Aus unterschiedlichen Gründen trafen sich unterschiedliche Blicke in der
schottischen Gefängniszelle. Und all das nur aus einem Grund. Sherlock hatte die
Frau erwähnt, und obwohl er es nie offen zugegeben hatte, wussten es alle im
Raum. Sollten jemals romantische Gefühle in Sherlocks Lebenswelt eine Rolle
gespielt haben, so fokussierten sie sich allein auf Irene Adler. Dumm nur, dass
die Frau seit zwei Jahren tot war.
„Sherlock!...“, versuchte es John Watson als Erster, wobei er ihm sanft an die
Schulter griff. „Irene ist tot.“
„Ihr alle haltet mich für einen Idioten!“, wehrte Sherlock sofort ab.
„Sherlock, du weißt ich bin selten mit Doktor Watson einer Meinung, aber in
diesem Fall hat er absolut recht. Akzeptiere das endlich!“, versuchte Mycroft
seinen Bruder zu maßregeln. (neudeutsch: maasregeln- aktuell:
außenmaasregeln)
„Was seid ihr doch für kleine Geister! Ihre Leiche wurde niemals gefunden.“,
erwiderte er voller Hohn.
„Ich mache mir allmählich Sorgen.“, flüsterte Lestrade dem Doktor zu.
„Ich kann Sie übrigens hören, Greg!“, schnauzte Holmes.
Zeit, die Taktik zu ändern, dachte sich der ältere Bruder. „Nun gut, nehmen wir
einmal an Irene Adler ist wider besseren Wissens noch am Leben. Wie soll uns das
helfen?“
„Sie ist mir noch einen Gefallen schuldig!“, erklärte Sherlock ohne dabei auch
nur den Hauch eines Zweifels erkennen zu lassen. Mycroft wandte sich
kopfschüttelnd ab. „Es hat keinen Sinn. Wir müssen unseren Fluchtplan ohne
meinen Bruder ausarbeiten. Offensichtlich hat er jetzt gänzlich den Verstand
verloren!“ Sherlock schwieg zu dem Vorwurf. Stattdessen lehnte er sich an das
vergitterte Fenster und starrte in den Himmel. Und während Lestrade und Mycroft
bereits eifrig am diskutieren waren, begab sich John Watson in Sherlocks Nähe.
„Haben Sie etwas dagegen?“, fragte er vorsichtig. „Sind wir jetzt wieder beim
Sie?“, antwortete Sherlock lachend, und wischte schnell eine Träne aus seinem
linken Auge. John tat so, als hätte er sie nicht bemerkt und blickte zu Boden.
Dann hob er den Kopf und sah Sherlock ernst in die Augen. „Ich war mir bis eben
nicht sicher, Sherlock.“
„Du kannst dir bei mir immer sicher sein, John. Irene lebt, und selbst wenn
nicht, dann zumindest der Teil von ihr, den sie in mir zurückgelassen hat.“
„Und wie hilft uns das im Augenblick weiter?“ Sherlock warf ihm einen erstaunten
Blick zu. „Ich bewundere deinen Pragmatismus, John! …Natürlich! Wir brauchen
eine Frau!“ Kaum ausgesprochen, platzte er in die Fluchtdebatte rein.
„Wer ist eigentlich der Chef dieser Polizeistation?“
„Das ist Duncan Mc Loud, ein ausgesprochener Englandhasser, warum willst du das
wissen?“, fragte Mycroft irritiert.
„Der heißt wirklich wie der Highlander?“, plapperte Lestrade ungefragt
dazwischen.
„Sie haben die Filme auch gesehen?“, mischte sich John Watson begeistert ein.
„Natürlich! Christopher Lambert war legendär in der Rolle!“, schwärmte Lestrade,
während die Holmes Brüder bereits mit den Augen rollten. Ein wahrlich seltener
Augenblick von Einigkeit.
„Der Mann hieß übrigens Connor. Duncan war nur sein unsäglicher Verwandter in
einer durch und durch löchrigen Nachfolgeserie, inklusive eines mehr als
dämlichen Kinofilms.“, gab Sherlock den Klugscheißer. Mycroft fasste sich
verzweifelt an die Stirn. „Du meine Güte, ich bin in einer Zelle mit Nerds
eingesperrt, die kurz vor der Midlife Crises stehen!“
„Halt die Klappe Mycroft!“, sagte Sherlock und holte ein historisch kaum noch
bekanntes Relikt der Vergangenheit aus seiner Tasche.
Ein Tastenhandy.
Entsprechend befremdlich wurde es beäugt.
