Der Doktor Faust
Du hast mich beschworen aus dem Grab
Durch deinen Zauberwillen,
Belebtest mich mit Wollustglut -
Jetzt kannst du die Glut nicht stillen.
Preß deinen Mund an meinen Mund,
Der Menschen Odem ist göttlich!
Ich trinke deine Seele aus,
Die Toten sind unersättlich.
(Ein Tanzpoem v. H. Heine)
Daß die Philosphie sich nicht zum Brotgewerbe eigne, hat schon Platon in seinen
Schilderungen der Sophisten, die er dem dem Sokrates gegenüberstellt, dargetan,
am allerergötzlichsten aber im Eingang des Protagoras das Treiben und den Succeß
dieser Leute mit unübertrefflicher Komik geschildert. Das Geldverdienen mit der
Philosophie war und blieb, bei den Alten, das Merkmal, welches den Sophisten vom
Philosophen unterschied. Das Verhältnis der Sophisten zu den Philosophen war
demnach ganz analog dem zwischen den Mädchen, die sich aus Liebe hingegeben
haben und den bezahlten Freudenmädchen. So sagt z. B. Sokrates (Xenoph. Memorab.
L. I, c. 6, §. 13): ... . - Das aus diesem Grunde Sokrates den Aristipp unter
die Sophisten verwies und auch Aristoteles ihn dahin zählt, habe ich bereits in
meinem Hauptwerk Bd. 2 K. 17, S. 162 (3. Aufl. S. 179) nachgewiesen.
Daß auch die Stoiker es so ansahen berichtet Stobäus (Ecl. eth. L. II. c. 7) -
... . Auch der Jurist Ulpian zeigt eine hohe Meinung von den Philosophen; denn
er nimmt sie von Denen aus, die für liberale (d. h. für einen Freigeborenen
anstehende) Dienstleistungen eine Entschädigung beanspruchen dürfen. Er sagt
(Lex. I, §. 4, Dig. de extraord. cognit., L. 13); An et philosophi professorum
numero sint? Et non putem, non quia non religiosa res est, sed quia hoc primum
profiteri eos oportet, mercenariam operam spernere.
Die Meinung war in diesem Punkt so unerschütterlich, daß wir sie selbst noch
unter den späteren Kaisern in voller Geltung finden: indem sogar noch beim
Philostratus (Lib. I, c. 13) Apollonius v. Thana seinem Gegner Euphrates das ...
(sapientiam cauponari) zum Hauptvorwurf macht, auch in seiner 51sten Epistel
eben diesem schreibt: ... ( Reprehendunt te quidam, quod pecuniam ab imperatore
acceperis: quod absonum non esset, nisi vilereres philosophiae mercedem
accepisse, et toties, et tam magnam, et ab illo, qui te philosophum esse
putabat.) In Übereinstimmung hiermit sagt er, in der 42sten Epistel, von sich
selbst, daß er nötigenfalls ein Almosen, aber nie selbst nicht im Fall der
Bedürftigkeit, einen Lohn für seine Philosophie annehmen würde. ...
(Si quis Apollonio pecunias dederit et qui dat dignus judicatus fuerit ab eo; si
opus habuerit, accipiet. Philosophiae vero mercedem, ne si indigeat qiudem
accipiet.)
Diese uralte Ansicht hat ihren guten Grund und beruht darauf, daß die
Philosophie gar viele Berührungspunkte mit dem menschlichen Leben, dem
öffentlichen, wie dem der Einzelnen, hat; weshalb wenn Erwerb damit getrieben
wird, alsbald die Absicht das Übergewicht über die Einsicht erhält und aus
angeblichen Philosophen bloße Parasiten der Philosophie werden: solche aber
werden dem Wirken der echten Philosophen hemmend und feindlich entgegentreten,
ja, sich gegen sie verschwören, um nur was ihre Sache fördert zur Geltung zu
bringen. Denn sobald es Erwerb gilt, kann es leicht dahin kommen , daß´, wo der
Vorteil es heischt, allerlei niedrige Mittel, Einverständnisse, Koalitionen
u.s.w. angewandt werden, um, zu materiellen Zwecken, dem Falschen und Schlechten
Eingang und Geltung zu verschaffen; wobei es notwendig wird, das
entgegenstehende Wahre, Echte und Wertvolle, zu unterdrücken.
