20.832x gelesen 104x abonniert Ausgabe 38/23 22.09.2023 Der schwarze Abwasserkanal Jetzt registrieren

Alex hatte Geburtstag

Erster Akt

Ein deutscher Agrarminister gibt im Europarat seine Stimme für Glyphosat ab. Wow! Das ist großes Kino, zumal vorher absehbar war, dass ein großer Teil der Bevölkerung sein Veto gegen eine solche Entscheidung verlautbaren würde. Seine Begründung im öffentlichen Fernsehen auszustrahlen hatte schon etwas von Notschlachtung an sich, und der anschließende Rüffel der Kanzlerin hatte den Authentizitätswert der Aussage: „Du du, mach das nie wieder!“
Was also will man uns mit diesem dilettantisch vorgetragenen Volkstheater sagen?
Is nun mal passiert, wir schämen uns, und ich entschuldige mich für die Entgleisung meines Ministers, die nicht mit mir abgesprochen war, aber leider können wir diesen Schritt nicht rückgängig machen?

Zweiter Akt

Mittlerweile sind wir bei Morddrohungen gegen den Minister angekommen. Sie werden bereits subtil von den Medien gestreut und werfen eine neue Sicherheitsdebatte in den Raum, die eine momentan nur geschäftsfähige Regierung selbstverständlich nicht aufgreifen kann, da sie keine Beschlüsse fassen darf.
Und schon ist der kleine Mann, und auch die Frau, verängstigt darüber, dass es keine Regierung gibt, oder wie es Volker Pispers mal treffend verpackte: „Ne Scheißregierung ist besser als gar keine Regierung.“ (selbstredend vollkommen aus dem Kontext gerissen)

Dritter Akt

Um den Ernst der Lage zu skizzieren geraten Nachrichten in den Focus der Öffentlichkeit, die das Mitgefühl der Bevölkerung für die von fanatisierten Lebensverweigerern angegriffenen Politikern sensibilisieren sollen. Immer häufiger ist dabei auch Alkohol im Spiel.
Und andere unschöne Dinge.
Aber immer unter einem Mantra.
Der Schuldige steht bereits fest.
Und da wir zivilisiert, ehrenhaft und einfach WOW sind, konsumieren wir weiter, laden uns Netflix runter, sehen und begreifen auch, aber…


Vierter Akt

Verstehen wir die Welt, oder leben wir nur darin?
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Ben – eine Ratte geht in die Öffentlichkeit

Neues aus Bens Schule

Mittwoch.
Früh um Neun aus dem Bett, ab ins Auto, in Wensickendorf von der Polizei wegen Geschwindigkeitsübertretung gestoppt, in einer extra dafür eingerichteten 100 Meter 30- er Zone kurz vor einer Kreuzung mit Baustellenampel, die sich gefühlte hundert Jahre einmal im Leben auf Grün bewegt, weil eine weitere Baustelle, etwa fünf Kilometer weiter, die Möglichkeit verhindert eine Abkürzung zu nehmen… aber lassen wir das.
Nach Zerreißen des Bußgeldbescheids, und seiner sofortigen Entlassung aus dem Innenbereich meines Fahrzeugs, stellte ich mich demonstrativ auf die Kreuzung, zeigte den hiesigen Beamten noch den berühmten Facebookdaumen, begleitet von dem ungehörten Vorwurf: „Dieses Chaos habt ihr übrigens zu verantworten!“
Kurze Zeit fühlte ich mich wie ein unüberwindbarer Held, bis mir nach dem vierten oder fünften Überholvorgang klar wurde, dass mir diese Bagage jetzt erst recht auf den Senkel gehen würde. Ein wenig Trost fand ich in der Musik. Außerdem lauerte schon die nächste, aber durchaus berechtigte 30 er Zone. Ich fuhr etwa 28 und nervte damit augenscheinlich den hinter mir am Steuer eines BMW sitzenden Jungfahrer. Sein Gesicht im Rückspiegel sprach Bände.

