Klawitters letzter Tag 1
Verfasst am : 21.04.2023 21:41
Regen klopfte gegen die Scheibe des Fensters als sich Kriminalhauptkommissar Jürgen Klawitter in dem alten behaglichen Federbett verschlafen die Augen rieb. Wie üblich erwachte er pünktlich, wie seit vierzig Jahren, exakt zehn Minuten vor dem Alarm seines Weckers. Dabei spielte es auch keine Rolle welche Zeit er am Abend zuvor eingestellt hatte. Für ihn selbst stellte das kein Problem dar. Für seine Mitarbeiter, oder besser Untergebenen, besonders in früheren Zeiten manchmal schon.
„Sie sind fünf Minuten zu spät!“
„Ich bin fünf Minuten zu früh!“
„Ich lege Wert auf Pünktlichkeit!“
„Ich werde mich über Sie beschweren!“
„Nur Idioten beschweren sich über Dinge die sie selbst ändern könnten.“
Gespräche dieser Art wurden ihm fast zum Verhängnis. Aber eben nur fast.
„Jürgen, du bist einer unserer Besten...“
„Ich bin der Beste!“
„Also gut. Du bist der Beste, und das sollst du auch bleiben. Du könntest aber besser sein, wenn du deine Mitarbeiter nicht ständig in demotivierende Gespräche verwickeln würdest.“
„Pünktlichkeit ist eine Frage des Respekts. Wer keinen Respekt hat ist auch nicht motiviert. Wer nicht motiviert ist muss mit der rudimentären Form von Respekt in unserer Zivilisation konfrontiert werden. Und das ist Pünktlichkeit.“
„Himmelherrgottnochmal, Jürgen! Muss denn jede dieser Unterhaltungen dazu führen, dass ich mich anschließend mit einem Berg von Beschwerden befassen muss? Musst du die Leute immer als Idioten bezeichnen?“
„Aber es sind Idioten.“
„Und was ist mit Frau Ulus?“
„Das ist kein Argument, Rainier. Frau Ulus ist nach wie vor unpünktlich.“
„Na gut, Jürgen, aber der Wind dreht sich. Irgendwann kommt ein wichtigtuerischer Frischling auf die Idee dich wegen Beleidigung mit einer Zivilklage auf Trab zu halten, und ich weiß wie du es hasst deine Zeit zu verschwenden. Und nur damit du es weißt. Im Gegenzug nennen sie dich einen Freak.“
„Dann könnte ich sie auch verklagen?“
„Jürgen, nimm die Sache bitte ernst! Ich bin nicht ewig hier...“
„Ja ja, ich weiß, dich zieht es in die Politik, du elender Feigling...“
„Es reicht, Jürgen, und ich sage es vermutlich nicht zum letzten Mal, Gott bewahre: Nenn die Leute nicht Idioten! Und um das mal inhaltlich zu vertiefen. Was wärst du denn ohne all die fleißigen Hände um dich herum?“
„Wäre nützliche Idioten eine diplomatische Bezeichnung?“
„Jürgen, verpiss dich aus meinem Büro und sorg dafür, dass ich solche Ansprachen nie wieder halten muss, denn irgendwann hole ich mir Hilfe.“
„Wie meinst du das?“
„Darüber kannst du nach der nächsten Beschwerde nachdenken und dem anschließenden Diensttauglichkeitstest der ganz sicher nicht von mir durchgeführt wird.“
„Verstehe! Guten Tag, Herr Wackelpudding!“
Natürlich kam es wie es kommen musste. Ein besonders ambitionierter Psychologe hatte es sogar gewagt zu postulieren, dass das mit einem Trauma in seiner Kindheit zu tun haben könnte. Das Gespräch war elf Jahre her, und zu dieser Zeit war er schon Kriminalhauptkommissar, aber dank seiner Mutter blieb ihm eine Anzeige wegen Körperverletzung und eine Degradierung erspart.
Natürlich gab es genug nützliche Idioten in der Dienststelle die Klawitter für einen Freak hielten.
Besonders dank Fräulein Felicitas, der eifrigen Schreibkraft aus dem Vorzimmer des Chefs, die die Belegschaft seit zwanzig Jahren über die neuesten Gerüchte auf dem Laufenden hielt.