Solchen Künsten aber ist kein Mensch weniger gewachsen, als ein wirklicher
Philosoph, der etwan mit seiner Sache unter das Treiben dieser Gewerbsleute
geraten wäre. - Den schönen Künsten, selbst der Poesie, schadet es wenig, daß
sie auch zum Erwerbe dienen; denn jedes ihrer Werke hat eine gesonderte Existenz
für sich und das Schlechte kann das Gute so wenig verdrängen, wie verdunkeln.
Aber die Philosophie ist ein Ganzes, also eine Einheit, und ist auf Wahrheit,
nicht auf Schönheit gerichtet: es gibt vielerlei Schönheit, aber nur eine
Wahrheit; wie viele Musen, aber nur eine Minerva (oder nur eine Xanthippe*).
Eben deshalb darf der Dichter getrost verschmähen, das Schlechte zu geißeln:
aber der Philosoph kann in den Fall kommen, dies tun zu müssen.
Denn das zur Geltung gelangte Schlechte stellt sich hier dem Guten geradezu
feindlich entgegen und das wuchernde Unkraut verdrängt die brauchbare Pflanze.
Die Philosophie ist, ihrer Natur nach, exklusiv: sie begründet ja die
Denkungsart des Zeitalters: daher duldet das herrschende System, wie die Söhne
der Sultane, kein anderes neben sich.
Dazu kommt, daß hier das Urteil höchst schwierig, ja, schon die Erlangung der
Data zu demselben mühevoll ist. Wird hier, durch Kunstgriffe, das Falsche in
?ours gebracht und überall, als das Wahre und Echte, von belohnten
Stentorstimmen ausgeschrien; so wird der Geist der Zeit vergiftet, das Verderben
ergreift alle Zweige der Literatur, aller höhere Geistesaufschwung stockt, und
dem wirklich Guten und Echten in jeder Art ist ein Bollwerk entgegengesetzt, das
lange vorhält. ...
...Man sehe, zur Erläuterung den Unfug, der seit Kant mit der Philosophie
getrieben und was dabei aus ihr geworden ist. Aber erst die wahre Geschichte der
Hegelschen Scharlatanerie und der Wege ihrer Verbreitung wird einst die rechte
Illustration zu dem Gesagtem liefern.
Diesem Allen zufolge wird Der, dem es nicht um Staatsphilosophie und
Spaßphilosophie, sondern um Erkenntnis und daher um ernstlich gemeinte, folglich
rücksichtslose Wahrheitsforschung zu tun ist, sie überall eher zu suchen haben,
als auf den Universitäten, als wo ihre Schwester, die Philosophie ad normam
conventionis, das Regiment führt und den Küchenzettel schreibt. Ja, ich neige
mich mehr und mehr zu der Meinung, daß es für die Philosophie heilsamer wäre,
wenn sie aufhörte, ein Gewerbe zu sein, und nicht mehr im bürgerlichen Leben,
durch Professoren repräsentiert, aufträte.
Sie ist eine Pflanze, die wie die Alpenrose und die Fluenblume, nur in freier
Bergluft gedeiht, hingegen bei künstlicher ausartet. Jene Repräsentanten der
Philosophie im bürgerlichen Leben repräsentieren sie meistens doch nur so, wie
der Schauspieler den König.
Waren etwan die Sophisten, welche Sokratis so unermüdlich befehdete und die
Platon zum Thema seines Spottes macht, etwas Anderes als Professoren der
Philosophie und Rhetorik?
