stunden so. Er wollte allein sein. Wallander schloss sich in seinem Büro ein, nachdem er Ann-Britt angewiesen hatte, noch etwas Bürokram zu erledigen. Er legte sich auf seine Ledercouch und betrachtete das Beistelltischchen. Er musste nachdenken. Doch warum tat er das nicht? Bald bekam er einen klaren Kopf. Er nahm das Telefon und klingelte den Apparat von Ann-Britt an. Säuselnd meldete sie sich: "Ja, Schatz." Wallander lief es kalt den Rücken runter. "Kommen sie in mein Büro", erklärte er bestimmend. Er schloss ihr auf. "Soll ich wieder für dich den Boden putzen", fragte sie kichernd. "Ann-Britt, um ihren Job steht es nicht gut. Ich musste zwei Abmahnungen aussprechen. Die erste, weil sie ihre Aufgaben nicht ordentlich erledigt haben. Sie hätten mir alles recherchieren und buchen müssen, was ich für eine Reise brauche: Hotel, Stripperinnen, Nutten. Das haben sie nicht getan. Die zweite, weil sie mich permanent duzen. Das ist respektlos. Wenn sie gehen, wird das ein ganz mieses Zeugnis", sagte er kalt. Sie brach in Tränen aus und schrie: "Ich hasse dich." "Wir können das ändern. Sie unterschreiben die Vertragsauflösung und ich vernichte die beiden Abmahnungen und es gibt ein 1a-Zeugnis", sagte Wallander und ergänzte, "das ist doch ein Deal, oder?" "Das werde ich nicht tun", schrie sie. "Ich werde schon einen guten Grund für eine dritte Abmahnung damit die Entlassung finden. Verlassen sie jetzt mein Büro", sagte Wallander. Er schlief auf der Ledercouch ein.
Er erwachte am Morgen des 10. Oktober. Im Traum war ihm eine geniale Idee gezeigt worden. Er würde nach dem aktuellen Turnier bei der schwarzen Faust, das den Titel "Kampf um die Latexfaust" trägt ein Turnier unter seinem Namen ausrichten: den Wallander-Pokal. Neben dem Preisgeld würde der Gewinner ein überlebensgroßes Bild von ihm bekommen. Er rief einen befreundeten Zeichner an, der sofort ins Büro kam. Jener sollte eine Kohlezeichnung Wallanders anfertigen. Er solle Wallander auf den Stufen der Geschäftsstelle posierend zeichnen, wie er die Sonne über seinem Kopf in den Händen hält. Wallander achtete auf eine möglichst martialische Darstellung. Er der Kämpfer und Herrscher. Das gefiel ihm. Wallander fuhr zufrieden heim. Dem Künstler reichte ein Foto Wallanders um das Werk zu schaffen. Wallander trank noch etwas Enzian-Schnaps, den er nach Berlin mitgebracht hatte. Zufrieden schlief Wallander ein.
Sein Handy klingelte. Es war der 11. Oktober. Wallander drückte weg. Es war zu viel Enzian gestern Abend. Das Handy klingelte erneut und erneut erzeugte Wallander im Ohr des Anrufers ein Besetztzeichen. Beim dritten Anruf ging er ran: "Wallander. Wer stört denn so früh?" "Wie wer stört so früh? Favre ier. Isch schaue schon seit drei Stunden Spieler-DVDs. Isch brauche jetzt die von Raschpichler", säuselte der Schweizer. "Dann hol sie dir ab, du Hund", fluchte Wallander. Nichtmal 20 Minuten später klingelte es Sturm. Wallander öffnete die Tür. Es war der Schweizer. Wallander gab ihm die DVD und warf den Trainer sehr rüde von seinem Grundstück. Wallander genoss den Tag: er schaute Pornos, trank Bier und brachte so den Tag rum. Am frühen Abend klingelte das Telefon: "Err Wallander, wir brauchen diesen Spieler nischt. Die Reise war umsonst. Er ist in der Balleroberung nicht stark genug. Außerdem mag isch ihn einfach nicht." "Das ist mir auch vollkommen egal, dann kommt er eben nicht", sagte Wallander und legte auf. Er wollte nun noch ins Büro, um den Vorvertrag zu vernichten und Raschpichler zu informieren. Die Eltern von dem waren bestimmt auch Geschwister beschwichtigte Wallander sein Gewissen. Er unterzeichnete die Ausschreibung für den Wallander-Pokal, faxte die Einladung raus und hoffte auf Resonanz. 1.000.000 € Preisgelder und die Zeichnung des großen Wallander wurden ausgespielt.
