27.476x gelesen 105x abonniert Ausgabe 28/25 09.07.2025 IdioLoLcrazy Jetzt registrieren

Sherlock- Das Spiel ist eine Serie

Zwischenepisode 6

Nomen est omen

Im Labor von Doktor Stapleton herrschte rege Betriebsamkeit. Das Empire hatte niemand geringeren als Konsul Lestrade mit der Aufgabe betraut den Ereignissen um Waldorf Kastell auf den Grund zu gehen.
Akribisch ließ er das Labor von seinen Angestellten untersuchen, während er selbst sich um Doktor Stapleton kümmerte.
„Sie sind eine Schande für das Empire, Doktor Stapleton.“, resümierte er nach kurzer Bestandsaufnahme des Tatortes. Adolf saß derweil mit wedelndem Schwanz hinter seinem Gitter und wartete auf sein nächstes Leckerli. „Aber ich dachte…“
Noch bevor er den Satz beenden konnte traf ihn der Blick des Konsuls wie ein Blitz. „Sie dachten?“
„Nun ja, er ist immerhin der Enkel…“
„Schweigen Sie endlich! Sie haben eindeutig Ihre Kompetenzen überschritten! Niemand hat Sie autorisiert auch nur irgendjemanden in dieses Labor zu lassen! Nicht mal den Enkel der Königin!“
„Aber ich dachte…“
„Er denkt ja schon wieder! Ist Ihnen eigentlich klar, welchen Schaden Sie möglicherweise angerichtet haben?“
Doktor Stapleton zog es vor zu schweigen. Zu gut wusste er um die Austauschbarkeit seiner Person in dieser Position. Sicher, er war gut, aber so gut nun auch wieder nicht. Außerdem verfolgte er ganz eigene Pläne, und die würden gefährdet, wenn sich dieser aufgeblasene Konsul dazu entschließen würde ihn zu ersetzen. „Es war dumm von mir. Ich habe mich hinreißen lassen.“, räumte er demütig ein. Lestrade vollführte eine abwertende Handbewegung und beugte sich zu Adolfs Gatter. „Wie weit ist das Tarnprogramm?“, wechselte er zu Stapletons Erleichterung das Thema. Rasch kramte der Doktor eine kleine Fernbedienung aus einer seiner Schubladen und verkündete stolz: „Wenn ich es Ihnen vorführen dürfte?“
„Nun machen Sie schon!“, erwiderte der Konsul ungeduldig. Seine sieben Mitarbeiter durchforsteten derweil noch immer das Labor. Dann drückte Doktor Stapleton einen Knopf auf der Fernbedienung. Sofort begann sich Adolf vor den Augen des Konsuls förmlich aufzulösen. Staunend sah er in die scheinbar leere Gitterbox.
„Es handelt sich um ein morph…“
„Ersparen Sie mir die Einzelheiten, ich verstehe sie sowieso nicht. Ist er bereit für den Einsatz?“, unterbrach ihn der Konsul. Doktor Stapleton kratzte sich am Kopf. „Da gibt es ein klitzekleines Problem, Herr Konsul.“
„So?“ Erwartungsvoll starrte er in Stapletons Richtung, der sich erneut am Kopf kratzte. „Haben Sie Läuse? Nun reden Sie schon, Mann!“
„Naja, es gibt nur eine Person auf die er hört.“, druckste Stapleton verlegen.
„Wir haben den Haarreif eines kleinen Mädchens gefunden!“, vermeldete inzwischen einer der Mitarbeiter des Konsuls. Befremdliche Blicke trafen auf Doktor Stapleton. Bis auf den Konsul hatten alle den gleichen Gedanken. Der Konsul wandte sich an seine Mitarbeiter. „Ich möchte mit dem Doktor kurz allein sprechen.“ Sofort leerte sich das Labor. In Stapletons Augen lag nackte Panik. Der Konsul lächelte. Doch es war kein erfreuliches Lächeln. „Wissen Sie, was meine Mitarbeiter gerade denken?“
„Nein, so ist es nicht! Jim Moriarty hat sie mitgebracht! Er hat es mir selbst gesagt!“, wehrte der Doktor sofort ab, um sich im selben Moment darüber gewahr zu werden, wie nutzlos seine Rechtfertigung wirken musste.
Bleierne Stille herrschte für kurze Zeit im Raum, die Doktor Stapleton wie eine Ewigkeit vorkam.
…Ewigkeit…
„Wer ist das Mädchen?“, brach der Konsul endlich das Schweigen, ohne den Doktor wissen zu lassen, was er von der Sache hielt.
„Irene Adler aus der fünften Klasse.“, antwortete Doktor Stapleton emotionslos.
„Und Jim Moriarty ist, wie ich annehme, die einzige Person die in der Lage ist unseren kleinen eingesperrten Freund zu befehligen?“ Schon allein wie er das Wort klein betonte ließ den Doktor nichts Gutes erahnen.
„Ja.“
„Nun, dann liegen die Dinge ja klar, nicht wahr?“, verkündete der Konsul feierlich. Stapleton ahnte worauf das hinauslief. Zwanzig Jahre Forschung, zwanzig Jahre Herzblut für die Wissenschaft, zwanzig Jahre für die Katz, beziehungsweise in diesem Fall für den Hund. „Adolf ist mein Lebenswerk.“, sagte er verbittert. Der Konsul schüttelte den Kopf. „Adolf. …Ich habe Ihren Humor nie ganz verstanden, aber sei es drum. Haben Sie nicht Verwandte auf Baskerville Hall?“
„Niemand außer mir ist in der Lage dieses Projekt zu Ende zu führen!“, entgegnete der Doktor mit trotziger Schärfe. Und die Wahl des Namens war nicht mal seine Idee. Gleichzeitig kam es ihm unnütz vor Jim Moriarty als Namensgeber zu erwähnen.
„Sie haben den Rest des Tages Zeit das Labor für Ihren Nachfolger herzurichten, und keine Sorge. Ihnen wird eine adäquate Pension gewährt, so lange Sie sich nicht einfallen lassen Regierungsgeheimnisse auszuplaudern, denn das würde Ihnen nicht bekommen.“ Die mitschwingende Drohung blieb dem Doktor nicht verborgen. „Darf ich meinem Nachfolger wenigstens das Labor übergeben?“
„Aber selbstverständlich. Ich bestehe sogar darauf. …DOKTOR!“
Wie auf Zuruf öffnete sich die Tür. Ein schlaksiger Mann mit der Unrast eines Reisenden in den Augen betrat neugierig das Labor. Sofort wirbelte er durch den Raum und stellte begeistert fest: „Das ist ja das reinste Paradies!“ Befremdlich registrierte Doktor Stapleton die Gebaren seines Nachfolgers. „Darf ich vorstellen, Doktor, das ist Doktor Stapleton. Ich lasse Sie dann einfach mal allein.“, verabschiedete sich der Konsul.
„Doktor wer?“
„Einfach nur der Doktor.“, erwiderte der Doktor, derweil seine Augen wie funkensprühende Wunderkerzen leuchteten.