„Habt ihr schon das Neueste von unserem Freak gehört?“
„Nein, erzähl!“
„Aaaber pssscht!“
„Jahaaaaa!“
„Der wohnt bei seiner Mutter im Wald!“
„Haahaaahahaaaaa!“
„Scheiße, er kommt!...“
Irgendwann hatte Klawitter gelernt mit all den kleinen Demütigungen hinter seinem Rücken umzugehen. Als besonders umgänglich galt er nie, weshalb er das meiste über Telefax und später übers Internet erledigte. Hauptsache wenig Kontakt zu anderen Menschen, während er an Tatorten förmlich aufblühte und wie ein verbaler Wasserfall seine Genialität feierte.
Er erinnerte auch kaum noch jemanden an Pünktlichkeit, weil ihm das wie fischen in einer geistigen Wüste vorkam. Außerdem machte es nur zusätzlich auf ihn aufmerksam und wenn er eines nicht gebrauchen konnte, dann war es die Aufmerksamkeit von Idioten, wie nützlich sie auch waren, denen er manchmal Handgranatengürtel um den Hals wünschte die er nach Gutdünken explodieren lassen konnte. Hach, was für ein geistiges Gemetzel, und nur die Erleuchteten würden wie durch Wunderhand überleben...
„Wenn du nicht bald aufstehst, verpasst du noch den Tag deiner Erhebung zum Rentner und das schöne Abschiedsfest das sie dir bereiten!“, polterte Mutter Klawitter in Jürgens Halbschlaf.
„Kaffee?“, stöhnte Klawitter Junior.
„Ist in der Küche, so wie ich auch gleich. Guten Morgen, Sohn!“, seufzte ihm Mutter erbarmungslos entgegen und ließ Sekunden später die Dielen unter den Stufen der Treppen knarren.
Klawitter erhob sich langsam und sah aus dem Fenster in den dichten verregneten Kiefernwald. Es war fast als tanzten die Bäume und schwitzen dabei. Klawitter lächelte. Ein wenig erinnerte ihn das an seine ab morgen alte Dienststelle. Er war zwar immer ein Freak geblieben, aber irgendwann hatte er seine nützlichen Idioten um sich herum auch liebgewonnen, und die ihn irgendwie auch. Selbst Fräulein Felicitas. Und ausgerechnet die störte jetzt seine harmonischen Gedanken an einem ruhigen letzten Tag im Büro des Dienststellenleiters.
„Was ist denn, Feli?“, sprach er sanft ins Telefon.
„Ich würde es nicht sagen wenn es nicht ernst ist, aber du musst sofort her kommen. Nurcan Ulus ist verschwunden, und wir haben einen Verdächtigen der behauptet er wüsste wo sie ist. Er will nur mit dir sprechen.“
„Hör zu, wenn das nur so ein alberner Scherz ist um mich zu verarschen, mich aufzuheitern weil ich in Rente gehe...“
„Verdammt, Jürgen, ich meine es ernst! Nurcan ist seit gestern Abend nicht mehr gesehen worden und heute taucht ein alter Zottelkopf hier auf und sagt er würde nur mit dir über ihren Aufenthaltsort und das wie und wo reden. Sie ist auch meine Freundin, Jürgen, und das ist verdammt ernst!“
„Ist ja gut, beruhige dich, ich bin unterwegs! Was ist das für ein Typ der nur mit mir reden will?“
„Wie ich schon sagte, ein Zottelkopf. Graues, langes, ungepflegtes Haar, Scheiße, der Typ sieht aus wie Gandalf nur in Pennerversion, und jetzt komm endlich her!“
Klawitter hatte genug gehört. Er sollte auf brillante Weise verarscht werden. Beinahe empfand er die unpünktliche Bemühung von Fräulein Felicitas als rührend ihn in diese Falle zu locken, und ganz sicher stand Frau Ulus am Ende der geistigen Nahrungskette. Also warum das Spiel nicht mitspielen. Es war mehr als ein Orden.