Irgendwann war er weg, und ich war in der Schule. Es war gerade Hofpause, und das erste was mir entgegenlief war eine aufgebrachte Schar Kinder.
„Haben Sie schon von der Ratte gehört?“, brach es mir kollektiv aus Sensationslüsternen Augen entgegen.
Noch völlig verkleistert von den Eindrücken meiner Reise aus dem fernen Eberswalde in die immer hässlicher werdende Stadt Berlin, versuchte ich zunächst richtig zu stellen, dass es sich lediglich um eine Maus handelte. Die Kinder widersprachen sofort vehement und beschrieben die Ratte als schwarz, und das sie einen geknickten Schwanz hätte, und sogar von ein paar Eltern und Lehrern gesehen wurde. Urplötzlich hatte mich der Alltag eingeholt. Ben hatte also sein Gefängnis überwunden und war irgendwie in den Eingangsbereich des Schultrakts gelangt, von dem er jetzt Zugang zu nahezu allen Räumen der Schule hatte.
Die anschließende Augenzeugenbeweisaufnahme war erdrückend.
Und dann fehlte auch noch die Schulleitung.
Natürlich gab es keine bessere Ausrede mich vor der Dienstberatung zu drücken, zumal unsere pfiffige Sekretärin Firma Schade informiert hatte, die bereits auf dem Weg war. Und als neuer inoffizieller Rattenbeauftragter der Schule…
Aber lassen wir das.
Das Warten versüßte ich mir mit der Untersuchung der Tatorte. Das mit der Reliefmasse verspachtelte Loch hatte Ben offensichtlich gezwungen einen anderen Weg zu nehmen, den er dann auch fand. Doch keine Spur deutete darauf hin, wie er die Mensa verlassen konnte.

Und während in der oberen Etage bei der Dienstberatung von überängstlichen Pädagogen alle möglichen Schreckensszenarien heraufbeschworen wurden, von panischen Eltern die womöglich RTL einladen, Versicherungsschutz, Strafbarkeit, unterlassene Hilfeleistung… ich muss aufhören! Eine solche Debatte verdient mindestens eine versteckte Kamera.

Weiter.

Diese Schule ist ein so lebensnaher Ort, und dann kam plötzlich der personifizierte Hercule Poirot persönlich. Aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, da er sich genau wie Hercule Poirot verhielt. Erstmal abwarten, sammeln, analysieren, Strategie entwerfen.
Der neben ihm stehende gedrungene Rattenjäger der vergangenen Tage wirkte regelrecht eingeschüchtert, obwohl der Mann so gut wie überhaupt nichts sagte, weil er wie gebannt meinen Rechercheergebnissen lauschte, die er nur ein zwei mal unterbrach, um konkreteres zu erfahren. Das nötigte mir Bewunderung ab, aber ich stellte mir angesichts der neuen Wegemöglichkeiten für Ben schon die Frage wie er es anstellen wollte eine Ratte zu fangen die mittlerweile im ganzen Schulgebäude zu Hause war. Sein Lächeln darauf sagte mir, dass ich die Antwort schon kannte, und er hatte Recht.
Aber das sollte ich erst am Donnerstag erfahren.

Fazit: Ben ist schneller als mein Schreiben. Bis übermorgen!
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5

Aus Ben wird eine Maus

Neues aus der Schule.

Dienstag, ein Name der seinen Namen verdient.

Der Hausmeister ist seit Montag krank. Das klingt harmlos, ist es aber nicht. Denn seitdem er jedem Firmenangestellten der Schule verkündet hat, dass ich so was wie sein Stellvertreter bin, quatscht mich Hinz und Kunz an, während die Kinder nebenbei in meiner Werkstatt Räuber und Gendarm, mit echten Hämmern, Raspeln und Sägen spielen. Als Gegenleistung zu diesem Privileg habe ich immerhin fast alle Schlüssel in meinem Besitz.
Just in so einem Augenblick steht dieser gedrungene Kahlkopf, etwa mein Alter vor mir, und will mit mir den Rattenbestand im Keller eruieren…

Vorgeschichte.

Ich hatte die Werkstatt wie üblich in der zweiten großen Pause geöffnet, die in letzter Zeit auffällig stark von der 4c frequentiert wird. Die Rattenfallen hatte ich wie üblich gut getarnt, oder was man eben so nennt. Bei Viertklässlern genügt normalerweise die Anwesenheit eines Mülleimers, um sich aus dessen Nähe fernzuhalten, weil mit eben solchen viel zu oft negative Erfahrungen verbunden sind die häufig in dem Satz enden: „Bring doch mal den Müll runter!“ Als ob man als erwachender Mensch nicht andere Dinge im Kopf hätte.
Heutzutage kann man als Kind ja froh sein, wenn man die Gute Nacht Geschichte von seinen Eltern wenigstens als App erhält, während sie nebenbei ihr Sexualleben bei „The Waking dead“ auffrischen.