Am 12. Oktober administrierte Wallander ein paar Dinge. Gegen Mittag hatte er seinen Totpunkt erreicht. Wallander fiel erschöpft auf seine Ledercouch im Büro. Er war alleine, denn Ann-Britt hatte sich krank gemeldet. Er war aber nicht nur alleine, sondern er fühlte sich auch so. Die Arbeit blieb liegen. Dabei sollte sie doch herausfaxen, dass Wallander eine Praktikantin suche. Nun blieb das an ihm selbst hängen.
Doch jetzt muss er sich erstmal entspannen. Die Reise saß ihm noch in den Knochen. Dabei wollte er gar nicht wegfahren, aber sein perfektionistischer Cheftrainer Lucien Favre hatte ihn dazu gezwungen. Er würde sich dafür dereinst rächen. Aber eigentlich sollte er dem arroganten Schweizer dankbar sein: ohne die erzwungene Reise hätte er Ann-Britt noch nicht geknackt. Falls er mal auf die Idee kommen sollte, Favre zu feuern, würde er ein Spiel länger mit der Entlassung warten. Aus Dankbarkeit.
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Krisensitzung im Hause Wallander - Prominenter Ne...

Das Wetter war feucht. Der Himmel grau bewölkt, es nieselte. Vor der Residenz des Insolvenzverwalters fuhren mehrere Autos vor. Aus dem ersten stieg der Trainer Lucky Strike, aus dem nächsten stiegen zwei Personen aus, die man bisher noch nicht im Vereinsumfeld gesehen hatte. Sie warteten vor der Tür. Strike schaute auf die beiden Personen. Eindringlinge, Fremdkörper, widerliche Subjekte. Die wollten seinen Job haben. Die drei froren, Wallander war noch nicht zu Hause. Er verspätete sich.
Bald fuhr Wallander vor. Er kam gerade mal 37 Minuten zu spät. Ihm war es egal, denn die anderen waren die Bittsteller. Nachdem Tee gekocht und Kekse gereicht waren, begann die knallharte Analyse der letzten Spiele. Lucky Strike hat das Ziel einer Trendwende verfehlt. Im Atzencup, dessen Rekordtitelträger man ist, ist man mit einem 0:6 gegen Wyver gestartet. Es folgten jeweils 0:2-Niederlagen gegen den FC Picaldi Neukölln, die DrunkenKickers - Wallander musste erneut an die Wodka-Fahne des Managers denken, die ihm das Bewusstsein geraubt hatte - und BV Borussia Berlin. Man hatte noch kein Tor im Cup geschossen. Auch die zwei Punkte aus den drei Liga-Spielen waren Wallander zu wenig gewesen. Er befragte Strike nach Lösungsvorschlägen. Sein Gesicht wurde blaß. Er konnte nichts antworten. Wallander registrierte dies mit heimlicher Freude. Jetzt würde er seinen Coup durchziehen können. Wallander stand auf, ging an seine Bar. Er machte vier Gläser Johnnie Walker fertig, stellte sie den Anwesenden hin. Dann ging er an sein CD-Regal. Irgendwo musste doch die Wagner-CD sein. Er fand den Ring der Nibelungen. Der Ritt der Walküren passte zu dieser Situation. Er setzte sich wieder zu seinen Gästen und gab das Gespräch frei. "Wie sie ja wissen, bin isch Trainer von Ertha BSC. Wir aben eine kleine Tiefphase und isc wurde noch nie bei einem Verein entlassen. Das soll auch dieses Mal so sein. Isch abe einige Ideen für Die schwarze Faust 07. Zentral ist eine gute Offensivarbeit, schnelles Kurzpassspiel. Es darf nicht mehr so viel Zeit vergehen, wenn der Ball erobert wurde. Isch abe mit Harry Gämperle 500 DVDs ihres Vereins analysiert. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir viel Arbeit vor uns aben. Isch abe viele Ideen, dazu die Förderung der Jugend. Ich freue mich auch darauf mit Herrn Strike als Kapitän zusammenzuarbeiten", erklärte Lucien Favre. Es war der Moment des Triumphs für Wallander. Er kostete es aus. Lucky Strike war am Boden zerstört. So machte das Managerleben Spaß. Trainer stürzen und neue krönen und dann diese wiederum stürzen. "Wir sind uns dann ja einig. Ich werde meine Sekretärin anweisen, einen Vertrag aufzusetzen. Wir werden dann die Unterschrift heute abend leisten", sagte Wallander im Aufstehen. Favre und Gämperle fuhren zur Hertha, um die Konditionen einer vorzeitigen Vertragsauflösung auszuhandeln. Dass Hertha BSC seinerseits den Trainer beurlauben würde, war so nicht vorherzusehen.