Siegessicher tänzelte Klawitter die Treppe in Richtung Küche hinunter. Was er doch für Schelme großgezogen hatte, die ihn heute zu einer letzten kriminalistischen Meisterleistung herausforderten. Aus der Küche hörte er das Festnetztelefon klingeln. Normalerweise duldete Mutter niemand um sich herum der ungefragt ans Telefon ging, aber es klingelte weiter. Vielleicht war Mutter ja im Keller. Ohne sich weiter Sorgen zu machen betrat Jürgen die vorletzte Stufe. Das erste was er sah waren die Schuhe seiner Mutter, gut gefüllt mit ihren Füßen, deren Zehen senkrecht nach oben ragten. Sofort war Klawitter klar, dass seine Mutter sanft zu Boden gelassen wurde, denn andernfalls hätte er den Aufprall gehört. Seine Dienstwaffe war wie üblich im Tresor seines Büros unter Verschluss, und alles was zu seiner Verteidigung taugte war in den Schubladen der Küche verstaut. Ausgerechnet jetzt fiel ihm die Binsenweisheit seiner Mutter ein.
Wenn du nicht weißt, was dein Gegner will
sei lauter als er, sonst wird er nicht still
„Ich komme jetzt unbewaffnet runter um zu sehen wie es meiner Mutter geht!“
Keine Antwort.
Mit einem Satz sprang Klawitter in die Küche und landete auf allen Vieren neben seiner röchelnden Mutter. Wer auch immer ihr das angetan hatte war verschwunden.
„Mutter!“, schrie Klawitter und nahm sie fest in seine Arme.
„Hör auf mich so zu drücken und hör mir zu du Idiot!“ Sofort lockerte Klawitter seine Arme und legte ihren Kopf sanft auf seine knienden Oberschenkel.
„Ja, Mutter.“
„Ein maskierter Mann war hier. Er hat mich überrumpelt und mir aufgetragen dir folgendes zu sagen. Wenn du das heute nicht ernst nimmst, ist dir nicht mehr zu helfen. Er hat mir um dich zu motivieren das Toxin des grünen Knollenblätterpilzes injiziert, das ich mit meinen Mitteln zwar mindern aber nicht bekämpfen kann. Am Hals findest du die Einstichstelle. Aber mach dir um mich keine Sorgen, ich habe schon einen Krankenwagen bestellt. Kaffee steht auf dem Tisch, und jetzt hilf mir auf.“
Ungläubig half er seiner Mutter auf den Stuhl. Ein Teil von ihm dachte daran, dass seine Mutter eine perfide Rolle im eigens für ihn inszenierten Bürotheaterstück spielte. Die Einstichstelle am Hals konnte sie sich selbst zugefügt haben. Aber was wenn sie die Wahrheit sagte? Natürlich war Klawitter bewusst, dass er seine Mutter vermutlich überleben würde. Aber doch nicht jetzt schon. So weit war er noch nicht, und so gewannen seine Emotionen schließlich die Oberhand, wenn auch mit einem Restzweifel.
„Beschreib den Mann. Ich mach dir einen Tee der die Toxine in deinem Blut aufhält. Wann hast du eigentlich den Krankenwagen bestellt? Ich hab nichts gehört.“
Mühselig kramte Mutter Klawitter ihr Smartphone hervor und zeigte ihm das ausgehende, auf stumm geschaltete Notsignal zum Krankenhaus. Dann begann sie mit zitternder Stimme zu reden.
„Ich hab nur kurz sein maskiertes Gesicht gesehen. Er hat geflüstert und mich von hinten in den Würgegriff genommen. Er hatte entsetzlichen Mundgeruch, trotz Maske. Es war eine Mischung aus Zahnfäule und Knoblauch. Er war stark. Ich hatte Angst. Ich hatte um dich Angst.“ Wasser sammelte sich in ihren Augen die Klawitter Junior groß ansahen. Klawitter Junior hatte genug Erfahrung mit seiner Mutter um zu wissen, welch gute Schauspielerin sie war. Dennoch war er geneigt die Sache allmählich ernst zu nehmen. Wie zu seiner Bestätigung setzte Mutter noch einen drauf. „Du hast dir in deinem Berufsleben viele Feinde gemacht die der Meinung sind, dass du ihr Leben versaut hast. Einer von ihnen scheint im Laufe der Jahre vielleicht sehr rachsüchtig geworden zu sein?“
„Ich ziehe die Möglichkeit in Betracht.“, erwiderte Klawitter kühl und servierte Mutter den Tee. In seinem Kopf vibrierte es fast nach außen. Zum Glück hatte er eine längere Autofahrt vor sich. Da konnte er endlich seine Gedanken ordnen.