Inzwischen saß der Konsul wieder in seiner Limousine. Neben ihm saß ein schüchterner kleiner Junge. Der Konsul würdigte ihn keines Blickes. Stattdessen griff er nach dem Telefon und wählte eine Nummer. Während er das tat wandte er sich kurz dem Jungen zu. „Jetzt höre und lerne, Sohn.“ Der Junge nickte stumm.
Eine durch technische Spielereien verzerrte männliche Stimme meldete sich am anderen Ende der Leitung. Der Konsul schaltete das Telefon auf Laut. „Sie haben einen Auftrag für mich?“
„Ja. Kümmern Sie sich um Irene Adler.“
„Auf die übliche Weise?“
„Noch nicht. Vorläufig genügt es ihre Glaubwürdigkeit zu unterminieren.“
„Ich verstehe.“, erwiderte die Stimme mit leichter Enttäuschung und legte auf. Dann wandte sich der Konsul wieder seinem Sohn zu. „Wenn ich mal nicht mehr bin, ist es an dir schwere Entscheidungen zu treffen.“ Das schüchterne Jungengesicht verwandelte sich von einer Sekunde zur anderen in ein kindliches Trotzgesicht.
„Ich will aber Polizist werden!“ Der Alte stöhnte. „Ich habe dich nicht mitgenommen, damit du deinen unambitionierten kindischen Wünschen nachgibst! Als Polizist wirst du nicht mehr sein als eine Wühlmaus die im Dreck wühlt ohne je zu begreifen wo der Dreck her kommt!“
„Ich werde POLIZIST!“, beharrte der Junge, und beinahe klang er dabei wie der kleine Feuer speiende Drache aus einer Trickfilmserie, der seinen Drachenvater mit dem Satz: „Ich werde Feuerwehrmann!“ an den Rand der Verzweiflung trieb.
„Solltest du je Polizist werden, enterbe ich dich!“
„ICH WERDE POLIZIST!“

ff
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Sherlock- Das Spiel geht weiter

Zwischenepisode 5

Familienzusammenkunft

Irene Adler saß durcheinander auf einem Baumstumpf und dachte nach. Viel Zeit hatte sie nicht, denn schon bald würde Moriarty wieder auftauchen, und er würde alles andere als gut auf sie zu sprechen sein. Nicht ohne Grund hatte sie ihren Haarreif so platziert, dass Doktor Stapleton ihn finden würde. Außerdem hatte sie Mycroft heimlich eine Nachricht zukommen lassen, ohne das Moriarty misstrauisch wurde. Mädchen mussten praktisch andauernd aufs Klo.

Einige Stunden zuvor

„Himmel noch mal, was hast du in meinem Schlafzimmer zu suchen, Irene!“
„Jim hat mich in Doktor Stapletons Labor eingeschleust, und will mit mir jetzt in den Wald, ich habe also nicht viel Zeit.“
„Wie war das?“
„Er hat eines seiner genetischen Experimente dabei, einen riesigen Hund, und ich habe keine Ahnung was er vorhat.“
„Wie hat es Moriarty geschafft in Stapletons Labor einzubrechen?“
„Das erkläre ich dir später. Bitte versprich mir, dass du den Doktor irgendwie dazu bringst früher als üblich in sein Labor zu gehen.“
„Das ist kein Problem. Aber danach verlange ich eine Erklärung!“
„Erste Hofpause an unserer Bank. Wenn du deinen Job richtig machst, sollte Jim sehr beschäftigt sein. Ich muss jetzt weg, ehe er Verdacht schöpft.“
„Mhm“, brummte Mycroft, aber da war Irene auch schon verschwunden.


Zurück in der Gegenwart

Der Wald erwachte allmählich.
Die Geschichte vom geheimnisvollen Doktor der durch Raum und Zeit reisen konnte, und der die kindlichen Ausgaben von Sherlock Holmes und Doktor Watson aus einer transdimensionalen Telefonzelle hier abgeladen hatte, um einen der größten Verbrecher schon in der Kindheit zu stoppen, wirkte einfach nur irre.
Gleichzeitig regte sie ihre Phantasie an. Was, wenn es stimmte? Die Möglichkeiten schienen unerschöpflich.
„Ich will diesen Doktor und seine TARDIS sehen!“, brachte sie ihre Überlegungen schließlich auf den Punkt. „Das ist vollkommen ausgeschlossen!“, widersprach Sherlock sofort.
„Warum?“
„Ja, warum eigentlich, Sherlock?“, fragte jetzt auch John nach, der noch immer mit seiner kindlichen Stimme haderte, und sich deshalb bemühte möglichst tief zu sprechen.
„Weil mir der Doktor auf ziemlich unmissverständliche Weise klar gemacht hat, dass es genau das ist, was er nicht will. Was glaubst du wohl warum unser erstes Treffen, in dem ich als Professor Einstein aufgetreten bin von Moriarty so leicht durchschaut wurde?“
„Das lag vielleicht an deiner lächerlichen Kostümierung.“, schmunzelte Irene, während sie sich gleichzeitig darüber gewahr wurde, dass ein Teil von ihr unbedingt bereit war die Geschichte zu glauben.
„Ich gebe zu, dass war ein Fehlschlag. Der Doktor hatte das eingeplant und ich bin ihm auf dem Leim gegangen.“
„Hoho, Sherlock gibt einen Fehler zu!“ John versuchte nicht mal seinen Spott zu verbergen. Sherlock warf ihm einen finsteren Blick zu. „Das bringt uns jetzt nicht weiter!“
„Was bringt uns dann weiter? So wie ich das sehe, gibt es nur einen Menschen an der Fakultät der deine Geschichte ansatzweise bestätigen kann.“, brachte Irene wieder ein wenig Pragmatismus in den aufkeimenden Streit. Außerdem drängte die Zeit. Moriarty war sicher schon auf dem Weg.
„Du meinst ein Treffen mit meinem Bruder.“, durchschaute Sherlock ihre Gedanken und stöhnte innerlich.
„Was denn, Mycroft ist auch hier?“, staunte der noch immer verwirrte John Watson.
Sherlock seufzte. „Einverstanden.“
Er hatte seinen Bruder nie wirklich leiden können. Immer galt er als der Schlauere. Doch je mehr er das Bild durchschaute, desto mehr wurde ihm klar auf was für ein perfides Spiel er sich eingelassen hatte. Und was den Doktor betraf. Der saß garantiert in seiner TARDIS und lachte sich kaputt.
Irene rief indes zur Eile. „Jim wird bald zurück sein. Ich kenne ein gutes Versteck in der Nähe, von dem nicht mal er etwas weiß. Dort werdet ihr auf mich und Mycroft warten.“
„Du wirst dir eine gute Geschichte einfallen lassen müssen um Moriarty zu überzeugen.“, bemerkte Sherlock skeptisch.
„Das schaffe ich schon. Hauptsache ihr macht keine Dummheiten!“
Dann führte sie die Jungs quer durch den Wald, wobei sich herausstellte, dass das Schulgelände viel größer als gedacht war. Nach gut einer halben Stunde Fußmarsch brach John Watson endlich das Schweigen. „Hast du gewusst, dass sie alle hier sind?“
„Es lag praktisch auf der Hand.“, behauptete Sherlock.
„Du hast es also nicht gewusst.“, seufzte John.
„Was spielt das noch für eine Rolle. Wir können Moriarty jetzt und hier das Handwerk legen!“, erwiderte Sherlock mit fester Stimme. In John Watson bauten sich erste Zweifel auf. „Hast du das eigentlich je zu Ende gedacht?“
„Wie meinst du das?“
„Na ja, wenn wir hier und heute die Lebensaufgabe deines erwachsenen Ichs zur Strecke bringen, welche Aufgabe bleibt dir dann als Erwachsener wenn wir wieder, so der Doktor will, in unserer Zeit angekommen sind?“
„Verbrecher wird es immer geben.“, wiegelte Sherlock Johns Bemerkung ab. Außerdem war sein echtes kindliches Ich noch nicht mit seinem Wissen konfrontiert und würde es, wenn die Mission Erfolg hatte, auch nie werden.
„Eine Welt ohne Moriarty in der Zukunft?... Ich weiß nicht. Irgendetwas an der ganzen Geschichte gefällt mir nicht.“
„Wir sind da!“, unterbrach Irene die Unterhaltung.
„Ich sehe nur Gestrüpp.“, stellte John fest.
„Das ist auch Sinn der Sache.“, grinste Irene.

Einige Stunden später auf dem Waldschulhof.