Es wurde Abend. Die Presse traf sich im großen Presseraum der Geschäftsstelle. Wallander genoß das Blitzlichgewitter, dann nahm er zwischen Favre und Strike Platz. Wallander eröffnete die Präsentation: "Sehr geehrte Damen und Herren, werte Pressevertreterinnen und Pressevertreter, wir haben uns aufgrund anhaltender Erfolglosigkeit entschieden, den Spielertrainer-Vertrag mit Lucky Strike mit sofortiger Wirkung auf die alten Konditionen wieder umzustellen. Er hat es nicht geschafft, die Funktionen als Spieler und Trainer zu erfüllen. Stattdessen wird ein Hochkaräter den Trainerposten übernehmen. Heute vormittag hat er noch Hertha BSC trainiert, morgen wird er hier auf dem Buschkrugplatz das Training leiten: Lucien Favre. Ich übergebe ihm das Wort." Favre setzte in seinem Duktus wohlüberlegter Worte ein: "Isch freue mich, jetzt ier zu arbeiten. Isch offe, dass die Situation zwischen mir und Herrn Strike nicht eskaliert. Isch verstee, dass er enttäuscht ist, aber wir müssen nun zusammen alten und viel arbeiten. Vielen Dank." Die Pressekonferenz wurde ohne Fragen beendet.
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Reise zu den Spielen - Stu Dettmero als Trainer entlassen.

Kurt Wallander war euphorisiert. Endlich war es so weit und er konnte sich auf die Reise zur Eröffnungsfeier des XIII. Neuköllner Atzencups machen. Reisen machte ihm Spaß. Aber dennoch: er hatte schon viel gehört von diesem Turnier - und wenig positives. Es soll alles voller Proleten sein. Genau das hasste er so am Fußball. Diese ganzen versoffenen Penner, die wie verrückt ihrem Verein zujubeln, aber in ihrem Leben außer dem täglischen Haufen nichts produzieren. Sozialversager. In seiner schwedischen Heimat wollte Wallander mal ein paar davon überfahren, aber der Lebenserhaltungstrieb war bei ihnen größer, sie sind aus dem Weg gesprungen.
Er kam im Stadion des Gastgebers an und er war enttäuscht, da die Reise viel zu kurz war. Von der Buschkrugallee war es nicht weit. Hier sollte also das Turnier stattfinden. Lex Lucer hatte zu einer kleinen Eröffnungsfeier geladen, bei der der Spielplan vorgestellt werden sollte. Um letzte Einzelheiten zu besprechen, saßen die acht Manager vor Beginn der Feier beisammen. Jeder hatte ein Schild mit seinem Namen und seinem Verein vor sich zu stehen. Aber Wallanders Gefühl täuschte ihn nicht: bei den anderen sieben war das absolut überflüssig. Die kannten sich. Er musterte sie alle. Der erste war ein gewisser Wyver: abwertender Blick, arroganter Habitus, wenngleich absolut unverdient, hierin war Wallander sich sicher, verlebtes Gesicht. Daneben saß der Manager von Fernando Torrs L'pool9: ein Möchtegerntorreslookalike. Mit ihm würde er leichtes Spiel haben, wenn der Verein auch so spielt. Dann kam der Manager des FC Picaldi Neukölln mit dem Namen Kalle. Das Gesicht kannte er. Mit ihm hatte er also das Darlehen ausgehandelt. Der Typ wirkte genauso herablassend und voller Verachtung wie bereits zwei Tage vorher. Dann kam Lex Lucer. Er wollte ja nichts negatives über den Gastgeber denken und ging sofort weiter zum Manager der SSV Fortuna Gropiusstadt. Der Blick war absolut debil, aber nicht weiter der Rede wert. Daneben saß der Manager vom FC Hauptstadtflavour. Eine absolut harmlose Erscheinung - solche Leute unterschätzt man leicht. Zuletzt blickte er auf die Mensch gewordene Alkoholfahne: der Chef der DrunkenKickers. Bei dem ist sogar die Betty-Ford-Klinik hilflos.