Ja, ist es nicht eigentlich eine uralte Fehde, welche, seitdem nie ganz
erloschen, noch heute von mir fortgeführt wird? Die höchsten Bestrebungen des
menschlichen Geistes vertragen sich nun ein Mal nicht mit dem Erwerb: ihre edle
Natur kann sich damit nicht amalgamiren. - Allenfalls möchte es mit der
Universitätsphilosophie noch hingehn, wenn die angestellten Lehrer derselben
ihrem Beruf dadurch zu genügen dächten, daß sie, nach Weise der andern
Professoren, das vorhandene, einstweilen als wahr geltende Wissen ihres Faches
an die heranwachsende Generation weiter gäben, also das System des zuletzt
dagewesenen wirklichen Philosophen ihren Zuhören treu und genau
auseinandersetzen und ihnen die Sachen kleinkauten: - Das ginge, sage ich,
allenfalls, wenn sie dazu nur soviel Urteil, oder wenigstens Takt, mitbrächten,
nicht bloße Sophisten, wie z. B. ein Fichte, einen Schelling, geschweige einen
Hegel, auch für Philosophen zu halten. Allein nicht nur fehlt es in der Regel
ihnen an besagten Eigenschaften, sondern sie sind in dem unglücklichen Wahne
befangen, es gehöre zu ihrem Amte, daß auch sie selbst die Philosophen spielten
und die Welt mit den Früchten ihres Tiefsinns beschenkten. Aus diesem Wahne
gehen nun jene kläglichen, wie zahlreichen Produktionen hervor, in welchen
Alltagsköpfe, ja mitunter solche, die nicht ein Mal Alltagsköpfe sind, die
Probleme behandeln, auf deren Lösung seit Jahrtausenden die äußersten
Anstrengungen der seltensten, mit den außerordentlichsten Fähigkeiten
ausgerüsteten, ihre eigene Person über die Liebe zur Wahrheit vergessenden und
von der Leidenschaft des Strebens nach Licht mitunter bis in den Kerker, ja,
auf´s Schaffot getriebenen Köpfe gerichtet gewesen sind; Köpfe, deren Seltenheit
so groß ist, daß die Geschichte der Philosophie, welche, seit dritthalbtausend
Jahren neben der Geschichte der Staaten, als ihr Grundsatz, hergeht, kaum 1/100
so viele namhafte Philosophen aufzuweisen hat, als die Staatengeschichte
namhafte Monarchen: denn es sind keine andern, als die ganz vereinzelten Köpfe,
in welchen die Natur zu einem deutlicheren Bewußtsein ihrer selbst gekommen war,
als in andern. Eben diese aber stehn der Gewöhnlichkeit und der Menge so fern,
daß den meisten erst nach ihrem Tode, oder höchstens im späten Alter, eine
gerechte Anerkennung geworden ist. Hat doch z. B. sogar der eigentliche, hohe
Ruhm des Aristoteles, der später sich weiter, als irgend einer, verbreitete,
allem Anschein nach, erst 200 Jahre nach seinem Tode begonnen. Epikuros, dessen
Name, noch heut zu Tage, sogar dem großen Haufen bekannt ist, hat in Athen bis
zu seinem Tode, völlig unbekannt gelebt. (Sen. ep.79.)
Bruno und Spinoza kamen erst im zweiten Jahrhundert nach ihrem Tode zur Geltung
und Ehre.
Selbst der so klar und populär schreibende David Hume war, obwohl er seine Werke
längst geliefert hatte, 50 Jahre alt, als man anfing ihn zu beachten. Kant wurde
erst nach seinem 60. Jahre berühmt. Mit den Kathederphilosophen unserer Tage
freilich gehen die Sachen schneller; da sie keine Zeit zu verlieren haben:
nämlich der eine Professor verkündet die Lehre seines auf der benachbarten
Universität florirenden Kollegen, als den endlich erreichten Gipfel menschlicher
Weisheit; und sofort ist dieser ein großer Philosoph, der unverzüglich seinen
Platz in der Geschichte der Philosophie einnimmt, nämlich in derjenigen, welche
ein dritter Kollege zur nächsten Messe in Arbeit hat, der nun ganz unbefangen
den unsterblichen Namen der Märtyrer der Wahrheit, aus allen jahrhunderten, die
werten Namen seiner eben jetzt florirenden wohlbestallten Kollegen anreiht, als
eben so viele Philosophen, die auch in Reihe und Glied treten können, da sie
sehr viel Papier gefüllt und allgemeine kollegiale Beachtung gefunden haben. Da
heißt es denn z. B. "Aristoteles und Herbart", oder "Spinoza und
Hegel", "Platon und Schleiermacher", und die erstaunte Welt muß
sehn, daß die Philosophen, welche die karge Natur ehemals im Lauf der
Jahrhunderte nur vereinzelt hervorbringen vermochte, während dieser letzten
Decennien, unter den bekanntlich so hoch begabten Deutschen, überall wie die
Pilze aufgeschossen sind. Natürlich wird dieser Glorie des Zeitalters auf alle
Weise nachgeholfen; daher, sei es in gelehrten Zeitschriften, oder auch in
seinen eigenen Werken, der eine Philosophieprofessor nicht ermangeln wird, die
verkehrten Einfälle des andern mit wichtiger Miene und amtlichen Ernst in genaue
Erwägung zu ziehn; so das es ganz aussieht, als handelte es sich hier um
wirkliche Fortschritte der menschlichen Erkenntnis. Dafür widerfährt seinem
Abortus nächstens dieselbe Ehre, und wir wissen ja, daß nihil officiosius, quam
cum mutuum muli scabunt.