Wie dem auch sei, ich hatte mich gründlich geirrt. Noch ehe ich mich an meinem Kaffee verbrühen konnte, stürmte die 4c meine Werkstatt, in dem enthusiastischen Bestreben Versteck zu spielen. Das erste was sie dabei entdeckten war die Rattenfalle. Doch ich hatte Glück im Unglück. Johannes B. identifizierte die vermeintliche Rattenfalle als Mausefalle. Dennoch war die Aufregung groß. Es war fast so, als würden alle darauf warten, dass die niedliche, kleine Maus aus ihrem Loch hervorkommt, auf das man sie gemeinschaftlich streicheln könnte. Diesem Trend musste ich entschieden entgegen wirken.
„RUHE JETZT!“
Es dauerte einige Sekunden, und bedurfte auch mehrerer sich lautstark steigernder Wiederholungen, bis die Kinder begriffen, dass die Lautstärke meiner Brüllerei dem Zweck diente mich all ihrer Aufmerksamkeit, wenn auch nur für kurze Zeit zu versichern.
„Ja, wir haben ein Mäuseproblem, aber vermutlich handelt es sich nur um ein Einzelexemplar, wie mir Leute versicherten, deren Fallen ihr gerade entdeckt habt.“
Die Stimmung danach war komisch. Die Kinder ließen wie von Geisterhand von dem Versteck mit der vermeintlichen Mausefalle ab, und für ein paar Sekunden herrschte betroffene Stille in der Werkstatt. Vermutlich dachten wir in dem Moment alle dasselbe. Niemand wollte eine tote Ratte in der Falle sehen. Nur das die Kinder nicht wussten, dass es eine Ratte war, und unwillkürlich kam mir der Gedanke durch den Kopf.
Schade eigentlich.

Und Schade ist das richtige Wort. Denn bereits erwähnte Schädlingsbekämpfungsfirma Schade ritt just in diesem Augenblick mit seinem kahlköpfigen, in meinem Alter befindlichen Rattenjäger ein, und ich konnte ihn nur mit Mühe davon abhalten, das Wort Ratte vor den Kindern in den Mund zu nehmen. Vielleicht mache ich daraus mal einen Sonderdialog, denn mittlerweile kann ich darüber lachen, wonach mir unmittelbar nach seinem Besuch nicht war, da er mich mit Aufgaben betraute, die ich meinem Hausmeister vor kurzem noch ausgeredet hatte. Das Loch der Ratte zu versiegeln. Ansonsten könne er nichts tun, versicherte er mir, und ich hätte bis Mittwoch Zeit.

Zum Glück gibt es Jana K. und ihre schnell härtende Reliefmasse. Einen Tag hat Bens Einbetonierung schon gehalten. Morgen kommt der Kahlkopf wieder. Irgendwas sagt mir, dass er mich loben wird, und er seine Arbeit nun endlich adäquat fortsetzen kann, nachdem der faule Hausmeister, der ihm diesen Dienst bisher verweigerte krankheitsbedingt durch mich ersetzt wurde, weshalb ich sicher nichts dagegen hätte, weitere Löcher mit diesem Wundermittel zu verputzen.

Ich bin so froh, dass ich nicht beim Finanzamt arbeite.
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schizo+=DUR?

Ben 2023- weil, mir ist gerade langweilig.

Dystopie.

Mittlerweile bin ich 52 Jahre alt. Ben hat nicht nur mein Leben versaut, sondern darob noch dafür gesorgt, dass ich selbst dafür verantwortlich war, weswegen ich mein arbeitsloses Hartz VI Empfangsgeld, das immer weniger wird, demütig wie einen Almosen entgegen nehme.
Natürlich habe ich verstanden, dass sich die Mutter von Claire Chantal Becker, Anfang des Jahres 2018, zu Recht darüber beschwerte, dass ihre Tochter von einer ausgehungerten Ratte in meiner Werkstatt angegriffen wurde. Immerhin hatte ich zugelassen, dass es soweit kommen konnte, wobei ich nie gedacht hätte, dass Ben irgendwann tatsächlich ernst macht. Aber Ratten sind eben doch lebenslustiger als wir. Während manch Mensch sich in umgekehrter Rolle vermutlich gern an den Tod durch Selbstaufgabe gewöhnen würde, ticken Ratten da ein wenig anders.

So ein Blödsinn! Uruguay, Rubgy, 1972.

Utopie.

Wer hätte das gedacht. Mittlerweile lebe ich auf einem Bauernhof mit cirka 1400 Ratten, 12 Hennen, und einem überforderten Hahn, dem Ben, das Sprachrohr der Rattenfraktion, mittlerweile nahe legt in den Ruhestand zu gehen, um den künftigen Eibestand der Hennen nicht zu gefährden. Konkret bedeutet das zwar immer noch, dass der Hahn in zwei Hälften am Hähnchengrill landet, aber welcher Hahn hat noch vor gerade mal sechs Jahren ein solches Alter erreicht?
Damals hieß das noch Kükenschreddern, ein heute nahezu ausgestorbener Begriff. Vielmehr dient er als mahnendes Element, und wurde vom Ministerium für positive Rhetorik, in die Rubrik der geschützten Wortbegriffe einbalsamiert.