Wie üblich hatte sich Irene auf der Holzbank niedergelassen. Moriarty war wie zu erwarten nicht da. Vermutlich suchte er noch immer im Wald nach ihr. Dafür näherte sich ein anderer und größerer Junge der Bank. „Hallo Mycroft.“, sagte sie lächelnd, als der korpulente Junge auf sie zukam. In Mycrofts Gesicht zeigte sich nicht der Hauch einer Regung. „Du spielst ein gefährliches Spiel, Irene Adler.“
„Das könnte man von dir auch behaupten, Mycroft.“, erwiderte sie mit einem wissenden Lächeln. Mycroft verzog kurz die Mundwinkel.
„Ich erwarte immer noch eine Erklärung von dir!“
„Nun, dein Bruder Sherlock ist hier.“, kam Irene direkt auf den Punkt. Die Aussage verfehlte nicht ihre Wirkung.
„Das ist vollkommen unmöglich, er ist auf dem… Woher weißt du von meinem Bruder?“
„Ganz einfach, weil ich ihn versteckt habe. Er kann es kaum erwarten dich zu sehen.“
„Das ist eine Lüge.“, entgegnete Mycroft kühl. Immerhin kannte er seinen Bruder.
„Ach tatsächlich? Nun, wenn das so ist hat diese Unterhaltung ja ihren Zweck erfüllt.“, sagte Irene und machte sich drauf und dran zu gehen. „Warte!“, hielt Mycroft sie zurück. Er hatte Sherlock nie in ihrer Gegenwart, noch sonst wo an dieser Schule erwähnt, aber dennoch wusste sie um seine Existenz, und das brachte einiges an Fragen zu Tage. Irene hielt inne, während sie ihm den Rücken zuwandte. „Wenn du mich belogen haben solltest, sorge ich dafür, dass du von der Schule fliegst!“, warnte er eindringlich.
„Wir sollten losgehen, bevor Jim hier auftaucht.“
Mycroft zögerte, ehe er durch ein kurzes Kopfnicken sein Einverständnis gab.
„Über Jim reden wir noch!“, stellte er im Nachsatz die Prioritäten klar.

Eine halbe Stunde später.

Nicht einmal Mycroft kannte das Versteck, zu dem Irene ihn führte, was kein Wunder war. Mycroft hasste Ausflüge in die Natur. In seiner Welt galt sie bereits in seiner Kindheit als viel zu unberechenbar, verbunden mit Gefahren vor dem allein die menschliche Zivilisation Rettung gebot. Die kurzzeitige aber intensive Begegnung mit einer Wespe schien ihm dabei Recht zu geben. Nur mit Mühe gelang es seinem Geist die aufkeimende Panik zu unterdrücken. Sein Körper hatte weit mehr Schwierigkeiten, der Disziplin des Geistes zu folgen.
„Ist alles in Ordnung, Mycroft?“ Subtiler weiblicher Spott lag in Irenes Stimme.
„Verdammtes Gestrüpp! Verdammte Wurzeln! Verdammte Insekten! …Nichts ist in Ordnung! Du hast mir immer noch nicht erklärt, warum ich Doktor Stapleton früher wecken sollte, geschweige, wie es Jim Moriarty geschafft hat in sein Labor einzubrech…“
„Er ist nicht eingebrochen, er besitzt einen Schlüssel.“, unterbrach ihn Irene. Mycroft blieb augenblicklich stehen und schnappte nach Luft. Es war kein Geheimnis an der Schule, dass Doktor Stapletons Labor ausschließlich von wenigen, meist schulfremden Erwachsenen betreten werden durfte. Irene schien seine Gedanken zu erahnen. „Und falls du glaubst er hätte ihn gestohlen, Fehlanzeige!“
„Aber wie?...“
„Er ist sein Assistent, aber bitte frag mich nicht wie er das angestellt hat. Können wir jetzt weiter gehen?“
„Natürlich“, erwiderte Mycroft matt, und schwieg für den Rest des Weges. Zu viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Nicht einmal er hatte es geschafft auch nur in die Nähe des Labors zu kommen.
Das Gestrüpp verdichtete sich. Vermutlich war es voll von Zecken, ein Gedanke der Mycroft zunehmend erschaudern ließ. Und dann noch diese vielen Spinnweben. Wenn es jemals eine reinlichere Frau gegeben hatte, dann war es Mycroft als kleiner Junge.
Mitten im größten Gestrüpp blieb Irene plötzlich stehen.
„Wir sind da.“
Ehe Mycroft begriff was da bedeutete, öffnete sie eine Bodenklappe, die einen tiefen Tunnel ins Erdinnere freilegte. Künstliches Licht trat aus ihm hervor und eine steinerne Treppe führte in ein Nirgendwo aus aneinander gereihten Schildkrötenlampen, wie man sie aus Kellergewölben kannte. „Ich wusste gar nicht, dass es hier einen Bunker gibt.“, gab er staunend zu.

Die Bunkeranlage war größer als man es im ersten Augenblick erahnen konnte. Einige der Räume waren sogar noch möbliert, auch wenn Staub und Spinnweben längst die Vorherrschaft für sich beanspruchten. John und Sherlock saßen sich in einem der Räume gegenüber und schwiegen verbissen. Grund dafür war ein vorangegangener Streit, der in einer handfesten Prügelei seinen vorläufigen Abschluss fand. Erst als sich Schritte näherten kam wieder Bewegung in den Raum. Ein paar Sekunden später stand Irene mit Mycroft in der Tür.
Die Blicke der Brüder sprachen Bände als sie sich sahen. Mycroft griff sich wortlos an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Bitte sag mir nicht, dass du schon wieder aus dem Internat ausgebrochen bist, Sherlock.“

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Sherlock- Das Spiel hat begonnen

Zwischenepisode 4

Entfesselung der Bestie

Als Sherlock wieder zu sich kam fühlte er Schmerzen und eine schlabbernde Hundezunge auf seinem Gesicht. „Ihgitt, geh weg von mir!“, wehrte er das sabbernde Tier ab.
„Er ist wach! Ruf den Hund zurück, Jim!“, verlangte eine junge weibliche Stimme.
„Sitz, Adolf!“, befahl Moriarty, und näherte sich dem gefallenen Sherlock. Adolf saß wie befohlen.
„Was habt ihr zwei hier auf dem Schulgelände verloren?“, erkundigte sich Moriarty streng.
„Siehst du nicht wie verängstigt er ist? Er ist gerade von einem Baum gefallen und sein Freund hat sich vermutlich den Fuß gebrochen, nur weil du Idiot der Meinung warst, dass Adolf ein wenig Auslauf bräuchte!“, unterbrach Irene das Verhör und begann Sherlock zu untersuchen.
„Was ist mit John?“, erkundigte sich Sherlock schwach. „Dein Freund hat sich bei dem Sturz vermutlich den Fuß gebrochen. Im Augenblick ist er noch ohnmächtig.“, sagte Irene beruhigend.
Eine Welle der Erleichterung erfasste Sherlock. John war also am Leben.
„Und euer Hund heißt wirklich Adolf?“ Irene verdrehte die Augen. „Das war Jims Idee. Der Name steckt in Waldorf drin, und der Hund mag ihn. …Meine Güte, ich rede hier wie ein Wasserfall…“
„Wir müssen Adolf zurück in den Zwinger bringen, ehe Doktor Stapleton wach wird!“, unterbrach Moriarty das beginnende Geschlechterübergreifende Scharmützel. „Hat er gerade Stapleton gesagt?“, erkundigte sich Sherlock verwirrt. Ein leises Stöhnen unterbrach Irenes bevorstehende Antwort. John war erwacht. „Was zum Geier… Aaargh!“
„Nicht bewegen, John!“, rief ihm Irene geistesgegenwärtig zu und hielt ihn fest. John vergaß augenblicklich seine Schmerzen, als er in das engelsgleiche Gesicht sah. „Wer bist du, kleines Mädchen? Hast du dich auch im Wald verirrt? …Warum klinge ich immer noch wie ein kleiner Junge?“
„Keine Sorge John, das ist nur der Schock. Dein rechter Fuß ist vermutlich gebrochen, aber mein Freund Jim holt gleich Hilfe.“, beruhigte Irene den verwirrten John, und warf Jim Moriarty gleichzeitig einen Blick zu, dem eigentlich nur noch der Arschtritt fehlte. „Was interessiert dich so an diesen Dorftrotteln?“ Irene warf Moriarty einen vernichtenden Blick zu. „Was sagt wohl Doktor Stapleton dazu, wenn sein Lieblingsexperiment frei auf dem Schulhof herum läuft und kleine Kinder von Bäumen holt die sich verlaufen haben?“
„Miststück!“ Moriarty bereute seine Bemerkung sofort, schon aufgrund des Blickes den er kurz darauf zu spüren bekam. Er hatte sich hinreißen lassen. Gleichzeitig kam er nicht umhin, eine gewisse Feindseligkeit in Irene ihm gegenüber festzustellen. Aber warum? Er hatte sie in beinahe alles eingeweiht, wovon ein neugieriges Menschenkind nur träumen konnte. Und er selbst wähnte sich bei seinen Forschungen erst am Anfang. Aber vielleicht waren weibliche Wesen einfach nur zu fürsorglich veranlagt um wahrer Innovation zu folgen.
Es war höchste Zeit Adolf, eine Mischung aus Pit Bull und Grizzlybär, wieder in seine Zelle zu verfrachten, ehe Doktor Stapleton von dem kleinen Ausflug Wind bekam.