So viele gewöhnliche Köpfe, die sich von Amts und Berufs wegen verpflichtet
glauben, Das vorzustellen, was die Natur mit ihnen am allerwenigsten
beabsichtigt hatte, und die Lasten zu wälzen, welche die Schultern geistiger
Riesen erfordern, bieten aber im Ernst ein gar klägliches Schauspiel dar. Denn
den Heisern singen zu hören, den Lahmen tanzen zu sehn, ist peinlich; aber den
beschränkten Kopf philosophierend zu vernehmen ist unerträglich. Um den Mangel
an wirklichen Gedanken zu verbergen, machen Manche sich einen imponierenden
Apparat von langen, zusammengesetzten Worten, intrikaten Floskeln, unabsehbaren
Perioden, neuen und unerhörten Ausdrücken, welches Alles zusammen dann einen
möglichst schwierigen und gelehrt klingenden Jargon abgibt.
Jedoch sagen sie, mit dem Allen, - nichts: man empfängt keine Gedanken, fühlt
seine Einsicht nicht vermehrt, sondern muß aufseufzen: " das Klappern der
Mühle höre ich wohl, aber das Mehl sehe ich nicht;" oder auch, man sieht
nur zu deutlich, welche dürftige, gemeine, platte und rohe Ansichten, hinter dem
hochtrabenden Bombast stecken.
O! daß man solchen Spaßphilosophen einen Begriff beibringen könnte von dem
wahren und furchtbaren Ernst, mit welchem das Problem des Daseins den Denker
ergreift und sein Innerstes erschüttert! Da würden sie keine Spaßphilosophen
mehr sein können, nicht mehr, mit Gelassenheit, müßige Flausen aushecken, vom
absoluten Gedanken oder vom Widerspruch, der in allen Grundbegriffen stecken
soll, noch mit beneidenswerten Genügen sich an hohlen Nüssen letzen, wie die
Welt ist das Dasein des Unendlichen im Endlichen," und "der Geist ist
der Reflex des Unendlichen im Endlichen," u.s.w.
Es wäre schlimm für sie, denn sie wollen nun ein Mal Philosophen sein und ganz
originelle Denker. Nun aber ist, daß ein gewöhnlicher Kopf ungewöhnliche
Gedanken haben sollte, gerade so wahrscheinlich wie daß eine Eiche Aprikosen
trüge. Die gewöhnlichen Gedanken hingegen hat jeder schon selbst und braucht sie
nicht zu lesen: folglich kann, da es in der Philosophie bloß auf Gedanken, nicht
auf Erfahrung und Tatsachen ankommt, durch gewöhnliche Köpfe hier nie etwas
geleistet werden.
Einige, des Übelstandes sich bewußt, haben sich einen Vorrat fremder, meist
unvollkommen, stets flach aufgefaßter Gedanken aufgespeichert, die freilich
immer noch in Gefahr sind, sich in bloße Phrasen und Worte zu verflüchtigen. Mit
diesen schieben sie dann hin und her, und suchen allenfalls, sie, wie
Dominosteine, an einander zu passen: sie vergleichen nämlich was Dieser gesagt
hat, und was Jener, und was wieder ein Anderer, und noch Einer, und suchen
daraus klug zu werden. Vergeblich würde man bei solchen Leuten irgendeine feste,
auf anschaulicher Basis ruhende und daher durchweg zusammenhängende Grundansicht
von den Dingen und der Welt suchen: eben deshalb haben sie über nichts eine ganz
entschiedene Meinung, oder bestimmtes, festes Urteil; sondern sie tappen mit
ihren erlernten Gedanken, Ansichten und Exceptionen wie im Nebel umher. Sie
haben eigentlich nur auf Wissen und Gelehrsamkeit zum Weiterlehren
hingearbeitet. Das möchte sein: aber dann sollen sie nicht die Philosophen
spielen, hingegen den Hafer von der Spreu zu unterscheiden verstehn.