Ein Leben ohne Ben wäre für meinen Hof kaum noch vorstellbar. Zahllose Kadaver von Wölfen, Füchsen, Mardern, und sogar Bären außerhalb des nicht umzäunten Hofes, sprechen eine deutliche Sprache, denn der Hof expandiert mit jedem Raubtier dem sich die Ratten widmen.
Ich brauche keinen Zaun.
Ich habe Ben.

Realität.

Firma Schade hat keine Kamera installiert. Ben wird vermutlich verhungern, und irgendwann streng riechen. Ab dann kommen die Ameisen ins Spiel. Bei uns sind es die schwarzen Wegeameisen. Noch wissen sie nichts von den argentinischen Ameisen. Da bleibt für Ben nur die Flucht in die Utopie.
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Ben- eine Zwischenbilanz

Neues aus der Schule.

Uta ist eine liebenswerte Kollegin. Als ich ihr letzten Mittwoch erzählte, dass ich eine Geschichte über Ben im Internet veröffentliche, musste sie besonders an der Stelle mit der Integrationserzieherin und ihrem fehlenden Rattenschein lachen. Danach erzählte ich ihr, dass einer meiner Kommentatoren (nicht auf Facebook) die Geschichte mit der aktuellen Flüchtlingsdebatte unterschwellig in Verbindung bringt, und sie lachte abermals. „Das ist doch ganz logisch“, erklärte sie mir.
Ihre Worte hallen noch immer nach.

Daher habe ich mich entschlossen etwas klar zu stellen. Ben ist eine Ratte. Ratten sind außergewöhnliche, und intelligente Tiere. In Großstädten sind sie uns mindestens 3:1 überlegen, wobei ich diese Zahl für weit untertrieben halte. Dennoch greifen sie uns nur in Ausnahmefällen an, obwohl schon eine einzige genügen würde um manch menschlich Wesen in Panik zu versetzen. (Bei mir sind es übrigens Kreuzspinnen) Viel eher steigt die Zahl der Kammerjäger immer mehr an.
Aber warum hausen Ratten so gern in der Nähe von Menschen? Ein Blick auf die weggeworfenen Lebensmittel in den Müllkörben auf unserem Schulhof liefert die Antwort. Wir werfen Dinge weg, die andere gern fressen. Wenn die wüssten, was wir so täglich in uns reinschaufeln, aber das ist eine andere Geschichte, und vielleicht wissen sie es ja auch. Schließlich haben Ratten, Krähen, Tauben, Spatzen, Ameisen und andere Insekten eine wesentlich kürzere Lebensdauer. Und schon sind wir beim Insektensterben in diesem Jahr. Wenn selbst der Mainstreampresseclub über 75 % Insektensterben postuliert, und Amseln vom Himmel fallen, dann gibt es auf das meist nur eine Antwort.

Der Klimawandel- und wir alle sind schuld!

Schuldkult als übergeordnetes Weltbild. Bis dahin bin ich überzeugt. Wir sind ja immerhin die Krone der Schöpfung. Früher hieß das zwar mal Umweltschutz und CO2 war integraler Bestandteil des Ökosystems, aber was weiß ich schon. Der Schwarmverstand der Grünen hat mich irgendwann auch mal davon überzeugt, es mit einer Pazifistenpartei zu tun zu haben, bis ich lernte. „In Serbien ist gut sterbien.“ Zitat: Stefan Sch., Straßensozialarbeiter bei einem Verein, der ihn mittlerweile absägen will. Undank ist der Welt Lohn.

Was vermarktet wird kostet Geld.
Geld erweckt Misstrauen.
Misstrauen befreit die Lüge.
Lüge ist Tieren fremd, Täuschung allerdings nicht. Das wandelnde Blatt, Stinkmorchel, die argentinische Ameise, u.s.w.

Bleibt die Frage. Belügen wir uns weil wir Menschen sind, oder ist die Lüge Teil unserer Menschlichkeit? Und was, wenn das ansteckend ist?