Kaum war Moriarty mit der Bestie verschwunden, schlug Irene Adler plötzlich ganz andere Töne an. „Ihr könnt mit dem Kaspertheater jetzt aufhören! Ihr seid, aus welchen Gründen auch immer, unverletzt. Doch dazu später! Wer seid ihr, und was wollt ihr hier?“
Die Frage hatte mehr Wirkung als gedacht. Das Kind in den gefallenen Männern hatte plötzlich eine Art Oberhand gewonnen, einhergehend mit der dazu gehörenden Schwatzhaftigkeit. Dann noch diese autoritäre weibliche Stimme. Glücklicherweise gelang es Sherlock den Erklärungen von Doktor Watson zuvor zu kommen.
„Im Dorf erzählt man sich, dass ihr euch für was Besseres haltet. Mein Freund John und ich wollten das untersuchen. Ist es nicht so, John?“
„Grmpf!“
„Wie meint er das?“
„Er ist wütend und glücklich zugleich.“, erklärte Sherlock knapp. Irene warf Sherlock einen interessierten Blick zu. „Ist er dein Haustier?“
„Er ist mein bester Freund, und er redet nur dann, wenn es wichtig ist. Das Plappern überlässt er mir.“
„Interessant! Dann plapperst du also gerade? Du hast mir übrigens immer noch nicht verraten wie du heißt.“
„Du mir doch auch nicht. Wir sind also quitt!“
„Warum so feindselig? Ich will euch nichts Böses. Ich weiß sogar, dass ihr gar nicht aus dem Dorf kommt, denn da wärt ihr mir aufgefallen. Mein Name ist Irene Adler, und ich bin nicht euer Feind.“
Die entwaffnende Ehrlichkeit in ihrem Gesicht verfehlte nicht ihre Wirkung. Dann noch Sherlocks lebhafte Erinnerungen an die Frau, die jetzt als kleines Mädchen unschuldig vor ihm stand. Das alles konnte kein Zufall sein. Zeit eine wichtige Verbündete zu rekrutieren.
„Mein Name ist Sherlock Holmes, und ich bin als Zeitreisender hier, um die kriminellen Aktivitäten von Professor James Moriarty ein für alle mal zu beenden.“
Endlich war es raus. Selbst John hielt vor Staunen den Mund weit geöffnet. Zum ersten Mal seit Beginn der Unterhaltung wirkte Irene Adler verunsichert. „Du willst mich verarschen?“
„Keineswegs!“
„Ich will Beweise!“
Sherlock zottelte aus seiner Jackentasche seine alte Albert Einstein Verkleidung hervor. Irene war nicht überzeugt.
„Wer sagt mir, dass du den Mann der das getragen hat nicht beklaut hast?“
„Niemand! Du wirst uns also vertrauen müssen.“
„Ich vertraue nur mir selbst.“
„Nichts anderes habe ich erwartet“, lächelte Sherlock, während John bereits die Augen zu verdrehen begann.

Währenddessen im Wissenschaftslabor von Doktor Stapleton.

Der Tag hätte nicht schlimmer beginnen können. Entgegen seiner Gewohnheiten war Doktor Stapleton zwei Stunden früher erwacht. Als Moriarty mit der riesigen Promenadenmischung endlich auftauchte, empfing er ihn entsprechend wütend. „Hast du jetzt vollkommen den Verstand verloren? Was, wenn jemand wach geworden wäre? Ich habe dich nicht eingeweiht, damit du geheime militärische Experimente Gassi führst! Was hast du dir dabei gedacht?“
Moriarty überließ Doktor Stapleton wortlos die Leine und blickte beschämt zu Boden. Aber nicht, weil er wirklich Scham empfand, sondern weil er wusste, dass Erwachsene dafür empfänglich waren. Zur Bekräftigung dieses Eindrucks murmelte er eine vorher gut überlegte Entschuldigung vor sich hin. „Adi hat mir einfach Leid getan in seinem Käfig. Ich wollte doch nur, dass er einmal den Wald sieht.“ Doktor Stapleton wurde von einer Welle des Mitleids erfasst. Natürlich wusste er um die Genialität seines kindlichen Proteges, aber er war eben auch ein kleiner Junge, der hin und wieder Flausen im Kopf hatte.
„Stell dir nur vor, es wären noch andere Kinder draußen gewesen. Was hätte da alles passieren können? Das war dumm von dir, Jim.“, sagte er schon wesentlich ruhiger. „Dann darf ich Sie also weiterhin hier unten besuchen?“, fragte Moriarty mit großen Augen. „Du hast Adi doch hoffentlich allein ausgeführt?“
Gerade in dem Moment als Moriarty die Frage bejahen wollte, entdeckte er Irenes Haarreif auf einem der Labortische. Ohne Zweifel hatte der Doktor ihn längst bemerkt. Dieses Miststück, dachte Moriarty und sagte kleinlaut. „Ich wollte doch nur meine Freundin beeindrucken.“
„Verstehe!“, bemerkte Doktor Stapleton streng. „Du hast eine Woche Laborverbot, und sei froh, dass ich dir nicht einen Monat verpasse! Wer war das Mädchen?“
„Irene Adler aus der fünften Klasse.“
„Wenigstens hast du Geschmack. Bring sie her!“
Der kleine Jim wandte sich wortlos der Tür zu. Bevor er das Labor verließ, drehte er sich noch einmal um. In seinem Blick lag schon etwas vom erwachsenen Moriarty. „Wenn ich Ihnen Irene bringe, heben Sie mein Laborverbot auf!“
Doktor Stapleton wusste nicht ob er lachen, oder sich beim Lachen verschlucken sollte. „Wie war das eben?“
„Sie haben mich verstanden, schließlich sind Sie der Erwachsene.“, entgegnete Moriarty kühl. „Glaubst du wirklich, dass ich mich von einem kleinen Jungen erpressen lasse?“, entgegnete er unsicher. Inzwischen war in Moriartys Gesicht keine Spur mehr von Kindheit zu entdecken. „Ich bin nicht irgendein kleiner Junge. Ich bin die Zukunft die eines Tages Ihre Gegenwart bestimmen wird.“
Doktor Stapleton warf ihm einen finsteren Blick zu. „Du entpuppst dich hier in einer Weise… Aber gut, wie du willst. Und jetzt hol deine kleine Freundin! Wir können nicht riskieren, dass sie auf dem Schulgelände umherläuft und Schauergeschichten über eine Bestie erzählt.“
Moriarty lächelte. „Wir stimmen überein.“
Dann machte er sich auf den Weg. Im Wald warteten immer noch zwei verletzte Dorftrottel und Irene, mit der er noch mehrere Hühnchen zu rupfen hatte.

