22.739x gelesen 158x abonniert Ausgabe 17/25 21.04.2025 Hier spricht der Bierbauch Jetzt registrieren

Der Radiowecker Verfasst am : 30.04.2022 13:34


Neulich träumte ich davon, ins Kino zu gehen.
Man kann ja nun auch in der Realität ins Kino gehen, aber ich habe eben nur davon geträumt.
Mein Kumpel Sascha war dabei, es war so ein großer Filmpalast, wo man an einer riesen Theke gigantische Popcorntüten kauft, mit zehn Cent Rabatt für den Parkschein. Aber so weit waren wir noch nicht, Sascha und ich. Wir waren noch am Eingang, bei der Zugangskontrolle.

"Haben Sie Ihren Ukraine-Solidaritätsnachweis dabei?" fragte zollbeamtenstreng der Kontrolleur.
"Selbstverständlich", antwortete ich und zückte mein iPhone, "ich nutze die neue NATO-App".
Der Kontrolleur scannte den Code und schaute auf sein Gerät. "Solidaritäts-Score 87 Punkte, nicht schlecht", lobte er mich.
"Ja ich habe erst gestern ein Meme geteilt, wo ein Bär mit Putin-Gesicht abgeschossen wird. Also symbolisch natürlich. Naja, man tut was man kann."
"Richtig", pflichtete der Kontrolleur mir bei. "In dieser Krise ist jeder Einzelne gefragt."

Dann war Sascha an der Reihe. Der Kontrolleur hielt sich seinen Führerschein vor die Brille und runzelte die Stirn. "Alexander Zaslavski? Sind Sie etwa Russe??"
"Nur zur Hälfte. Die andere Hälfte – jüdisch."
"Ach so ist das", brummte der Kontrolleur verwirrt und kontrollierte die Nachweise, die Sascha auf zerknitterten Ausdrucken aus der Tasche zog. Dann drückte er ihm einen blau-gelben Aufkleber auf den Ärmel. Das sei vorgeschrieben, erklärte er, weil Herr Zaslavsky keinen Solidaritäts-Score über 50 vorweisen könne.
"Ach so ist das", brummte Sascha.

Der Film war ein Thriller. "Der Superspreader". Ein Ungeimpfter bricht aus der QNAST (QuaraNtäne-AnSTalt, wo alle solchen aufbewahrt werden) aus, läuft gruselig atmend durch die Straßen, dringt in ein Restaurant ein. Große Panik, Geschrei, Entrüstung. Aber der Unhold wird eingefangen von Helden in Ganzkörperschutzanzügen, zum Pranger geführt, eine Politikerin hält eine Rede, im Hintergrund fährt ein Panzer vorbei, Tauben fliegen auf, und die Leute stehen auf dem Platz mit strahlend weißen Masken unter strahlend blauem Himmel, den ein Düsenjet durchkreuzt von West nach Ost.
Nicht der einfallsreichste Plot, aber moralisch erhebend, und das ist doch das wichtigste in dieser Zeit.

Ich sah mich nach Sascha um, hoffentlich hatte dieser gute Film ihn belehrt. Doch Sascha war schon draußen. Er war ein Krokodil übrigens, er stand mit der Quetschkommode auf der Straße und er johlte einen Song: "... cause life is still worth living, yeah life is still worth living... I sacrificed, sacrificed, your love for more of the night, of the night..:"
Aber nein, das war ja schon der Radiowecker.

geschrieben von Schorsch Chancentod

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Kommentare

taenzer2003a schrieb am 01.05.2022 13:35 Uhr

Hoffentlich hat der Alptraum bald ein Ende.

Frieden in der Welt.

Augustblums schrieb am 01.05.2022 11:21 Uhr

Einfach Hervorragend!!!

Smoky23 schrieb am 30.04.2022 19:10 Uhr

...
Und Olga tanzt den Kasatschok
auf Reeperbahn - mit ohne Rock.
...
Ein Hoch auf das lebenswerte Leben......und auf Sascha!

Honkyschwonky schrieb am 30.04.2022 16:28 Uhr

Ja, was soll man da sagen. Ist noch Popcorn da?