„Sie sind fünf Minuten zu spät!“
„Ich bin fünf Minuten zu früh!“
„Ich lege Wert auf Pünktlichkeit!“
„Ich werde mich über Sie beschweren!“
„Nur Idioten beschweren sich über Dinge die sie selbst ändern könnten.“
Gespräche dieser Art wurden ihm fast zum Verhängnis. Aber eben nur fast.
„Jürgen, du bist einer unserer Besten...“
„Ich bin der Beste!“
„Also gut. Du bist der Beste, und das sollst du auch bleiben. Du könntest aber besser sein, wenn du deine Mitarbeiter nicht ständig in demotivierende Gespräche verwickeln würdest.“
„Pünktlichkeit ist eine Frage des Respekts. Wer keinen Respekt hat ist auch nicht motiviert. Wer nicht motiviert ist muss mit der rudimentären Form von Respekt in unserer Zivilisation konfrontiert werden. Und das ist Pünktlichkeit.“
„Himmelherrgottnochmal, Jürgen! Muss denn jede dieser Unterhaltungen dazu führen, dass ich mich anschließend mit einem Berg von Beschwerden befassen muss? Musst du die Leute immer als Idioten bezeichnen?“
„Aber es sind Idioten.“
„Und was ist mit Frau Ulus?“
„Das ist kein Argument, Rainier. Frau Ulus ist nach wie vor unpünktlich.“
„Na gut, Jürgen, aber der Wind dreht sich. Irgendwann kommt ein wichtigtuerischer Frischling auf die Idee dich wegen Beleidigung mit einer Zivilklage auf Trab zu halten, und ich weiß wie du es hasst deine Zeit zu verschwenden. Und nur damit du es weißt. Im Gegenzug nennen sie dich einen Freak.“
„Dann könnte ich sie auch verklagen?“
„Jürgen, nimm die Sache bitte ernst! Ich bin nicht ewig hier...“
„Ja ja, ich weiß, dich zieht es in die Politik, du elender Feigling...“
„Es reicht, Jürgen, und ich sage es vermutlich nicht zum letzten Mal, Gott bewahre: Nenn die Leute nicht Idioten! Und um das mal inhaltlich zu vertiefen. Was wärst du denn ohne all die fleißigen Hände um dich herum?“
„Wäre nützliche Idioten eine diplomatische Bezeichnung?“
„Jürgen, verpiss dich aus meinem Büro und sorg dafür, dass ich solche Ansprachen nie wieder halten muss, denn irgendwann hole ich mir Hilfe.“
„Wie meinst du das?“
„Darüber kannst du nach der nächsten Beschwerde nachdenken und dem anschließenden Diensttauglichkeitstest der ganz sicher nicht von mir durchgeführt wird.“
„Verstehe! Guten Tag, Herr Wackelpudding!“
Natürlich kam es wie es kommen musste. Ein besonders ambitionierter Psychologe hatte es sogar gewagt zu postulieren, dass das mit einem Trauma in seiner Kindheit zu tun haben könnte. Das Gespräch war elf Jahre her, und zu dieser Zeit war er schon Kriminalhauptkommissar, aber dank seiner Mutter blieb ihm eine Anzeige wegen Körperverletzung und eine Degradierung erspart.
Natürlich gab es genug nützliche Idioten in der Dienststelle die Klawitter für einen Freak hielten.
Besonders dank Fräulein Felicitas, der eifrigen Schreibkraft aus dem Vorzimmer des Chefs, die die Belegschaft seit zwanzig Jahren über die neuesten Gerüchte auf dem Laufenden hielt.