Kaum hatte Moriarty den Raum verlassen, griff Doktor Stapleton nach dem Telefon und wählte eine Nummer. Eine junge männliche Stimme erklang am anderen Ende der Leitung. „Wir waren uns doch darüber einig, dass Sie uns nur im Notfall anrufen!“
„Stellt man im Innenministerium neuerdings Schwachköpfe ein? Das ist ein Notfall, Idiot! Verbinden Sie mich mit dem Minister, und zwar umgehend!“

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Sherlock- Dämonen der Vergangenheit

Zwischenepisode 3

Der Hund von Waldorf Kastell

Sherlock hatte Mühe den wie ein wütendes Rumpelstilzchen umher hüpfenden John Watson zu beruhigen.
„John, ich möchte, dass du jetzt ganz ruhig bleibst, egal wie aberwitzig es dir vorkommt, was ich als nächstes sage. Den Doktor hast du ja schon kennen gelernt…“
„Wer ist dieser verrückte Kerl, und warum hat er uns in kleine Jungen verwandelt, und wie geht so was überhaupt?“, platzte John aufgewühlt dazwischen.
„Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass ich jetzt rede.“, mahnte Sherlock.
„Nein, du hast dich darauf geeinigt! Wie üblich!“ John verschränkte beleidigt die Arme, aber wenigstens hüpfte er nicht mehr wie ein Flummi durch die Gegend.
„Willst du nun wissen warum du und ich kleine Jungen sind, oder nicht?“
„Natürlich will ich das!“
„Dann quatsch nicht dauernd dazwischen!“

Währenddessen auf dem Dach der Waldorfschule.

Jim Moriarty saß in seinem Liegestuhl und beobachtete die Sterne. Er genoss die Einsamkeit. Immer mehr beengte ihn dieser winzige Planet. Alles war so überschaubar langweilig, selbst die Natur zu beherrschen war keine Herausforderung. Aber da draußen bei den Sternen… Was würde er dafür geben nur einmal in einem Schiff zu sein, das Raum und Zeit überwinden konnte.
Just in diesem Augenblick wurde er gestört.
„Störe ich?“
„Natürlich störst du, Irene, aber das hat dich ja noch nie gestört.“, seufzte er.
„Ich habe Mycroft mitgebracht.“, erwiderte Irene schüchtern. Jim hob überrascht den Kopf. „Warum hast du das nicht gleich…? …Hallo Mycroft!“ Etwas Unterwürfiges lag in Moriartys Stimme. „Hallo Jim.“, antwortete der neunjährige Mycroft kühl. „Wie ich hörte war hier vor kurzem ein falscher Professor Einstein.“
Moriarty wurde hellhörig. Es kam nicht oft vor, dass der große Mycroft Holmes, der nebenbei an seinem zweiten Doktortitel arbeitete, sich mit niederen Chargen aus den unteren Klassenstufen befasste. Was er nicht wusste war, dass Mycroft seinen kometenhaften Aufstieg schon seit langem im Auge hatte. Er hatte nur auf die passende Gelegenheit einer Begegnung gewartet.
„Unsere Irene war wohl wieder in Plapperlaune. Warum interessierst du dich dafür?“
„Weil es ungewöhnlich ist. Was kannst du mir über den Mann sagen?“
„Er trug einen falschen Bart und eine Perücke, und tat so, als wäre er Professor Einstein. Das ist alles.“
„Was wollte er von euch?“
„Keine Ahnung. Nachdem ich ihn enttarnt habe ist er geflüchtet.“
„Danke.“, sagte Mycroft und verließ ohne ein weiteres Wort die Dachterrasse.
„Was für ein Arsch!“, kommentierte Irene den arroganten Abgang.
„Mycroft war nicht ohne Grund hier. Und obwohl ich ihm kaum etwas gesagt habe, wirkte er zufrieden als er ging, was bedeutet, dass ich ihm etwas Wichtiges mitgeteilt habe, aber was? ...“ resümierte Moriarty und starrte erneut zu den Sternen. Seine inneren Sensoren sagten ihm, dass etwas Großes in Gange war, was er auf keinen Fall verpassen durfte.
Für Irene Adler gestalteten sich die Dinge derweil etwas anders. Seit sie Moriarty und Mycroft kannte, verbarg sie ihre Talente. Viel lieber gab sie sich als vorlaute Göre, die hin und wieder von Nutzen war. Nicht ohne Grund orientierte sie sich an Moriarty und Holmes, während sie sich nebenbei von hochrangigen Meistern in diversen asiatischen Kampfsportarten, Philosophie und Naturwissenschaften ausbilden ließ. Bei Männern konnte man schließlich nie wissen.
„Der falsche Professor hat sich ausschließlich für uns interessiert, und nicht für Mycroft. Warum hat er sich nicht für Mycroft interessiert?“, stellte sie eine durchaus interessante Frage in den Raum. Moriarty warf ihr einen interessierten Blick zu. „Kann es sein, dass du dich manchmal absichtlich dümmer stellst als du bist?“
„Und was soll das jetzt wieder?“, erwiderte Irene beleidigt. Moriarty hob sofort entschuldigend die Arme. „Nein, so habe ich das nicht gemeint. Deine Frage, warum sich der falsche Professor ausgerechnet für uns interessierte hat mich auf eine Idee gebracht!“
„Soll das etwa ein Kompliment sein?“
„Hör auf damit Irene! Ich weiß, dass Mycroft dich heimlich in seine Kurse schmuggelt, und ich weiß auch von deinem Training bei Doktor Miyagi, also spiel hier nicht die beleidigte Leberwurst!“
„Ich wusste nicht, dass ich jeden meiner Schritte vor dir rechtfertigen muss!“, zischte Irene.
Mittlerweile hatte die Diskussion das Niveau eines Ehestreits erreicht. Ziel dabei war es immer, sein Gegenüber irgendwie mundtot zu reden. Im besten Fall entschuldigte sich der Mann für seine verbalen Vergehen. Manchmal hatte auch Sex etwas damit zu tun.
Im Fall von Irene und Jim waren die Protagonisten zwar weit von dieser Thematik entfernt, aber rein inhaltlich hatten sie zumindest das Prinzip begriffen. Am besten hatte es Loriot mal in einem Satz zusammengefasst. „Irgendwann bring ich sie um.“
Um eine solche Aussage in die Tat umzusetzen war Moriarty allerdings zu pragmatisch veranlagt. Außerdem dachte er an die Zukunft. Irene würde als intelligente und attraktive Frau, die sie zweifellos einmal werden würde, von großem Nutzen für ihn sein. Sich es bereits in der Kindheit mit ihr zu verscherzen war allenfalls dumm und kurzsichtig.
Jetzt ging es darum eine glaubwürdige Entschuldigung zu formulieren. Allerdings gehörte Empathie nicht zu seinen Stärken. Er musste sie also füttern. Und was war da besser, als eine Entschuldigung mit einer knackigen Neuigkeit zu verbinden. Er musste das Paket nur noch entsprechend schnüren. „Willst du wissen, warum ich dir hinterher spioniere?“, begann er kleinlaut. Irene zuckte nicht einmal. Jim hatte das einkalkuliert.
„Ich könnte dich in das Forschungslabor schmuggeln! Da gibt es einige interessante Experimente…“ Sofort wurde Irene hellhörig. Sobald es Dinge zu lernen gab, die ihre Neugier anstachelten… „Ich will sofort dahin!“, rief sie, und ignorierte in ihrer Begeisterung den vorangegangenen Dialog. Moriarty lächelte. Der Fisch hatte angebissen. „Hast du je die Geschichte vom Hund von Waldorf Kastell gehört?“, lockte Moriarty weiter, obwohl das gar nicht mehr nötig war. Irene war wieder ganz in seinem Bann gefangen. „Ich dachte immer, er wäre eine Legende?“
„Falsch gedacht! Mutig genug ihn zu sehen?“ Ein schauriges Gefühl befiel Irene am ganzen Körper.
„Unbedingt!“