Die wirklichen Denker haben auf Einsicht, und zwar ihrer selbst wegen,
hingearbeitet, weil sie die Welt, in der sie sich befanden, doch irgend wie sich
verständlich zu machen, inbrünstig begehrten; nicht aber um zu lehren und zu
schwätzen. Daher erwächst in ihnen langsam und allmälig, in Folge anhaltender
Meditation, eine feste, zusammenhängende Grundansicht, die zu ihrer Basis
allemal die anschauliche Auffassung der Welt hat, und von der Wege ausgehn zu
allen speziellen Wahrheiten, welche selbst wieder Licht zurückwerfen auf jene
Grundansicht.
Daraus folgt denn auch, daß sie über jedes Problem des Lebens und der Welt
wenigstens eine entschiedene, wohl verstandene und mit dem Ganzen
zusammenhängende Meinung haben, und daher niemanden mit leeren Phrasen
abzufinden brauchen, wie hingegen jene Ersteren tun, die man stets mit dem
Vergleichen und Abwägen fremder Meinungen, statt mit den Dingen selbst,
beschäftigt findet, wonach man glauben könnte, es sei die Rede von entfernten
Ländern, über welche man die Berichte der wenigen, dort hingelangten Reisenden
kritisch zu vergleichen hätte, nicht aber von der, auch vor ihnen ausgebreitet,
und klar daliegenden, wirklichen Welt. ...
...Das Schlimmste bei dem ganzen Treiben, das sonst immerhin, für den kuriosen
Liebhaber, seinen Fortgang haben möchte, ist jedoch Dieses: es liegt in ihrem
Interesse, daß das Flache und Geistlose für etwas gelte. Das kann es aber nicht,
wenn dem etwan auftretenden Echten, Großen, Tiefgedachten sofort sein Recht
widerfährt. Um daher diese zu ersticken und das Schlechte ungehindert in ?ours
zu bringen, ballen sie, nach Art aller Schwachen, sich zusammen, bilden Cliquen
und Parteien, bemächtigen sich der Literaturzeitungen, in welcher sie, wie auch
in einigen Büchern, mit tiefer Ehrfurcht und wichtiger Miene von ihren
respektiven Meisterwerken reden und auf solcher Art das kurzsichtige Publikum
bei der Nase herumführen. Ihr Verhältnis zu den wirklichen Philosophen ist
ungefähr das der ehemaligen Meistersänger zu den Dichtern. Zur Erläuterung des
Gesagten sehe man die messentlich erscheinenden Schreibereien der
Kathederphilosophen, nebst den dazu aufspielenden Literaturzeitungen: wer sich
darauf versteht betrachte die Verschmitztheit, mit der diese letzteren
vorkommenden Falls, bemüht sind, das Bedeutende als unbedeutend zu vertuschen
und die Kniffe, die sie gebrauchen, es der Aufmerksamkeit des Publikums zu
entziehn eingedenk des Spruches des Publius Syrus: Jacet omnis virtus. fama nisi
late patet.