„Habt ihr schon das Neueste von unserem Freak gehört?“
„Nein, erzähl!“
„Aaaber pssscht!“
„Jahaaaaa!“
„Der wohnt bei seiner Mutter im Wald!“
„Haahaaahahaaaaa!“
„Scheiße, er kommt!...“
Irgendwann hatte Klawitter gelernt mit all den kleinen Demütigungen hinter seinem Rücken umzugehen. Als besonders umgänglich galt er nie, weshalb er das meiste über Telefax und später übers Internet erledigte. Hauptsache wenig Kontakt zu anderen Menschen, während er an Tatorten förmlich aufblühte und wie ein verbaler Wasserfall seine Genialität feierte.
Er erinnerte auch kaum noch jemanden an Pünktlichkeit, weil ihm das wie fischen in einer geistigen Wüste vorkam. Außerdem machte es nur zusätzlich auf ihn aufmerksam und wenn er eines nicht gebrauchen konnte, dann war es die Aufmerksamkeit von Idioten, wie nützlich sie auch waren, denen er manchmal Handgranatengürtel um den Hals wünschte die er nach Gutdünken explodieren lassen konnte. Hach, was für ein geistiges Gemetzel, und nur die Erleuchteten würden wie durch Wunderhand überleben...
„Wenn du nicht bald aufstehst, verpasst du noch den Tag deiner Erhebung zum Rentner und das schöne Abschiedsfest das sie dir bereiten!“, polterte Mutter Klawitter in Jürgens Halbschlaf.
„Kaffee?“, stöhnte Klawitter Junior.
„Ist in der Küche, so wie ich auch gleich. Guten Morgen, Sohn!“, seufzte ihm Mutter erbarmungslos entgegen und ließ Sekunden später die Dielen unter den Stufen der Treppen knarren.
Klawitter erhob sich langsam und sah aus dem Fenster in den dichten verregneten Kiefernwald. Es war fast als tanzten die Bäume und schwitzen dabei. Klawitter lächelte. Ein wenig erinnerte ihn das an seine ab morgen alte Dienststelle. Er war zwar immer ein Freak geblieben, aber irgendwann hatte er seine nützlichen Idioten um sich herum auch liebgewonnen, und die ihn irgendwie auch. Selbst Fräulein Felicitas. Und ausgerechnet die störte jetzt seine harmonischen Gedanken an einem ruhigen letzten Tag im Büro des Dienststellenleiters.
„Was ist denn, Feli?“, sprach er sanft ins Telefon.
„Ich würde es nicht sagen wenn es nicht ernst ist, aber du musst sofort her kommen. Nurcan Ulus ist verschwunden, und wir haben einen Verdächtigen der behauptet er wüsste wo sie ist. Er will nur mit dir sprechen.“
„Hör zu, wenn das nur so ein alberner Scherz ist um mich zu verarschen, mich aufzuheitern weil ich in Rente gehe...“
„Verdammt, Jürgen, ich meine es ernst! Nurcan ist seit gestern Abend nicht mehr gesehen worden und heute taucht ein alter Zottelkopf hier auf und sagt er würde nur mit dir über ihren Aufenthaltsort und das wie und wo reden. Sie ist auch meine Freundin, Jürgen, und das ist verdammt ernst!“
„Ist ja gut, beruhige dich, ich bin unterwegs! Was ist das für ein Typ der nur mit mir reden will?“
„Wie ich schon sagte, ein Zottelkopf. Graues, langes, ungepflegtes Haar, Scheiße, der Typ sieht aus wie Gandalf nur in Pennerversion, und jetzt komm endlich her!“
Klawitter hatte genug gehört. Er sollte auf brillante Weise verarscht werden. Beinahe empfand er die unpünktliche Bemühung von Fräulein Felicitas als rührend ihn in diese Falle zu locken, und ganz sicher stand Frau Ulus am Ende der geistigen Nahrungskette. Also warum das Spiel nicht mitspielen. Es war mehr als ein Orden.
Siegessicher tänzelte Klawitter die Treppe in Richtung Küche hinunter. Was er doch für Schelme großgezogen hatte, die ihn heute zu einer letzten kriminalistischen Meisterleistung herausforderten. Aus der Küche hörte er das Festnetztelefon klingeln. Normalerweise duldete Mutter niemand um sich herum der ungefragt ans Telefon ging, aber es klingelte weiter. Vielleicht war Mutter ja im Keller. Ohne sich weiter Sorgen zu machen betrat Jürgen die vorletzte Stufe. Das erste was er sah waren die Schuhe seiner Mutter, gut gefüllt mit ihren Füßen, deren Zehen senkrecht nach oben ragten. Sofort war Klawitter klar, dass seine Mutter sanft zu Boden gelassen wurde, denn andernfalls hätte er den Aufprall gehört. Seine Dienstwaffe war wie üblich im Tresor seines Büros unter Verschluss, und alles was zu seiner Verteidigung taugte war in den Schubladen der Küche verstaut. Ausgerechnet jetzt fiel ihm die Binsenweisheit seiner Mutter ein.