Wenig später im Wald

Die kindliche Ausgabe von Doktor John Watson saß meditierend auf einem Baumstamm und schwieg. Und das seit einer geschlagenen Stunde. Sherlock trieb keine Eile. Er ahnte zumindest was in seinem Freund vor sich ging, und übte sich in Geduld. Plötzlich schlug John Watson die Augen auf. Sherlock wich erschrocken zurück. „Hast du das auch gehört?“
„Was gehört?“
„Dieses AUUUHUAHUUUUU?“
„Wie bitte?“, erkundigte sich Sherlock besorgt.
„Das Jaulen! Es klang wie ein großer Hund! …Ich hasse meine Kinderstimme!“
AUHUUUUUHUUUUU
Endlich hörte es auch Kind Sherlock.
„Erinnerst du sich an den Hund von Baskerville?“ John warf ihm einen verständnislosen Blick zu. „Wie könnte ich das vergessen! Wir wären damals fast draufgegangen!“
„Dann wollen wir mal hoffen, dass dieser Hund nicht klettern kann. AUF DIE BÄUME!“
Instinktiv folgte John dem Befehl. Die Angst des Kindes verlieh ihm Flügel. Mit zitternden Gliedmaßen kämpfte er sich bis fast in die Baumkrone. Von unten erklang ein gefährliches Knurren. Aber hier war er sicher. Kein Hund der Welt konnte auf Bäume klettern. Zeit für kindlichen Übermut.
„Hör auf das Vieh mit Tannenzapfen zu bewerfen, John! Du machst ihn nur wütend!“
„Wieso? Ist doch nur ein Hund, und außerdem macht das gerade einen Heidenspaß!“, kicherte John und betrommelte den knurrenden Köter weiter mit Tannenzapfen, wobei er abwechselnd „Nimm dies!“ und „Nimm das!“ rief. Plötzlich geriet der Baum ins Schwanken. John hatte Mühe sich festzuhalten. „Scheiße, was war das denn?“
„Ich hatte dir gesagt, du sollst das lassen.“, sagte Sherlock mit einer Stimme die eine schreckliche Erkenntnis verheimlichte.
„Wieso, was ist denn?“, erkundigte sich John ängstlich, während die Vibrationen unter ihm bedrohlich zunahmen. „Wenn du nicht in Kürze die Geschicke eines Eichhörnchens erlernst, fürchte ich um dein Leben.“
Und dann war es auch schon so weit. Erst jetzt wurde sich John darüber gewahr wie groß der Hund wirklich war, was vor allem daran lag, dass er sich an den Schnürsenkel seines linken Schuhs festgebissen hatte. Sherlock beobachtete den Todeskampf seines alten Freundes ohnmächtig. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der übergroße Hund, der an einen Warg aus „Herr der Ringe“ erinnerte, seinen besten Freund mit Haut und Haar verschlang. Johns panische Schreie hallten durch den ganzen Wald und mitten durch Sherlocks Herz. War es das, was dieser kauzige Doktor für ihn geplant hatte?
Das Tier hing mittlerweile an Johns Hose fest, und zottelte mit übermenschlicher Kraft daran herum. Allmählich verließen ihn die Kräfte. „Halte durch John!“, rief Sherlock vom Nachbarbaum verzweifelt. John Watson schloss die Augen. „Du warst der beste Freund den ich je hatte.“ Dann ließ er los. Sherlock sah ihm erstarrt hinterher. „Nein“, sagte er erst leise, bis sein ohrenbetäubender Schrei den Hund auch auf seinen Baum lockte. Es war ihm egal.

ff
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Sherlock- Im Reich der unmöglichen Möglichkeiten

Zwischenepisode 2

Tückische Vergangenheit

Die TARDIS landete. Draußen herrschte finstere Nacht. Bevor Sherlock seinen Drang ausleben durfte, sofort nach der kindlichen Ausgabe seines Erzfeindes zu suchen, gab es erst einmal eine Belehrung.
„Sie sollten eines wissen, Sherlock. So bald Sie dieses Schiff verlassen, befinden Sie sich im Körper Ihres kindlichen Ichs.“
„Sie haben wirklich an alles gedacht! Werden Sie mich begleiten?“ Der Doktor schüttelte den Kopf. „Sie haben Ihren Fall, ich habe meinen. Eine Idee, wann ich Sie wieder abholen soll?“
„Wenn Sie mir verraten wo und wann genau ich hier gelandet bin, kann ich den Zeitfaktor vielleicht eingrenzen.“
„Sie sind sieben Jahre alt und befinden sich auf dem Gelände einer Schule für hochbegabte Kinder. Mitten im Wald, gut abgeschottet, sehr idyllisch. Moriarty ist in ihrem Alter und besucht bereits die siebte Klasse, obwohl auch diese ihn intellektuell unterfordert. Ich habe Ihr Äußeres deswegen verändert, damit Moriarty Sie nicht als erwachsene Person in seinem Gedächtnis speichert. Und noch was. Irene Adler ist ebenfalls an dieser Schule und in ihrem Alter. Allerdings ist sie erst in der fünften Klasse.“ Der Doktor machte eine kurze Pause, als er Sherlocks schockiertes Gesicht sah. „Oh, Sie wussten es nicht. Genügt Ihnen eine Woche?“
„Geben Sie mir dreißig Minuten.“, erwiderte Sherlock entschlossen. Jetzt war es der Doktor der einigermaßen schockiert wirkte. „Ihnen ist schon klar, dass die Kinder schlafen, oder? Und nur für den Fall, dass Sie planen Moriarty und Irene die TARDIS zu zeigen, vergessen Sie es!“ Sherlock wirkte enttäuscht. „Warum eigentlich? Eine Reise mit uns dreien als Kinder, und wir würden vermutlich ganz andere Menschen werden! Ich sehe darin keinen Widerspruch.“
„Das ist nicht zielführend!“, widersprach der Doktor sofort und fügte streng hinzu. „Nach Verwerfung Ihres Planes! Wann soll ich Sie hier wieder abholen!“
„Warum sind Sie so dagegen? Wir könnten hier und heute Geschichte schreiben!“ Der Doktor wurde allmählich wütend. „Ich habe schon viel zu oft an Geschichten mitgeschrieben, und glauben Sie mir, ich habe mir dabei mehr als nur einmal die Finger verbrannt. Und was ihre Geschichte im speziellen betrifft. Sie ist es nicht mal im Ansatz wert, denn sie würde alles nur verschlimmern wenn ich Ihrem törichtem Wunsch nachgeben würde.“, entgegnete der Doktor finster. Sherlock ließ die Worte auf sich wirken.
„Dann eben die lange Tour. Drei Tage. Ich werde pünktlich sein.“
Der Doktor bedachte Sherlock mit einem skeptischen Blick. „Drei Tage. Und wehe Sie bringen die Kinder mit!“
„Einverstanden.“, knurrte Sherlock.
„Sehr schön! …Viel Erfolg, Sherlock.“, erwiderte der Doktor mit einem hintergründigen Grinsen.
Wenige Sekunden später verschwand er mit der TARDIS in den Weiten von Raum und Zeit. Außerdem hatte er gelogen. Sherlock befand sich gar nicht in seinem kindlichen Körper. Aber warum hatte er das getan? Und was, wenn er sein Versprechen nicht einlöste, weil er vielleicht schon in der Zukunft war, und damit Sherlocks Plan voraussah? Es war zum Verrücktwerden! Dieser hinterhältige Kerl hatte wirklich an alles gedacht.
Es galt also zu improvisieren. Zum Glück war Sherlock nicht ganz unvorbereitet. In seinen Taschen fand er eine alte Perücke und einen lustigen Bart. Nach seiner Kostümierung sah er Albert Einstein verblüffend ähnlich. Dumm nur, dass der echte Albert Einstein augenblicklich als Gastdozent an der Schule arbeitete.