Nun aber gehe man auf diesem Wege und mit diesen Betrachtungen immer weiter
zurück, bis zum Anfange dieses Jahrhunderts, sehe, was früher die Schellingianer
(bzw. analog dazu das heutige 21. Jahrhundert, also in Deutschland die
Merkelianer oder Merkelisten, quasi die ewigen Faschisten anrichten*), dann aber
noch viel ärger die Hegelianer in den Tag hinein gesündigt haben: man überwinde
sich, man durchblättere den ekelhaften Wust! denn ihn zu lesen ist keinem
Menschen zuzumuten. Dann überlege und berechne man die unschätzbare Zeit, nebst
dem Papier und Gelde, welches das Publikum, ein halbes Jahrhundert hindurch, an
diesen Pfuschereien hat verlieren müssen. Freilich ist auch die Geduld des
Publikums unbeschreiblich, welches das, Jahr aus, Jahr ein, fortgesetzte
Geträtsche geistloser Philosophaster liest, ungeachtet der marternden
Langweiligkeit, die wie ein dicker Nebel darauf brütet, eben weil man liest und
liest, ohne je eines Gedankens habhaft zu werden, indem der Schreiber, dem sonst
nichts Deutliches und Bestimmtes vorschwebte, Worte auf Worte, Phrasen auf
Phrasen häuft und doch nichts sagt, weil er nichts zu sagen hat, nichts weiß,
nichts denkt, dennoch reden will und daher seine Worte wählt, nicht je nachdem
sie seine Gedanken und Einsichten treffender ausdrücken, sondern je nachdem sie
seinen Mangel daran geschickter verbergen. Dergleichen jedoch wird gedruckt,
gekauft und gelesen: und so geht es nun schon ein halbes Jahrhundert hindurch,
ohne daß die Leser dabei inne würden, daß sie, wie man im Spanischen sagt, papan
viento, d. h. bloße Luft schlucken. Inzwischen muß ich, um gerecht zu sein,
erwähnen, daß um diese Klappermühle im Gange zu erhalten, oft noch ein ganz
eigener Kunstgriff angewandt wird, dessen Erfindung auf die Herren Fichte und
Schelling zurückzuführen ist. Ich meine den verschmitzten Kniff, dunkel, d. h.
unverständlich, zu schreiben; wobei die eigentliche Finesse ist, seinen
Gallimathias so einzurichten, daß der Leser glauben muß, es liege an ihm, wenn
er denselben nicht versteht; während der Schreiber sehr wohl weiß, daß es an ihm
selbst liegt, indem er eben nichts eigentlich Verstehbares, d. h. klar Gedachtes
mitzuteilen hat. Ohne diesen Kunstgriff hätten die Herren ihren Pseudo-Ruhm
nicht auf die Beine bringen können. Aber bekanntlich hat denselben Kunstgriff
keiner so dreist und in so hohem Grade ausgeübt, wie Hegel. Hätte dieser gleich
Anfangs den absurden Grundgedanken seiner Afterphilosophie, - nämlich diesen,
den wahren und natürlichen Hergang der Sache gerade auf den Kopf zu stellen und
demnach die Allgemein-Begriffe, welche wir aus der emperischen Anschauung
abstrahiren, die mithin durch Wegdenken von Bestimmungen entstehn, folglich je
allgemeiner desto leerer sind, zum Ersten, zum Ursprünglichen, zum wahrhaft
Realen (zum Ding an sich, in Kantischer Sprache) zu machen, in Folge Dessen die
emperisch-reale Welt allererst ihr Dasein habe, - hätte er, sage ich, dieses
monströse .... ..., ja diesen ganz eigentlich aberwitzigen Einfall, nebst dem
Beisatz, daß solche Begriffe, ohne unser Zutun, sich selber dächten und
bewegten, gleich Anfangs in klaren, verständlichen Worten deutlich dargelegt; so
würde Jeder ihm ins Gesicht gelacht, oder die Achseln gezuckt und die Posse
seiner Beachtung wert gehalten haben. Dann aber hätte selbst Feilheit und
Niederträchtigkeit vergebens in die Posaune stoßen können, um der Welt das
Absurdeste, welches sie gesehn, als die höchste Weisheit aufzulügen und die
deutsche Gelehrtenwelt, mit ihrer Urteilskraft, auf immer zu kompromittiren.
Hingegen unter der Hülle des unverständlichen Gallimathias, da ging es, da
machte der Aberwitz Glück: Omnia enim stolidi magis admirantur amantque,
Inversis quae verbis latitantia cernunt.