Wenn du nicht weißt, was dein Gegner will
sei lauter als er, sonst wird er nicht still
„Ich komme jetzt unbewaffnet runter um zu sehen wie es meiner Mutter geht!“
Keine Antwort.
Mit einem Satz sprang Klawitter in die Küche und landete auf allen Vieren neben seiner röchelnden Mutter. Wer auch immer ihr das angetan hatte war verschwunden.
„Mutter!“, schrie Klawitter und nahm sie fest in seine Arme.
„Hör auf mich so zu drücken und hör mir zu du Idiot!“ Sofort lockerte Klawitter seine Arme und legte ihren Kopf sanft auf seine knienden Oberschenkel.
„Ja, Mutter.“
„Ein maskierter Mann war hier. Er hat mich überrumpelt und mir aufgetragen dir folgendes zu sagen. Wenn du das heute nicht ernst nimmst, ist dir nicht mehr zu helfen. Er hat mir um dich zu motivieren das Toxin des grünen Knollenblätterpilzes injiziert, das ich mit meinen Mitteln zwar mindern aber nicht bekämpfen kann. Am Hals findest du die Einstichstelle. Aber mach dir um mich keine Sorgen, ich habe schon einen Krankenwagen bestellt. Kaffee steht auf dem Tisch, und jetzt hilf mir auf.“
Ungläubig half er seiner Mutter auf den Stuhl. Ein Teil von ihm dachte daran, dass seine Mutter eine perfide Rolle im eigens für ihn inszenierten Bürotheaterstück spielte. Die Einstichstelle am Hals konnte sie sich selbst zugefügt haben. Aber was wenn sie die Wahrheit sagte? Natürlich war Klawitter bewusst, dass er seine Mutter vermutlich überleben würde. Aber doch nicht jetzt schon. So weit war er noch nicht, und so gewannen seine Emotionen schließlich die Oberhand, wenn auch mit einem Restzweifel.
„Beschreib den Mann. Ich mach dir einen Tee der die Toxine in deinem Blut aufhält. Wann hast du eigentlich den Krankenwagen bestellt? Ich hab nichts gehört.“
Mühselig kramte Mutter Klawitter ihr Smartphone hervor und zeigte ihm das ausgehende, auf stumm geschaltete Notsignal zum Krankenhaus. Dann begann sie mit zitternder Stimme zu reden.
„Ich hab nur kurz sein maskiertes Gesicht gesehen. Er hat geflüstert und mich von hinten in den Würgegriff genommen. Er hatte entsetzlichen Mundgeruch, trotz Maske. Es war eine Mischung aus Zahnfäule und Knoblauch. Er war stark. Ich hatte Angst. Ich hatte um dich Angst.“ Wasser sammelte sich in ihren Augen die Klawitter Junior groß ansahen. Klawitter Junior hatte genug Erfahrung mit seiner Mutter um zu wissen, welch gute Schauspielerin sie war. Dennoch war er geneigt die Sache allmählich ernst zu nehmen. Wie zu seiner Bestätigung setzte Mutter noch einen drauf. „Du hast dir in deinem Berufsleben viele Feinde gemacht die der Meinung sind, dass du ihr Leben versaut hast. Einer von ihnen scheint im Laufe der Jahre vielleicht sehr rachsüchtig geworden zu sein?“
„Ich ziehe die Möglichkeit in Betracht.“, erwiderte Klawitter kühl und servierte Mutter den Tee. In seinem Kopf vibrierte es fast nach außen. Zum Glück hatte er eine längere Autofahrt vor sich. Da konnte er endlich seine Gedanken ordnen.
geschrieben von gottileini
Zurück zur Vereinszeitung