Bei der Pressekonferenz mit allen Managern, die vor der eigentlichen Feier abgehalten wurde, erklärte Wallander dann: "Wir werden gewinnen. Wir sind Rekordmeister und bauen das noch aus. Das ist mein Ziel." Wie würden die anderen auf diese mutige Kampfansage reagieren? Würden sie eingeschüchtert sein? Würden sie das gleichgültig hinnehmen? Schallendes Gelächter drang an sein Ohr. Galt es ihm? Er fürchtete sich. Plötzlich fühlte er einen Schmerz auf der Schulter, er wankte mit dem Stuhl. Es war das Gefühl, als ob ein Bär mit seiner Pranke zum tödlichen Schlag ausholen wollte. "Träum weiter, wir kämpfen in der Realität um de letzten Platz", lallte ihm der Manager der DrunkenKickers zu, dem auch die Pranke auf Wallanders Rücken gehörte. Der Schwall der Wodkafahne raubte Wallander das Bewusstsein. Bereits ob des Schlags im Fallen stürzte der Stuhl um und er lag auf dem Boden. Das Gelächter wurde lauter. Wallander fühlte sich schlecht. Er stand auf und ging. Er würde sich an ihnen rächen. Entweder auf dem Spielfeld oder eben woanders. Auf die Feier hatte er keine Lust mehr.
Wieder in der Geschäftsstelle angekommen, beäugte er das Türschild. Es glänzte und war hervorragend poliert. "Ann-Britt, das haben sie sehr gut gemacht", rief er laut und öffnete die Tür zu ihrem Büro. Sie saß am Schreibtisch und schaute verliebt auf einen großen Strauß roter Rosen. Mit gespieltem Charme, der seine Wut verdecken sollte, säuselte er: "Das ist aber ein schöner Strauß. Von wem ist er denn?" - "Stu Dettmero", antwortete Wallanders Vorzimmerdame. "Schicken sie ihn nach dem Spiel zu mir", sagte Wallander entschieden.
Bald nach dem Liga-Spiel kam Dettmero zu Wallander ins Büro. Der Trainer war verunsichert. "Setzen sie sich", wies Wallander ihn an, zeigte auf einen Ledersessel und fuhr fort: "Sie schicken also meiner Vorzimmerdame Rosen. Das tut ihr richtig gut. Wie war das Spiel heute?" - "Sehr schlecht, wir haben 1:2 auswärts verloren. Aber ich bin mir sicher, dass wir das in den Griff kriegen", erklärte Dettmero. Er wollte gerade seine Taktiknotizen aus der Tasche des Trainingsanzugs fingern, als Wallander ansetzte: "Ich bin mir nicht sicher, ob sie den Fokus ausreichend auf das Team setzen. Anstatt irgendwelche Fleurop-Aufträge für meine Sekretärin aufzugeben. Deshalb habe ich mich gemeinsam mit dem übrigen Vorstand - ähm, also mit mir selbst entschlossen, sie zu beurlauben und das Mannschaftstraining Lucky Strike als Spielertrainer zu übergeben." Dettmero war geschockt. "Ich wünsche ihnen einen schönen Tag noch. Melden sie sich beim Arbeitsamt. Sie haben übrigens Hausverbot", rief Wallander dem aus dem Raum taumelnden Trainer hinterher.
Als Wallander in den verdienten Feierabend gehen wollte, war Ann-Britt schon gegangen. Soll sie doch, dachte er sich. Morgen würde er sie endlich knacken. Wallander fuhr nach Hause und genoß noch mehrere Tassen irischen Tees. Der 24. September war für Wallander sehr enttäuschend.
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