Durch solche Beispiele ermutigt suchte seitdem fast jeder armseligste Skribler
etwas darin, mit pretiöser Dunkelheit zu schreiben, damit es aussähe, als
vermöchten Worte seine hohen, oder tiefen Gedanken auszudrücken. Statt auf jede
Weise bemüht zu sein, seinem Leser deutlich zu werden, scheint er ihm oft
neckend zuzurufen: "Welt, du kannst nicht raten was ich mir dabei
denke!" Wenn nun Jener, statt zu antworten, "darum werd´ ich mich den
Teufel scheeren," und das Buch wegzuwerfen, sich vergeblich daran abmüht;
so denkt er am Ende, es müsse doch etwas höchst Gescheites, nämlich sogar seine
Fassungskraft Übersteigendes sein und nennt nun, mit hohen Augenbrauen, seinen
Autor einen tiefsinnigen Denker. Eine Folge dieser ganzen saubern Methode ist,
unter andern, daß, wenn man in England etwas als sehr dunkel, ja, ganz
unverständlich bezeichnen will, man sagt it is like German metaphysics; ungefähr
wie man in Frankreich sagt c´est clair comme la boutelle a l` encre.
Es ist wohl überflüssig, hier zu erwähnen, doch kann es nicht oft genug gesagt
werden, daß im Gegenteil, gute Schriftsteller stets eifrig bemüht sind, ihren
Leser zu nötigen, genau eben das zu denken, was sie selbst gedacht haben: denn
wer etwas Rechtes mitzuteilen hat, wird sehr darauf bedacht sein, daß es nicht
verloren geht. Deshalb beruht der gute Stil hauptsächlich darauf, daß man
wirklich etwas zu sagen habe; bloß diese Kleinigkeit ist es, die den meisten
Schriftstellern unsrer Tage abgeht...und dadurch Schuld ist an ihrem so
schlechten Vortrage. Besonders aber ist der generische Charakter der
philosophischen Schriften dieses Jahrhunderts das Schreiben, ohne eigentlich
etwas zu sagen zu haben: er ist ihnen allen gemeinsam und kann daher auf gleiche
Weise am Salat, wie am Hegel, am Herbart, wie am Schleiermacher studiert werden.
Da wird, nach homoiopathischer Methode, das schwache Minimum eines Gedankens mit
50 Seiten Wortschwall diluirt und nun, mit grenzenlosem Zutrauen zur wahrhaft
deutschen Geduld des Lesers, ganz gelassen, Seite nach Seite, so geträtscht.
Vergebens hofft der zu dieser Lektüre verurteilte Kopf auf eigentliche, solide
und substantielle Gedanken: er schmachtet nach irgend einem Gedanken, wie der
Reisende in der arabischen Wüste nach Wasser, - und muß verschmachten. Nun nehme
man dagegen irgend einen wirklichen Philosophen zur Hand, gleichviel aus welcher
Zeit, aus welchem Lande, sei es Platon oder Aristoteles, Kartesius, oder Hume,
Malebranche, oder Locke, Spinoza, oder Kant: immer begegnet man einem schönen
und gedankenreichen Geiste, der Erkenntnis hat und Erkenntnis wirkt, besonders
aber stets redlich bemüht ist, sich mitzuteilen; daher er dem empfänglichen
Leser, bei jeder Zeile, die Mühe des Lesens unmittelbar vergilt. Was nun die
Schreiberei unserer Philosophaster so überaus gedankenarm und dadurch marternd
langweilig macht ist zwar, im letzten Grunde, die Armut ihres Geistes, zunächst
aber Dieses, daß ihr Vortrag sich durchgängig in höchst abstrakten, allgemeinen
und überaus weiten Begriffen bewegt, daher auch meistens nur in unbestimmten,
schwankenden, verblasenen Ausdrücken einherschreitet. Zu diesem aerobatischen
Gange sind sie aber genötigt; weil sie sich hüten müssen, die Erde zu berühren,
als wo sie, auf das Reale, Bestimmte Einzelne und Klare stoßend, lauter
gefährliche Klippen antreffen würden, an denen ihre Wort-Dreimaster scheitern
könnten. Denn statt Sinne und Verstand fest und unverwandt zu richten auf die
anschaulich vorliegende Welt, als auf das eigentlich und wahrhaft Gegebene, das
Unverfälschte und an sich selbst dem Irrtum nicht Ausgesetzte, durch welches
hindurch wir daher in das Wesen der Dinge einzudringen haben, - kennen sie
nichts, als nur die höchsten Abstraktionen, wie Sein, Wesen, Werden, Absolutes
(Relative*), Unendliches, u.s.f., gehen schon von diesen aus und bauen daraus
Systeme, deren Gehalt zuletzt auf bloße Worte hinausläuft, die also eigentlich
nur Seifenblasen sind, eine Weile damit zu spielen, jedoch den Boden der
Realität nicht berühren können, ohne zu platzen.
