12.891x gelesen 25x abonniert Ausgabe 20/24 18.05.2024 Lokales KäseBlatt Online Jetzt registrieren

Der zwölfte Mann: Magazin für Fussballpflege Verfasst am : 02.07.2020 01:21

Modernes Fussballmärchen oder glücklicher Betriebsunfall?

Die 50. Spielzeit des früheren Deutschen Meisters und Champions-League-Finalisten SASC SOFIA Hamburg 07 steht an und ist passenderweise gleichzeitig die Rückkehr ins Oberhaus nach langer Abstinenz. Schon bald nach dem Triumph führte der Weg des Vereins weit nach unten, weil man die nötigen Investitionen scheute, doch jetzt wird die Beharrlichkeit mit einem modernen Fussballmärchen belohnt. Der gesamte Kader besteht aus früheren Jugendspielern und einem Scoutspieler.
Es beginnt unten - und geht noch weiter runter

Wahrscheinlich sollte man diese Geschichte mit Rod Mildenhall und Gernot Dollinger beginnen. Beide sind 38 Jahre alt und spielen beim SASC SOFIA Hamburg 07. Beide sind offiziell offensive Mittelfeldspieler, aber vor ihnen steht auf dem Feld niemand. Beide gehen auf das Karriereende zu und beide stehen nun, nachdem sie als 18-Jährige unter verschiedenen Umständen zwar, aber zeitnah, zum Klub gekommen sind, vor ihrem Debüt in der ersten Liga.
Ihre Profikarrieren begannen, als die bislang beste Zeit des SASC gerade vorbei war. Nur zwei Spielzeiten nach dem Gewinn der einzigen Meisterschaft folgte der Abstieg und in der Anfangsphase der nächsten Saison unterschrieb Dollinger seinen ersten Vertrag mit Manager Gianpaolo Brunetti. Der suchte Verstärkungen für den sehr kleinen Kader und gab dem Nachwuchsspieler, den ihm sein Scout empfahl, eine Chance. Gegen Ende der Spielzeit, die auf dem 15. Rang endete, trieb der Jugendtrainer dann noch einen Kicker von den Bahamas auf und auch Mildenhall bekam seine Chance.
Das zweite Jahr in der Zweitklassigkeit verlief denkbar schlecht und endete mit dem erneuten Abstieg, aber zumindest Dollinger zählte dank seiner Flexibilität bald zum Stammpersonal. "Wir hatten einen Mittelfeldspieler im Kader, der klar besser war als ich, aber der konnte nur rechts spielen und da waren schon alle Positionen besetzt. Also hat der Trainer mich auf die linke Seite gestellt", erinnert er sich heute. Zwei gelbe Karten waren die ersten Spuren, die Dollinger im Profifussball hinterließ. Eine Klasse tiefer erzielte er seine ersten beiden Tore, aber es ging noch tiefer. "Das war wirklich nicht schön, in den ersten Jahren so absolut gar keinen Erfolg zu haben. Das nagt natürlich am Selbstvertrauen und man fragt sich, ob es irgendwann besser wird, ob es für oben reicht", blickt Dollinger zurück.
Es geht bergauf

In der Regionalliga traf er zunächst nicht, aber für Mildenhall lief es jetzt besser. Fünf Tore steuerte er zum vierten Platz bei. Erst im vierten Jahr gelang die Rückkehr in Liga Drei, mit den beiden mittlerweile 26-Jährigen als Leistungsträgern. Für Mildenhall war dieser Erfolg entscheidend: "Wenn es da wieder nicht geklappt hätte, das wäre schwer geworden. Aber nun waren wir gefühlt oben: 18 Teams, 34 Spieltage, Profifussball eben."
Es dauerte weitere vier Jahre bis zum Aufstieg in Liga Zwei, der in überzeugender Weise gelang. Mildenhall steuerte 20, Dollinger 14 Tore bei. Weitere fünf Jahre später gelang also nun die Rückkehr ins Oberhaus. Beide sind genauso gespannt wie der gesamte Kader, was sie dort erwartet und haben einen Wunsch: Nicht absteigen, um die Karriere in der ersten Liga beenden zu können.
Dollinger und Mildenhall sind übrigens nicht die einzigen Spieler, die alle drei Aufstiege mitgemacht haben. Nicht weniger als zwölf Akteure, die noch in der Regionalliga zum Kader zählten, sind noch dabei, die meisten als Stammspieler. Mildenhall und Dollinger sind bloß die Ersten, die ihre Karriere beenden werden. Nicht den dritten Aufstieg feiern durfte dagegen überraschend Ferdinand Kubicki. Der Stammtorwart, er wäre Nummer Dreizehn, wurde kurz vor Saisonende überraschend an Chucky.. in die erste Liga verkauft. An seiner Stelle spielt jetzt der Südafrikaner Steve Stillwell.

Ungewissheiten

Was erwartet den SASC im Oberhaus? Manager Brunetti, seit Anfang an in der Verantwortung, tut sich schwer: "Die Liga scheint extrem ausgeglichen, ich kann keinen klaren Meisterschaftsfavoriten ausmachen und auch keine designierten Absteiger. Das kann gefährlich werden und wir werden uns hüten, vor dem sicheren Klassenerhalt nach oben zu schauen. Aber ich habe keine Ahnung, wann dieser Zeitpunkt sein könnte."
Aber war dieser Aufstieg mit einem Kader aus Eigengewächsen überhaupt eingeplant? In den letzten Jahren hüllte man sich beim SASC sehr in Schweigen, gab keine Saisonziele aus und kaufte seit dem Absturz in die Regionalliga nicht einen einzigen Spieler. Darin von außen einen Plan erkennen zu wollen, scheint irrsinnig, doch Brunetti schweigt und verweist auf die Fakten. Sein Verein ist wieder erstklassig. Dass der Aufstieg nach starker Hin- und schwacher Rückrunde erst am letzten Spieltag unter Dach und Fach gebracht wurde und die Konkurrenten auch manchen Patzer hatten, ist dabei zweitklassig...äh...zweitrangig.

geschrieben von Gianpaolo Brunetti

Zurück zur Vereinszeitung
5.00/7