Wenige Stunden später auf dem Schulhof.

Es war kein gewöhnlicher Schulhof. Es gab auch keine üblichen Spielplätze. Der Wald war der Spielplatz, und die Kinder tummelten sich in ihm wie fleißige Ameisen. Aus Sträuchern und Gräsern bastelten sie Seile, Holzreste wurden verbraucht um alle möglichen Formen von Hütten zu bauen, Ideenfabriken wurden genutzt um Pläne für eine Waldstadt zu entwickeln, Werkstätten wurden gebaut… Es war eine Freude den Kindern zuzusehen, wie sie in gemeinsamer Arbeit Probleme lösten. Und es wurde fast jeder gebraucht. Aber wie in jeder heilen Welt gab es auch jene die abseits standen. Teils gewollt, teils ungewollt.
Was die junge Irene Adler und Jim Moriarty betraf, so herrschte keinerlei Zweifel darüber, dass ihre Abwesenheit absolut gewollt war. Wie Waldorf und Statler saßen sie auf einer von den Ameisen geschnitzten Holzbank und kommentierten traditionell das Geschehen.
„Sieh dir an wie sie grinsen. Es ist fast so als freuten sie sich auf ihre künftige Versklavung!“
„Manche von ihnen werden vermutlich mal sehr nützlich für uns werden.“
Moriarty lachte. „Ich freue mich schon auf die neue Welle der politisch korrekten Pädagogen, die in Ghettos um ihr Leben bangen.“
„Nützliche Idioten!“
„Du sagst es Irene. Ich halte es da mit Mycroft Holmes aus der neunten Klasse. Wenn er nicht so beschränkt obrigkeitstreu wäre, hätten wir in ihm einen nützlichen Verbündeten.“ Irene warf ihm einen schmachtenden Blick zu. „Wenn das jemand hinbekommt, dann du, Jim.“ Jim erwiderte den Blick mit ernstem Bedauern. „Verlass dich nicht zu sehr auf deine biologischen Vorteile den Männern den Kopf zu verdrehen. Spätestens in vierzig Jahren verpuffen diese Reize im Nichts.“
„Frauen werden aber statistisch älter, also gewinnen wir letztendlich!“, erwiderte Irene schnippisch.
„Treib es nicht zu weit, Irene Adler! Es gibt einen guten Grund dafür, dass du zwei Klassenstufen unter mir bist, während ich gerade in der Siebten versauere!“
Ein aufdringlicher Erwachsener setzte sich zwischen die Kinder. „Nanana, wer wird denn so streiten? Vielleicht kann ich helfen. Worum geht es denn?“
„Das geht Sie… Professor Einstein?“
Der Professor nickte freundlich. „Ganz recht, mein Junge, und übrigens. Ich konnte als Kind auch nichts mit organisierten Menschenmassen anfangen.“
„Sie haben uns zugehört?“, fragte Irene ängstlich. Der Professor lachte. „Das musste ich gar nicht. Ich habe mich selbst als Kind in euch wieder erkannt. Und das war eine höchst erfreuliche Begegnung. Ich danke euch dafür.“
„Gern geschehen.“, entgegnete Jim Moriarty kühl. Seit er denken konnte misstraute er Erwachsenen. Besonders dann wenn sie übertrieben freundlich und verständnisvoll daherkamen. Da machte selbst der berühmte Professor keine Ausnahme. „Was halten Sie eigentlich von Nikola Tesla?“, stellte er ihn auf die Probe. Der Professor verzog ernst das Gesicht. „Ich nehme an, du bist mit seinen Forschungen vertraut?“
„Ich will nur wissen, ob Sie es auch sind.“, antwortete Moriarty misstrauisch. „Natürlich!“, behauptete der Professor sofort, und fügte leise hinzu. „Allerdings werden diese Forschungen wohl noch für lange Zeit vor dem Rest der Menschheit verborgen gehalten.“
„Sie sind ein Feigling, Professor.“
„Aber wie kommst du denn jetzt darauf, mein Junge?“
„Außerdem sind Sie ein Lügner.“
„Ich fürchte, ich verstehe nicht…“
„Wer auch immer Sie sind, Sie sind eine Schande für jeden intelligenten Erwachsenen, wobei das genau genommen keine Schande ist. Es ist eher modern. Aber uns mit einer billigen Perücke und einem falschen Bart einreden zu wollen, Sie wären Professor Einstein, zeugt schon von einer sehr gestörten Eigenwahrnehmung. Als Weihnachtsmann wären Sie glaubwürdiger gewesen. Bleibt die Frage: Wer sind Sie, und warum interessieren Sie sich für uns? Zu Ihrem Schutz möchte ich anmerken, dass ich Sie keineswegs für einen Perversen halte, aber um Ihnen meine Entschlossenheit zu signalisieren möchte ich bemerken, dass ich es behaupten könnte. Und unsere reizende Irene wird das jederzeit bestätigen. Ist es nicht so, Irene?“
„Für mich ist es eindeutig ein Perverser!“, behauptete Irene fest und traf den enttarnten Sherlock mitten ins Mark. Nur mühsam konnte er sich zurückhalten laut zu schreien. Letztendlich gab es nur einen Weg.
Flucht.

Drei Tage später am vereinbarten Treffpunkt.

Die TARDIS erschien tatsächlich pünktlich. In Sherlock hatte sich seit der Flucht vom Schulhof einiges an Wut angestaut. Unter anderem deswegen, weil der Doktor gelogen hatte, und ihn nicht wie vereinbart als kindliche Ausgabe seiner Selbst an diesem Ort abgeladen hatte. Entsprechend wütend empfing er den Doktor.
„Sie haben mich angelogen!“
„Na und? Sie mich doch auch!“
„Wann bitteschön habe ich gelogen!“, schnaufte Sherlock wütend.
„In dem Moment, als Sie beschlossen haben den Kindern die TARDIS zu zeigen.“, erwiderte der Doktor fröhlich. Sherlocks Wut verpuffte. „Sie wussten, dass ich scheitern würde.“, flüsterte er.
„Aber natürlich, Sherlock, und Sie wussten es auch! Deswegen werden Sie in Versuch Nummer zwei tatsächlich als die jüngere Ausgabe von sich selbst auf dem Schulhof auftauchen, nur diesmal mit dem Wissen, dass auch Ihr Bruder dort ist. Ich sagte doch. Sie haben alle Zeit der Welt.“
„Und täglich grüßt das Murmeltier.“, grummelte Sherlock.
„Einstein sagte sinngemäß: Fehler zu wiederholen um ein besseres Ergebnis zu erwarten ist Schwachsinn.“
„Verschonen Sie mich mit Einstein!“
Der Doktor grinste.
„Wie viel Zeit brauchen Sie diesmal?“
Sherlock überlegte. Jetzt wo er Moriarty und Irene als Kinder kannte, hatte sich einiges geändert, unter anderem sein Weltbild über Irene. „Ich erhöhe den Einsatz meiner Lebenszeit auf einen Monat.“, verkündete er entschlossen. „Und Sie glauben, dass ein Monat ausreichen wird um sieben Jahre Moriarty zu beeinflussen, ohne dass er die TARDIS sieht?“, merkte der Doktor skeptisch an.
„Sie misstrauen dem größten Detektiv des Multiversums noch immer?“
Der Doktor lächelte. „Haben Sie eine Minute Zeit?“
Noch ehe Sherlock antworten konnte verschwand der Doktor mit der TARDIS und kehrte exakt eine Minute später wieder zurück. An seiner Hand hielt er ein Kind, das ängstlich seine Umgebung beäugte. „John? Ich bin es, Sherlock!“, platzte es aus Sherlock heraus.
„Sherlock?“, rief das Kind ängstlich und wunderte sich kurz darauf. „Warum klinge ich wie ein kleiner Junge, und warum siehst du wie einer aus?“
Sherlock jubelte innerlich, und warf dem Doktor einen dankbaren Blick zu. Kurz darauf verschwand die TARDIS. Die Kinder waren allein im Wald. Sofort ging das Gezeter los.
„Also Sherlock, ich habe keine Ahnung was hier gerade läuft, aber du brauchst wirklich verdammt gute Argumente um mir ZU ERKLÄREN WARUM ICH ALS KLEINER JUNGE MIT DIR MITTEN IM WALD FESTSITZE!!!“