Wenn bei allen Dem, der Nachteil, welchen die Unberufenen und Unbefähigten den
Wissenschaften bringen, bloß dieser wäre, daß sie darin nichts leisten; wie es
in den schönen Künsten hierbei sein Bewenden hat; so könnte man sich darüber
trösten und hinwegsetzen. Allein hier bringen sie positiven Schaden, zunächst
dadurch, daß sie, um das Schlechte in Ansehn zu erhalten Alle im natürlichen
Bunde gegen das Gute stehn und aus allen Kräften bemüht sind, es nicht aufkommen
zu lassen. Denn darüber täusche man sich nicht, daß, zu allen Zeiten, auf ganzen
Erdenrunde und in allen Verhältnissen, eine von der Natur selbst angezettelte
Verschwörung aller mittelmäßigen, schlechten und dummen Köpfe gegen Geist und
Verstand existiert. Gegen diese sind sie sämmtlich getreue und zahlreiche
Bundesgenossen. Oder ist man etwan so treuherzig, zu glauben, daß sie vielmehr
nur auf die Überlegenheit warten, um solche anzuerkennen, zu verehren und zu
verkündigen, um danach sich selbst so recht zu nichts herabgesetzt zu sehn? -
gehorsamer Diener! Sondern: tantum quisque laudat, quantum se posse sperat
imitari.
"Stümper, und nichts als Stümper, soll es geben auf der Welt; damit wir
auch etwas seien!" Dies ist ihre eigentliche Losung, und die Befähigten
nicht aufkommen zu lassen ein ihnen so natürlicher Instinkt, wie der der Katze
ist, Mäuse zu fangen. Man erinnere sich hier der am Schlusse der
vorhergegangenen Abhandlung beigebrachten schönen Stelle Chamfort´s. Sei doch
ein Mal das öffentliche Geheimnis ausgesprochen; sei das Mondkalb ans Tageslicht
gezogen; so seltsam auch es sich in demselben ausnimmt: allezeit und überall, in
allen Lagen, und Verhältnissen, haßt Beschränktheit und Dummheit nichts auf der
Welt so inniglich und ingrimmiglich, wie den Verstand, den Geist, das Talent.
Das sie sich hierin stets treu bleibt, zeigt sie in allen Sphären,
Angelegenheiten und Beziehungen des Lebens, indem sie überall jene zu
unterdrücken, ja, auszurotten und zu vertilgen bemüht ist, um nur allein
dazusein. Keine Güte, keine Milde kann sie mit der Überlegenheit der
Geisteskraft aussöhnen. So ist es, steht nicht zu ändern, wird auch immer so
bleiben. Und welche furchtbare Majorität hat sie dabei auf ihrer Seite!
Dies ist ein Haupthindernis der Fortschritte der Menschheit in jeder Art. Wie
nun aber kann es, unter solchen Umständen, hergehn auf dem Gebiete, wo nicht ein
Mal, wie in andern Wissenschaften, der gute Kopf, nebst Fleiß und Ausdauer,
ausreicht, sondern ganz eigentümliche, sogar nur auf Kosten des persönlichen
Glückes vorhandene Anlagen erfordert werden? Denn wahrlich, die uneigennützigste
Aufrichtigkeit des Strebens, der unwiderstehliche Drang nach Enträtselung des
Daseins, der Ernst des Tiefsinns, der in das Innerste der Wesen einzudringen
sich anstrengt, und die echte Begeisterung für die Wahrheit, - dies sind die
ersten und unerläßlichen Bedingungen zu dem Wagestücke, von Neuem hinzutreten
vor die uralte Sphinx, mit einem abermaligen Versuch, ihr ewiges Rätsel zu
lösen, auf die Gefahr, hinabzustürzen, zu so vielen Vorangegangenen, in den
finstern Abgrund der Vergessenheit.
*eigene Zusätze
...ff., in weiterer Bearbeitung.
(aus: Die Welt als Wille und Vorstellung - Über die Universitäts-Philosophie von
A. Schopenhauer)