Dann hob es Sherlock theatralisch in die Höhe und verkündete: „Das ist Irenes
Telefon, und jetzt ratet mal, wen sie da unter anderem in einer mehr als
prekären Situation gefilmt hat?“
„Duncan Mc Loud!“, antwortete Lestrade wie aus der Pistole geschossen. Sherlock
warf ihm einen anerkennenden Blick zu. „Wer hätte gedacht, dass aus Ihnen mal
ein richtiger Polizist wird.“
„Danke“, erwiderte Lestrade bescheiden, während Mycroft kaum noch in der Lage
war seine Wut zu unterdrücken. „Warum kommst du uns erst jetzt damit! Moriarty
ist kein Idiot, er wird wissen, dass du Irenes Handy hast.“
Sherlocks Gedanken waren völlig klar als er sagte: „Natürlich Bruder. Genau so
wie er weiß, dass wir hier gerade gemeinsam in einer Zelle hocken. Es ist ein
Spiel und wir müssen jetzt das nächste Level erreichen, während er nebenbei an
einer neuen Weltordnung arbeitet. Wir haben momentan nur seine bedingte
Aufmerksamkeit, glaub mir. Und das ist unser Vorteil!“
Dann rief er Duncan Mc Loud an.
Kurze Zeit später.
Duncan Mc Loud erinnerte weder an den Highlander noch an dessen Adaption im
Serienformat. Als er die Zelle betrat erinnerte er mehr an einen Mann der gutes
Essen und Bier im Haus bevorzugte. Und bis vor wenigen Jahren hatte auch noch
eine Frau dieses Leben geteilt. Böse Münder behaupteten, sie wäre aus blankem
Frust gestorben. Die wenigen Bekannten erzählten, sie hätte alle Highlander
Filme, inklusive der Serie auf DVD gesammelt.
„Was wollen Sie?“ Die Frage des Mannes mit der schwitzenden Glatze und dem
fetten Bauch deutete auf Eile hin. Noch war er nicht darauf vorbereitet was die
Holmes Brüder innerhalb kürzester Zeit an verbaler Infanterie auf ihn
einprasseln lassen würden.
„Mein Name ist Chefinspektor Lestrade von Scotland Yard, und ich verlange von
Ihnen, dass Sie uns unverzüglich freilassen!“, lautete der erste Streich, von
dem auszugehen war, dass er ins Leere verpuffen würde.
„Sie haben mich vom Handy einer Toten aus angerufen. Allein das ist ein Grund
sie für weitere hundert Tage in diese Zelle zu verfrachten! Haben Sie wirklich
nicht mehr zu bieten?“, entgegnete der vermeintliche Highlander gelangweilt.
„Diese Tote hat Videos gemacht, Duncan, Videos die Ihnen, aber vor allem Ihrer
Karriere schaden könnten. Selbstverständlich sind die Kopien bereits an sicheren
Orten geparkt, die nur darauf warten geöffnet zu werden, wenn Sie nicht unseren
Anweisungen folgen.“, mischte sich John Watson in die Diskussion ein. Eine
flüchtige Pause entstand. Eine Pause in der Duncan Mc Loud den Doktor genauer
unter die Lupe nahm. Je intensiver sich ihre Blicke kreuzten desto mehr machte
sich Erkennen breit. Es war ein gegenseitiges Erkennen. Ein Erkennen, das dem
Doktor sofort klar machte, wie fehl am Platz er hier gerade war.
„Sagt ausgerechnet der Mann, der mindestens zwanzig Operationen in Afghanistan
versaute weil er zu sehr unter Drogen stand! …Mein Bruder war EINER von
IHNEN!“
Purer Hass stand in den Augen des Mannes, der den Schlüssel der Gefängniszelle
in den Händen hielt. Die Situation drohte außer Kontrolle zu geraten. Alle Pläne
waren verworfen. Jetzt ging es nur noch darum John Watson aus der Schusslinie zu
bringen. „Ehe sich Ihre sicherlich berechtigte Kritik vollends an meinem Freund
John entlädt, sollten Sie wissen, dass all seine Argumente der Wahrheit
entsprechen. Oder um es kurz zu sagen. Wir haben Sie am Arsch!“, sprang Sherlock
sofort ein. Die Aufmerksamkeit des Highlanders schwenkte um. Als er dann noch
die kompromittierenden Bilder auf dem Handy von Irene Adler sah knickte er
endgültig ein.
Drei Tage später in den schottischen Highlands, bei bestem schottischen Wetter.
Leichter Niesel, ein wenig kühl. Seichter Wind. John Watson und Mycroft Holmes
waren bereits eingeschlafen. Lediglich Lestrade schaffte es noch mit dem schier
nimmermüden Geist von Sherlock mitzuhalten.
„Das war so witzig, wie Sie den Highlander zurechtgewiesen haben!“
„Lestrade, halten Sie die Klappe!“, wies Sherlock ihn zurecht.
„Über Sie sollte unbedingt jemand ein Buch schreiben!“, schwärmte Lestrade
weiter.
„Fiktionale Realität gibt es seit Menschen, Menschen sind!“
„Dann sind wir alle also nur Teil einer Geschichte?“
„Was denn sonst?“
„Macht Ihnen das nicht manchmal Angst?“
Sherlock grinste.
„Niemals!“
Ende?
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