Fortsetzung folgt
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Sherlock trifft Dr. Who

Zwischenepisode 1

(geklaut aus dem Youtube Video eines Geschichtengourmets. „WHOLOCK- Sherlock meets the Doctor")

Inzwischen war auch Lestrade eingeschlafen. Sherlock blickte nach den Sternen und versuchte erfolglos seinen Geist zu zügeln. Was würde er dafür geben die Geheimnisse des Universums zu enträtseln. Stattdessen saß er hier auf einem Berg und hörte seinen Freunden beim Schnarchen zu. Ein Lächeln huschte ihm übers Gesicht. Es war ein -Ich hätte es auch wesentlich schlimmer treffen können- Lächeln. Langsam begannen sich seine Augenlider zu schließen.

..
.
Ein intervallartig penetrant auftretendes Geräusch bohrte sich in seine Ohren. Vor seinen sich langsam wieder öffnenden Augen materialisierte sich eine blaue Telefonzelle aus den 50-er Jahren. Das nervtötende Geräusch verschwand. Die Zelle blieb. Das flackernde Licht aus den Fenstern deutete darauf hin, dass zumindest jemand telefonierte.
Alle anderen schnarchten genüsslich weiter.
Zeit der Sache auf den Grund zu gehen. Telefonzellen tauchten nicht zufällig, und einfach so in den schottischen Highlands auf. Es musste eine plausible Erklärung für dieses höchst unerklärliche Phänomen geben.
Die Zellentür öffnete sich. Sie hatte Sherlocks ungeteilte Aufmerksamkeit. Ein Mann trat hervor. Er hatte was von Pinocchio. Fast war es, als würde Sherlock in ihm die freundliche Variante seines Spiegels sehen. „Hi Sherlock!“, begrüßte ihn der Mann mit einem Grinsen.
„Wer sind Sie?“
„Ich bin der Doktor! Und es ist mir eine Ehre den berühmtesten Detektiv des Multiversums endlich mal persönlich kennen zu lernen!“ Kaum ausgesprochen streckte er Sherlock seine schmale Hand entgegen. In seinen Augen leuchtete das Feuer eines kleinen Jungen, der zum ersten Mal seinem heimlichen Held begegnete. Sherlock erwiderte den Gruß verhalten. „Der Doktor?“
„Einfach nur der Doktor!“, entgegnete der Doktor mit einem entwaffnenden Strahlen im Gesicht.
„Und was ist das da?“ Sherlock deutete mit seinem langen Zeigefinger auf die Telefonzelle. Der Doktor war begeistert. „Ich wusste, dass Ihnen die TARDIS sofort auffällt. Wollen Sie sie sehen?“
Sherlock wirkte noch immer überfordert. „Was ist eine TARDIS?“
„Kommen Sie nur! Es wird Sie begeistern!“, rief der Doktor voller Enthusiasmus. Sherlock hatte Mühe der Versuchung zu widerstehen. Dieser hibbelige Doktor faszinierte ihn. Er lockte ihn wie einst die alte Hexe geradewegs in das Pfefferkuchenhaus. Und genau diesen Effekt hatte die TARDIS auch. „Sie ist von innen viel größer als von außen!“, staunte er.
„Nun ja, das sagen alle.“ Ein Hauch Enttäuschung lag in der Stimme des Doktors. Vom größten Detektiv des Multiversums hatte er etwas mehr Deduktionsvermögen erwartet. Und es kam. Wenn auch etwas verspätet, dafür aber mit umso mehr Enthusiasmus vorgetragen.
„Das ist eine Art Raum- und Zeitschiff. Es krümmt den Raum und überbrückt die Zeit mit einer Energie, die es aus schwarzen Löchern gewinnt, was Sie zu einem sehr mächtigen Wesen macht, denn Sie besitzen die Kontrolle darüber. Leider haben Sie vor kurzem einen sehr tragischen Verlust erlitten, da Ihnen scheinbar im gesamten Multiversum die Gesprächspartner ausgehen, die Ihnen intellektuell und geistig gewachsen sind. In dem Fall ist es mir eine Ehre Sie kennen zu lernen! Liege ich in etwa richtig?“
Der Doktor hatte begeistert zugehört. „Fast richtig!“
Sherlock wirkte irritiert. „An welcher Stelle lag ich falsch?“
Der Doktor zögerte. „Nun ja, ich bin nicht wegen Ihnen hier, auch wenn ich mir keinen besseren Partner an meiner Seite vorstellen könnte.“ Allein die Neugier hinderte Sherlock daran beleidigt zu sein. „Ist es anmaßend zu fragen warum Sie dann hier sind?“
„Wegen der Daleks. Sie planen mal wieder eine Invasion auf die Erde. Noch kann ich sie für die nächsten zweihundert Jahre auf dem Mond in Schach halten, aber danach brauchen wir hier dringend Hilfe. Ich aktiviere daher heute das entsprechende Notsignal. Danach werden die Daleks für die nächsten tausend Jahre keine Lust mehr haben, sich auch nur in die Nähe der Erde zu trauen.“
„Ich will unbedingt Teil der Expedition sein!“, hörte sich Sherlock begeistert selbst rufen. Zum ersten Mal seit ihrer Begegnung wirkten die Augen des Doktors traurig. „Ich kann bei dieser Mission nicht garantieren, dass ich Sie hier zeitgemäß und unversehrt wieder abliefern werde. Und ohne Sie hat Moriarty bereits gewonnen, was wiederum eine Zeitschleife… Ich schwatze zu viel. Es war ein Fehler Sie kennen lernen zu wollen! Verlassen Sie mein Schiff!“
Sherlock wandte ihm ohne Widerspruch den Rücken zu und ging langsam in Richtung Ausgang. Kurz vor der Tür drehte er sich noch einmal um. Ein zufriedenes Lächeln lag in seinem Gesicht. „Das gesamte Multiversum liegt Ihnen zu Füssen. Ich kann nur erahnen wie alt Sie sind, aber augenblicklich kommen Sie mir wie ein ängstlicher Teenager vor. Mich erst anlocken und dann zur Tür weisen? Das muss selbst für jemanden wie Sie mehr als erbärmlich…“
„Hören Sie schon auf, Sherlock!“, wütete der Doktor, während er nebenbei hektisch die Konsolen bediente. Es war das erste Mal, dass Sherlock seinen Gastgeber wütend sah. Und dennoch traf es ihn erneut wie einen Spiegel. Er musste sich nicht mal Mühe geben die Aktivitäten des Doktors zu verstehen. Vielmehr war er froh sich immer noch an Bord der TARDIS zu befinden.
„Dann darf ich also bleiben?“, fragte Sherlock vorsichtig nach.
„Eine Mission, Sherlock, und danach bringe ich Sie wieder hier her. Selbe Stelle, selbe Welle! Nur eine Bedingung. Die Mission darf nichts mit meiner Mission zu tun haben.“
„Wie viel Zeit habe ich zur Verfügung?“
„So viel sie wollen.“
Sherlock grinste verwegen. „Also gut! Dann will ich in Moriartys Kindheit!“
Der Doktor grinste ebenfalls.
Das Grinsen sollte beiden bald vergehen.


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