Ps: Ich habe das Fenster nicht geöffnet, um Ben die Möglichkeit zu gestatten raus zu kommen. Mein Hausmeister und letztlich ich selbst waren dagegen. Ich bin ein Kontrollfreak, zumal ich ein Vogelhaus vor meinem Fenster aufgestellt habe, und den Verdacht hege, dass Ben das offene Fenster nur nutzen würde um sich Nahrung aus dem Vogelhaus zu besorgen, um vielleicht anschließend eine Familie zu gründen.
Morgen kommt Firma Schade und stellt eine Kamera auf.
Die Schlinge um Ben wird enger, und ich erwische mich dabei wie ich seinen selbst heraufbeschworenen Tod zu einer Randnotiz meines Lebens mache.

Ab morgen werde ich eine bessere Ratte!
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Ben IV- Das Ende einer Kinokarriere?

Neues aus der Schule.

Es ist noch nicht vorbei. Spätestens ab jetzt droht Ben die Verwahrlosung in einer harmlosen Fernsehserie. Vielleicht werde ich sie, the walking Ben nennen.

Montag, 13.11. 2017

Nur eine Frage beschäftigt mich, als ich gegen 11:30 Uhr das Schulgelände betrete. Mit welcher Fresse begegnet mir mein Hausmeister. Tatsächlich ist er der erste Mensch der mir im Schulgebäude begegnet. Selbstverständlich kein Zufall, denn ich habe ihm das Erkennen meiner Gewohnheiten jahrelang antrainiert.
Sein Gesicht spricht Bände. Während ich innerlich schmunzele, erkundige ich mich äußerlich besorgt nach den aktuellen Befindlichkeiten der Firma Schade. Er bringt mich auf den neuesten Stand. Eigentlich fehlt nur noch das Salutieren. „Die Ratte war wohl in deiner Werkstatt, und benutzt den Zwischenraum zwischen Werkstatt und Integrationsraum als Lager. Firma Schade ist überzeugt, dass es ein Männchen ist, das keinen Weg mehr nach draußen findet. …Da hat wohl irgendjemand von deinen Kollegen irgendwann mal die Tür zu lange aufgelassen. …Jedenfalls wollen sie am Mittwoch eine Kamera aufstellen, und außerdem haben sie an ihrem Ausgang eine zweite Falle aufgestellt.“
„Was ist mit dem Handtuch?“
„Welches Handtuch?“, fragt mein Hausmeister völlig zu Recht, und beantwortet mir damit gleich eine Frage, die ich noch gar nicht gestellt habe.
„Na das, was sie in die Öffnung gesteckt haben um der Ratte den Weg zu versperren?“ Mein Hausmeister sieht mich ungläubig an. „Ich bin doch da nicht mit rein gegangen, ich bin doch nicht verrückt.“
Folgender Gedanke geht mir durch den Kopf, nachdem ich Bens letzten Tatort untersucht habe. Meine unangetastete Boulette. Und tatsächlich entdecke ich neue Spuren, nachdem ich den Hausmeister abgewimmelt habe. Staub ist ein besserer Zeitmesser als jede Uhr.

„Sie wollen außerdem, dass wir eine Art Metallschutz an die Heizungsrohre anbringen, damit die Ratte nicht in die Mensa flüchten kann.“, unterbricht der doch nicht ganz abgewimmelte Hausmeister meine Gedanken. In diesem Moment passiert alles auf einmal, und das mitten in meinem Kopf.
Ich merke, dass ich Ben nicht tot in einer Falle sehen will. Genauso wenig möchte ich Bens Großfamilie in meiner Werkstatt haben, während Kinder lernen mit Säge, Feile, Hammer und Nagel umzugehen. Aber ich kann seine permanente Anwesenheit auch nicht ignorieren. Vor kurzem kam mir der Gedanke, einfach mal das Fenster offen zu lassen, damit er entkommen kann. Doch was, wenn er anstatt zu fliehen den Keller mit seinesgleichen fluten würde?
„Nein!“, antworte ich entschieden, und begründe. „Wir werden schließlich nicht dafür bezahlt ein Problem zu beheben für dessen Lösung die Stadt eine Firma bezahlt hat.“ Er stimmt mir zu. Als Beigabe erwähne ich noch: „Und stell dir nur vor, du bist gerade am Arbeiten, und plötzlich springt dich dieses völlig verhungerte Rattenvieh an.“ Das überzeugt meinen Hausmeister endgültig.
Ich komme wieder zu eigenen Gedanken. Immer mehr wird mir klar, dass ich von einer Ratte besessen bin. Indem ich ihre Spuren verfolge mache ich mich zum Instrument ihres Willens.
Momentan will Ben nur raus, und löst arrogant Fallen aus die von offensichtlichen Dilettanten aufgestellt wurden, die seine Natur nicht ansatzweise verstehen.
Daher. Fenster auf. Das Experiment beginnt.

Dienstag.
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